Neujahrsempfang zu Ehren engagierter Bürgerinnen und Bürger

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 10. Januar 2019

Der Bundespräsident hat am 10. Januar beim Neujahrsempfang für Repräsentanten des öffentlichen Lebens und engagierte Bürger in Schloss Bellevue eine Ansprache gehalten: "Sie alle, liebe Gäste, stehen stellvertretend für die vielen Menschen in unserem Land, die sich ehrenamtlich engagieren und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen. Es liegt an Ihnen, an Ihrem Mut und Ihrem Schwung, dass wir heute in Deutschland allen Grund haben, mit Zuversicht in dieses neue Jahr zu gehen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während der Rede anlässlich des Neujahrsempfangs des Bundespräsidenten 2019 im Großen Saal in Schloss Bellevue

Ihnen allen ein herzliches Willkommen hier im Schloss Bellevue!

Die ersten Tage im neuen Jahr erleben wir – im Privaten, aber auch in der Politik – oft als eine beschwingende Zeit des Aufbruchs. Wir lassen etwas hinter uns und richten den Blick nach vorn, voller Hoffnung und Zuversicht. Und wir sind bereit, loszulegen, uns zu bewegen – das gilt in jeder Hinsicht – und etwas anzufangen, mit uns selbst, aber auch mit anderen.

Dieser Zeit des Anfangens geht meist eine Phase des Innehaltens und der Besinnung voraus. Viele von uns haben die Feiertage genutzt, um zurückzuschauen und sich Gedanken über das vergangene Jahr zu machen. Die eigene, persönliche Bilanz sieht dann oft etwas anders aus als das, was uns in bunten Gala-Revuen und düsteren Apokalypsen so alles als Jahresrückblick im Fernsehen präsentiert wird. Und natürlich lösen die Gedanken über ein Jahr bei jeder und jedem von uns ganz unterschiedliche Bilder und Gefühle aus.

Aber es gibt doch einiges, was wir in Deutschland im vergangenen Jahr sehr ähnlich empfunden haben. Ich bin viel unterwegs gewesen in unserer Republik, und ich habe in meinen Gesprächen häufig Sorgen gehört – Sorgen, weil Positionen oder Vorurteile sich verhärtet haben und Gespräche auch deshalb schwieriger geworden sind.

Aber ich bin bei meinen Reisen auch unzähligen Menschen begegnet, die das nicht nur schulterzuckend zur Kenntnis nehmen, sondern die mithelfen, neu entstandene Mauern abzutragen. Etwa dann, wenn sie sich in den politischen Institutionen oder in der Gesellschaft dafür einsetzen, dass wir mit mehr Respekt miteinander umgehen, einander zuhören und aufeinander Rücksicht nehmen. Oder wenn sie sich mitten in den Wind stellen, um gegen Intoleranz, Hass und Gewalt zu kämpfen – auch dann, wenn sie dafür beschimpft und bedroht werden.

Politische Gewalt ist eine Gefahr für unsere Demokratie! Die Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg und die Ereignisse in Chemnitz und anderswo haben uns das im vergangenen Jahr sehr bewusst gemacht. Und auch aktuell, mit Blick auf die Nachrichten aus Leipzig, aus dem sächsischen Döbeln und vor wenigen Tagen aus Bremen, sage ich ganz deutlich: Politische Gewalt, aus welcher Ecke und gegen wen auch immer, können und dürfen wir niemals dulden. In einem Rechtsstaat gibt es keinen Raum für Gewalt mit gutem Gewissen, weder von rechts noch von links. Im Gegenteil: Jeder Angriff auf eine Parteiversammlung, eine Bürgermeisterin, einen Stadtverordneten, einen Abgeordneten ist ein Angriff auf unseren Rechtsstaat. Dem müssen, dem werden wir uns geeint und entschlossen entgegenstellen. Genauso wünsche ich mir, dass ein Angriff wie in Bremen nicht instrumentalisiert wird, um Gräben noch tiefer zu graben, sondern dass er ein Weckruf ist an alle Seiten: für mehr Respekt, Anstand und Sachlichkeit in der politischen Auseinandersetzung!

