Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 14. Januar 2019

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 14. Januar beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps in Schloss Bellevue eine Ansprache gehalten: "Und heute, wo die Welt vernetzter ist als je zuvor, wo das nationale Interesse des einen ohne den Blick für das Interesse des anderen gar nicht mehr zu bestimmen ist, ist solche Zusammenarbeit noch wichtiger. Um es deutlich zu sagen: Der Nationalismus ist ein ideologisches Gift, das in neuem Gewand nicht weniger giftig ist!"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Rede im Großen Saal anlässlich des Neujahrsempfangs für das Diplomatische Korps in Schloss Bellevue

Wie schön, Sie alle wiederzusehen! Vergangenen Juni waren wir gemeinsam in der Hansestadt Bremen. Wir saßen unter meterlangen Schiffsmodellen, wandelten auf den Spuren von Elvis Presley und liefen im Klimahaus innerhalb einer Stunde von der Südsee an den Nordpol.

Und wir haben zusammen Fußball geschaut. Lieber Botschafter Jong, das waren spannende 90 Minuten, wenn ich die Nachspielzeit dazurechne, sogar ein bisschen mehr. Am Ende hat die südkoreanische Mannschaft verdient gewonnen. Im Fußball! Im Handball war es bei der Eröffnung der Weltmeisterschaft umgekehrt. Deutschland hat gegen die gemeinsame Mannschaft von Nordkorea und Südkorea gewonnen.

So ist das im Sport: Es kann immer nur einen Sieger geben. Ein klassisches Nullsummenspiel: Einer gewinnt, der andere verliert.

Das geht auch in Ordnung, wenn dies das Ergebnis sportlicher Fairness ist. In den internationalen Beziehungen scheint diese Fairness allerdings zunehmend abhandenzukommen. Wenn ich Berichte von internationalen Gipfeltreffen verfolge, dann hat die Nullsummenlogik eines jeder für sich – oder schlimmer noch: eines jeder gegen jeden – an Einfluss gewonnen.

Immer offener wird die Überzeugung infrage gestellt, dass Zusammenarbeit und feste Regeln allen Beteiligten nutzen. Internationale Organisationen, so die These von manchen, würden nationalen Interessen schaden. Der Nationalstaat müsse die Ketten internationaler Institutionen sprengen, um seine Souveränität zu verteidigen oder verlorene Souveränität zurückzugewinnen.

Exzellenzen, das Gegenteil ist richtig: Freie und souveräne Staaten müssen gemeinsame Regeln finden, sie müssen ihre Zusammenarbeit definieren, damit ihr Handeln nicht ein ums andere Mal in Konfrontation, in Feindseligkeit und letztlich in Krieg mündet, wie es in der Geschichte so oft und mit so schrecklichen Folgen geschehen ist. Und heute, wo die Welt vernetzter ist als je zuvor, wo das nationale Interesse des einen ohne den Blick für das Interesse des anderen gar nicht mehr zu bestimmen ist, ist solche Zusammenarbeit noch wichtiger.

Um es deutlich zu sagen: Der Nationalismus ist ein ideologisches Gift, das in neuem Gewand nicht weniger giftig ist!

Gerade wir in Europa sollten das niemals vergessen! Sondern wir halten die Erinnerung wach und wir zeigen, dass wir aus unserer blutigen Geschichte der letzten Jahrhunderte, insbesondere des 20. Jahrhunderts, gelernt haben.

Für mich – und ich vermute für viele europäische Freundinnen und Freunde hier im Saal – gehört das gemeinsame Gedenken an das Ende des Ersten Weltkrieges zu den bewegenden Erinnerungen des vergangenen Jahres. Ich war dankbar dafür, als erster deutscher Bundespräsident an der Zeremonie anlässlich des Remembrance Day in London teilzunehmen. Am Kenotaph legte ich einen Kranz nieder, mit einem beigefügten handschriftlichen Text: Honoured to remember side by side, Grateful for reconciliation, Hopeful for a future in peace and friendship. Das bleibt meine Hoffnung für eine gemeinsame Zukunft in Europa und auch mit unseren Freunden in Großbritannien!

