25. Operngala für die Deutsche AIDS-Stiftung

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 3. November 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 3. November bei der 25. Operngala für die Deutsche AIDS-Stiftung in Berlin eine Ansprache gehalten: "Aufklärung und Bewusstseinsbildung bleiben zentrale Aufgaben der AIDS-Bekämpfung. Gerade auch für die immer wieder neue jüngere Generation. Das war Antrieb und Motiv der Deutschen AIDS-Stiftung von Anfang an."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache auf der Bühne der Deutschen Oper anlässlich der 25. Operngala für die Deutsche AIDS-Stiftung in Berlin

Stört Sie die Musik, Joe? Mögen Sie Oper?
Ich kenn mich nicht so besonders gut aus mit Opern, Andrew.
Das ist meine Lieblingsarie. Das ist Maria Callas. Das ist ‚Andrea Chenier‘, von Umberto Giordano.

Diesen Filmdialog dürften viele von Ihnen kennen. Während die beiden Protagonisten miteinander sprechen, hat im Hintergrund langsam Musik eingesetzt, man hört nach den ersten Takten des Orchesters, wie eine weibliche Stimme eine Arie zu singen beginnt. Wer diese Szene gesehen hat, wird sie niemals vergessen. Es ist die vielleicht berührendste in dem Film Philadelphia, wahrscheinlich der erste Film, mit dem Hollywood sich dem Thema HIV und AIDS damals stellte.

Da wir hier in der Oper sind, lassen Sie uns kurz bei dieser Szene bleiben. Mir scheint sie einiges darüber sagen zu können, weswegen wir uns heute Abend hier treffen.

Zunächst: Der Kranke, gespielt von Tom Hanks, geht mit der Infusion an der Stange durch seine Wohnung – gezeichnet von der Krankheit und doch nicht nur Patient. Er ist todgeweiht und weiß es. Aber vor allem lebt er – mit all seinen Gefühlen, mit seinen Leidenschaften, vor allem hier der Leidenschaft für Musik und Oper, mit seiner Biographie: mit seiner ganz eigenen unverwechselbaren Prägung.

Er fragt seinen Anwalt, der zu Besuch ist: Hören Sie das Herzeleid in ihrer Stimme, können Sie das fühlen Joe? Es scheint, als könne der Kranke zu ganz anderen Gefühls- und Erkenntnisebenen vordringen als der Besucher, der staunend zusieht und zuhört.

Und die Musik, es ist die Arie La mamma morta, bedeutet für den Kranken Hoffnung und tiefen Trost. Und so spricht er die Worte der Arie mit. Vor allem, als dort die Liebe selber spricht und sagt: Du musst leben. Ich bin das Leben selbst … Du bist nicht allein….

Auch das erinnert vielleicht der ein- oder andere: Tom Hanks wird dabei die ganze Zeit aus einer erhöhten Perspektive gefilmt – wie aus der Sicht einer höheren Instanz, aus der Sicht der himmlischen Liebe, von der in dieser Arie die Rede ist.

Der Film, an den ich erinnere, kann in seiner Bedeutung gar nicht überschätzt werden: Philadelphia, insbesondere diese Szene, spricht über die Größe eines jeden Menschen, die Krankheit eben nicht schmälern kann, über seine Unverwechselbarkeit, seine Einzigartigkeit. Der Film hatte eine ungeheure Wirkung. Er war ein großes Signal gegen Homophobie und gegen Diskriminierung von Homosexuellen.

Und er hat eine große und besondere Motivation zum Kampf gegen AIDS bewirkt. Er hat ins Bewusstsein gebracht, dass jeder Kranke ein Mensch mit Leidenschaften ist, mit Sehnsucht nach Trost und Liebe und Anerkennung. Und darum ist der Kampf gegen HIV und AIDS, wie jeder Kampf gegen unheilbare Krankheiten, ein Kampf für die Würde jedes einzelnen Menschen, ein Kampf dafür, dass jeder einzelne Infizierte möglichst lange ein respektiertes und selbstbestimmtes Leben führen kann.

Warum erinnere ich gerade heute an Philadelphia? Sie ahnen es: Weil der Film genau vor 25 Jahren, 1993, in die Kinos kam. Und – vielleicht nicht ganz zufällig – ebenfalls zum 25. Mal findet heute diese Operngala für die Deutsche AIDS-Stiftung statt. 25 Mal wurde und wird nicht nur dringend benötigtes Geld eingeworben. Es wird so auch immer ein Beitrag geleistet zur Bewusstseinsbildung darüber, was AIDS für unser Land und die Welt bedeutet, was diese Krankheit für die davon Betroffenen, aber auch für Angehörige und Freunde bedeutet. Und was man dagegen tun kann!