Sie alle, liebe Gäste, stehen stellvertretend für die vielen Menschen in unserem Land, die sich ehrenamtlich engagieren und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen. Es liegt an Ihnen, an Ihrem Mut und Ihrem Schwung, dass wir heute in Deutschland allen Grund haben, mit Zuversicht in dieses neue Jahr zu gehen. Dafür will ich Ihnen heute meinen herzlichen Dank sagen.

Sie alle engagieren sich auf ganz unterschiedliche Weise, aber Sie haben auch etwas gemeinsam: Ihnen ist es nicht gleichgültig, was um Sie herum passiert, in Ihrer Nachbarschaft, Ihrer Region, Ihrem Land oder in der Welt. Sie gehören nicht zu denen, die in der Sofaecke sitzen bleiben und schimpfen und darauf warten, dass andere etwas tun. Sondern Sie wenden sich den Problemen zu, suchen gemeinsam mit anderen nach Lösungen und packen mit an, wo es etwas zu tun gibt.

Und die Geschichten Ihres Engagements geben einen Eindruck davon, was es alles zu tun gibt in unserem Land und wie viel sich bewegen lässt. Nicht wenige hier im Saal helfen Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, auf ihrem Weg in unsere Gesellschaft. Unter uns sind auch einige, die vor längerer Zeit selbst ihre Heimat verlassen mussten und aus eigener Erfahrung wissen, wie schwierig die Ankunft sein kann.

Andere, die heute hier sind, treten Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt entgegen, engagieren sich für den Austausch der Kulturen oder für lebendige Beziehungen zu unseren europäischen Nachbarn. Oder sie halten die Erinnerung an die deutsche Geschichte wach, pflegen Denkmäler und regionale Kulturgüter, weil sie wissen: Zusammenhalt braucht auch Erinnerung.

Viele von Ihnen kümmern sich um Menschen, die krank oder gebrechlich sind, engagieren sich in der Pflege und in Hospizen, unterstützen Menschen mit Behinderung oder Obdachlose. Manche haben selbst schwierige Situationen durchgemacht oder leben mit Beeinträchtigungen und sind auch und gerade deshalb Vorbilder, weil sie an sich glauben und nicht aufgeben, weil sie zeigen, was alles möglich ist.

Wir haben heute auch Frauen und Männer hier, die sich dafür einsetzen, dass Ihre Region fernab der Großstädte eine Zukunft hat und, im wahrsten Sinne des Wortes, Land in Sicht bleibt. Sie engagieren sich in Sportvereinen, bei der Feuerwehr oder in der Kultur, setzen sich für den Naturschutz ein oder fördern nachhaltiges Wirtschaften. Und ich will natürlich auch diejenigen nicht vergessen, die nach Unfällen und Katastrophen helfen, die auf Straßen und an Gewässern ehrenamtlich für mehr Sicherheit sorgen.

Sie tun das alles mit großer Leidenschaft, und Sie schenken unserem Land viele tausend Stunden ehrenamtlicher Arbeit. Manche von Ihnen engagieren sich schon seit Jahren und Jahrzehnten, und viele bringen sich gleich in mehreren Vereinen und Initiativen ein.

Trotzdem sorgt Ihr Engagement nur selten für Schlagzeilen und Sie stehen nur selten auf der großen Bühne. Ich weiß: Die meisten von Ihnen sind darüber auch ganz froh. Aber wenigstens heute Mittag sollen Sie einmal im Mittelpunkt stehen. Ich freue mich, Sie alle hier zu haben und jetzt mit Ihnen zu essen. Und wenn Sie mir zu Beginn des Jahres ein klein wenig Pathos erlauben: Es macht mich stolz, in einem Land zu leben, Präsident eines Landes zu sein, das solche Bürgerinnen und Bürger hat wie Sie.

Herzlichen Dank!