Und weitere gemeinsame Erinnerungen an jene Zeitenwende vor 100 Jahren haben sich mir eingebrannt: In Vilnius durfte ich bei den großen und bewegenden Feierlichkeiten des litauischen Staates zugegen sein – zugleich das Erinnerungsjahr für die Wiedergewinnung der Staatlichkeit aller drei baltischen Staaten. Hier in Berlin, im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, gedachten wir mit Präsident Duda des Wiederentstehens des polnischen Staates nach 1918. Und zusammen mit Staatspräsident Macron feierten wir im Straßburger Dom und im Deutschen Bundestag das Wunder der Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland.

Überall dort war ich als Deutscher unter Freunden. Trotz der blutigen Vergangenheit! Welch ein Glück, welche historische Errungenschaft! Diese Errungenschaft hat einen Namen: Europäische Union. Dieser Union liegt die Einsicht zugrunde, dass der entfesselte Nationalismus uns in den Abgrund geführt hat. Deshalb haben wir uns versprochen: Nein, unser Kontinent ist keine Arena, kein Wettkampfplatz der nationalen Egoismen, und er darf es nie wieder werden. Sondern vereint sind wir stärker! Vereint schaffen wir mehr: mehr Freiheit, mehr Lebenschancen und mehr Wohlstand!

Die Europawahlen im Mai dieses Jahres sind der entscheidende Moment, an dem wir dieses europäische Versprechen erneuern können. Ich werde mit aller Kraft dafür werben!

Im vergangenen Jahr hatte ich die Gelegenheit, einige Ihrer Länder auch weit jenseits der europäischen Grenzen zu besuchen. Ich bin von diesen Reisen mit einem Gefühl der Ermutigung zurückgekehrt – mit dem Gefühl, dass wir dem Zerbröseln der internationalen Zusammenarbeit etwas entgegensetzen können.

Es ist in unser aller Interesse. Sie, als Botschafterinnen und Botschafter, kennen die unzähligen Wege, auf denen unsere Länder miteinander zusammenarbeiten, verbunden sind und aufeinander angewiesen sind. Das gilt in besonderer Weise bei den globalen Gütern, beim Klimaschutz, der internationalen Sicherheit oder der Gestaltung der digitalen Welt.

Es gilt auch in den Wirtschaftsbeziehungen: Freier, fairer und gerechter Handel schafft Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Entfaltung für alle. In einer fairen und offenen Handelsordnung geht der wirtschaftliche Erfolg eben nicht auf Kosten des anderen. Auch der Welthandel ist kein Nullsummenspiel.

Gemeinsame Antworten auf eine gemeinsame Herausforderung brauchen wir auch bei einem anderen Großthema unserer Zeit: bei Flucht und Migration. Mit dem UN-Migrationspakt sind wir sicherlich noch weit entfernt von einer Lösung, aber ein Schritt zur Zusammenarbeit ist geschafft.

Ich versichere Ihnen: In all diesen Fragen wird mein Land mit Ihnen partnerschaftlich zusammenarbeiten. Und wir sind dankbar, dass wir das in diesem und im nächsten Jahr als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen tun dürfen!

Exzellenzen, ich freue mich auch ganz persönlich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen allen im vor uns liegenden Jahr. Und ich will schon jetzt meine besondere Vorfreude auf unsere gemeinsame Reise nicht verheimlichen. Im September geht es nach Rheinland-Pfalz, an die schöne Mosel und in den Hunsrück. Dieses Mal dann, versprochen, ganz ohne Fußball.

Ihnen, Ihren Familien und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Ihren Vertretungen wünsche ich ein gesundes und glückliches Jahr 2019.