Als vor nun bald 40 Jahren zum ersten Mal über das immunschwächende HI-Virus und das davon ausgelöste AIDS berichtet wurde, traf diese Information auf eine erstaunte bis schockierte, aber vor allen Dingen weitgehend ratlose Öffentlichkeit. Schweigen und Tabu umgab diese rätselhafte, angsterzeugende Krankheit, die hauptsächlich mit Sexualität in Verbindung gebracht wurde.

Tabus und Schweigen sind immer noch Hindernisse gegen wirksame Prävention und effektive Behandlung.

Und so bleiben bis heute Aufklärung und Bewusstseinsbildung zwei der Hauptaufgaben im Kampf gegen HIV und AIDS. Das kann auf die Art geschehen, die ich anhand des Films gerade beschrieben habe, also mit großem Pathos und viel Gefühl.

Das kann aber auch auf witzige und frech-tabubrechende Weise geschehen, wie in dem unvergessenen Werbespot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 1989: Tina, wat kosten die Kondome? Wahrscheinlich hat dieser eine Satz von Hella von Sinnen und dieser Spot mehr für Vorbeugung und wirksamen Schutz vor Ansteckung getan, als viele denkbare seriöse Verhaltensmaßregeln.

Aufklärung und Bewusstseinsbildung bleiben zentrale Aufgaben der AIDS-Bekämpfung. Gerade auch für die immer wieder neue jüngere Generation. Das war Antrieb und Motiv der Deutschen AIDS-Stiftung von Anfang an. Was hier inzwischen besser gelingt, passiert in vielen Teilen der Welt nicht, wo HIV und AIDS bis heute praktisch ignoriert oder tabuisiert werden – wo Ursachen mit Verschwörungstheorien erklärt oder die Infektion gar als Strafe Gottes deklariert wird. Auf diese Weise werden Schutz und Vorsorge sträflich verhindert, mindestens vernachlässigt. Angesichts solcher Zustände gilt erst recht: Neuinfektionen müssen dringend entscheidend reduziert werden und dafür ist und bleibt Aufklärung der Schlüssel.

Aufklärung übrigens auch über die großen Fortschritte bei der Behandlung. HIV ist die globale Infektionskrankheit, die in den letzten Jahrzehnten am – vermutlich – intensivsten erforscht wurde. Der Wissenschaft ist es innerhalb von nur wenigen Jahren gelungen, erfolgreiche Therapien bereitzustellen. Eine rechtzeitig begonnene und erfolgreiche Therapie ermöglicht vielen HIV-positiven Menschen heute ein normales Leben und verhindert den Ausbruch von AIDS.

Mit anderen Worten: Wir können AIDS behandeln, erfolgreich behandeln, aber trotzdem können wir HIV bis heute nicht heilen. Und deshalb dürfen wir auch die HIV-positiven Menschen nicht vergessen, die mit psychischen und physischen Einschränkungen leben müssen. Für sie bleibt die Deutsche AIDS-Stiftung eine verlässliche Helferin in der Not.

Darum danke ich allen, die sich engagieren. Heute und auch sonst. Der Deutschen AIDS-Stiftung und auch den anderen Stiftungen und Hilfsorganisationen, den Unternehmen, die sich in die Pflicht nehmen lassen, den prominenten Unterstützern aus Kultur und Medien, den vielen ehrenamtlichen Helfern und den privaten Spendern.

AIDS ist für Millionen Menschen ein schlimmes Schicksal. Und AIDS bleibt für Millionen Menschen eine gefährliche, tödliche Bedrohung. Das Bemühen um Prävention und Therapie – auch die Finanzierung von Therapien –, das alles darf nicht ermüden. Aber wir können auch mit Zuversicht nach vorne schauen. Die großen Fortschritte bei den Therapiemöglichkeiten können uns berechtigte Hoffnung auf weitere Erfolge machen. Den heutigen Abend begreife ich als eine weitere, ermutigende Etappe auf diesem Weg.

Allen, die zum Gelingen und damit zum Weiterbestehen der Hilfe beitragen, sage ich noch einmal von hier aus meinen ganz herzlichen Dank.