Abendessen mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 17. Januar 2019

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 17. Januar beim Abendessen mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in Schloss Bellevue eine Ansprache gehalten: "Die Zukunft kann ein besseres Leben ermöglichen, wenn wir Wissen fördern und zur Kreativität ermutigen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache im Langhanssaal von Schloss Bellevue (Archivbild)

Wenn wir manche missmutige Stimmung und Kommentierung im Land hören, dann hat es den Anschein, als hätten wir unsere Zukunft schon hinter uns, als sei die beste Zeit vorbei. Heute Abend, am Anfang eines neuen Jahres, möchte ich mit Ihnen den Versuch unternehmen, einen anderen Blick auf unsere Zukunft zu werfen.

Wer von Ihnen vor einigen Wochen den Zukunftspreis verfolgt hat, den ich erneut vergeben durfte, wird eine Idee davon haben, was ich meine. Eine neues Medikament, das Leben rettet; eine neue Lösung für die Speicherung von Wasserstoff als sauberem Energieträger; die Neuerfindung des Getriebes, mit nicht für möglich gehaltenen Energieeinsparungen: Die Nominierten der Schlussrunde haben Probleme bewältigt und bewiesen, dass Fortschritt möglich ist.

Kurz danach durfte ich die Laudatio auf Hasso Plattner und Joachim Milberg halten, die mit dem Werner-von-Siemens-Ring geehrt wurden. Beide sind, wie Sie wissen, nicht nur herausragende Wissenschaftler, sondern trugen auch als Unternehmer Verantwortung. Technischen Fortschritt auf eine verantwortungsvolle Weise für die Gesellschaft nutzbar zu machen – das ist das Verdienst, für das sie geehrt wurden.

Und wer das sieht, der blickt anders und hoffnungsvoller in die Zukunft. Und das sollte unser gemeinsames Thema sein! Die Zukunft kann ein besseres Leben ermöglichen, wenn wir Wissen fördern und zur Kreativität ermutigen.

Bildung, Wissenschaft und Innovation – das sind die Kernthemen des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. Ihre Kernthemen, meine Damen und Herren: Denn ohne Bildung gibt es keine Wissenschaft und keine Innovation. Und wer weiß, dass in Deutschland rund zwei Drittel aller Bruttoinlandsausgaben für Forschung und Entwicklung aus Mitteln deutscher Unternehmen stammen, der weiß um Ihre Verantwortung für die Wettbewerbsfähigkeit nicht nur des Wirtschafts-, sondern auch des Wissenschaftsstandorts Deutschland.

Und deshalb freue ich mich, Sie alle hier versammelt zu sehen. Es freut mich, weil wir als Gleichgesinnte Lust auf Zukunft neu wecken wollen, und weil es mir die Gelegenheit gibt, Ihnen für Ihre Arbeit und Ihr Engagement zu danken: Vielen Dank, seien Sie herzlich willkommen im Schloss Bellevue!

Ich freue mich auf unseren Austausch heute Abend, und ich freue mich auf die Gedanken von Herrn Alt , dessen Vortrag wir gleich nach dem Hauptgang serviert bekommen, damit auch der Kopf seine Nahrung erhält. Herr Alt, ein herzliches Willkommen auch Ihnen!

Herr Alt wird über die Wissenschaft im öffentlichen Raum sprechen. Wissen ist ein öffentliches Gut, wohin also sonst sollte die Wissenschaft gehören, als in den öffentlichen Raum? Alexander von Humboldt dachte so. Doch er wusste auch um die weltabgewandte, die gewissermaßen nicht-öffentliche Seite der Wissenschaft, die erkennt und entdeckt, was nicht gesehen werden kann. Humboldt verstand es deshalb als seine Aufgabe, anschaulich zu machen, was wir ohne die Hilfe der Wissenschaft nicht erkennen können. Alles, was der Verbreitung von Wissen diente, jedes technische Medium, begrüßte er euphorisch. Die Digitalisierung mit ihren Möglichkeiten, mit ihren Verheißungen, hätte ihn vermutlich in neugierige Begeisterung versetzt.

Und es stimmt ja: Wissenschaft und Digitalisierung sind ein verheißungsvolles Paar – sie versprechen die Vermehrung und Verbreitung von Wissen, die globale Vernetzung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Forschungseinrichtungen, Universitätsbibliotheken und Instituten. Auf der anderen Seite nehmen wir aber auch die weniger lichten Momente des digitalen Fortschritts wahr.

Den enormen Chancen, die sich ergeben, wenn Milliarden von Menschen Zugang zu Informationen haben und intelligente Maschinen uns das Leben erleichtern, stehen Risiken wie massenhafte Überwachung, Kontrolle und Manipulation gegenüber. Es ist deshalb auch nicht erstaunlich, dass die Digitalisierung in unserer Gesellschaft ganz unterschiedliche Gefühle auslöst und kontrovers diskutiert wird.

Die technologischen Sprünge des digitalen Fortschritts verändern Gesellschaft und Arbeitswelt, weltweit und so schnell wie keine Innovation zuvor. Deshalb ist die Digitalisierung eine der großen Zukunftsfragen. Als liberale Demokratien müssen wir sie so beantworten, dass Zusammenhalt und Freiheit gestärkt werden. Wir müssen die großen Chancen des technischen Fortschritts nutzen, zugleich aber die nötigen Regeln schaffen und eine Ethik der Digitalisierung formulieren, die uns in die Zukunft leiten kann. Freiheit des digitalen Fortschritts, Verantwortung für seine menschenwürdige Gestaltung – beides sollte uns leiten.

Freiheit und Verantwortung sind die zwei Seiten der einen Medaille. Freiheit und Verantwortung legen das Fundament, auf dem Wirtschaft und Wissenschaft bauen. Beide müssen verantwortlich handeln, nach innen wie nach außen, wenn sie das Vertrauen der freiheitlichen Gesellschaft nicht verspielen wollen. Wo Wirtschaft oder Wissenschaft gegen Regeln verstoßen, da wird Vertrauen zerstört. Und wir wissen: Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen ist ungleich schwerer, als sie zu verspielen.

Ich bin froh, dass auf die Nachricht eines angeblichen Eingriffs in die menschliche Keimbahn von Zwillingen in China eine prompte und geschlossene Entgegnung folgte: aus den Reihen der Wissenschaft und der Politik, national wie international. Auch in Gesprächen in China während meines Staatsbesuches im Dezember waren die Reaktionen einhellig. Das lässt mich darauf hoffen, dass wir trotz unserer verschiedenen Auffassungen doch zu einer gemeinsamen ethischen Übereinkunft finden können, auf deren Basis wir hoffentlich bald auch die drängenden Fragen der Digitalisierung behandeln können. Denn den Herausforderungen des digitalen Zeitalters lässt sich am besten global begegnen.

Der Stifterverband hat Einfluss in solchen Fragen, und er mischt sich ein in die gesellschaftliche Debatte. Nur ein Beispiel: Im August vergangenen Jahres – noch vor dem Bekanntwerden der Geburt der mutmaßlich genmanipulierten Zwillinge – ist in Ihrem Podcast Forschergeist ein Gespräch zu Ethik und Genetik auf Sendung gegangen. Sie haben damals wichtige Fragen gestellt, die uns weiterhin bewegen.

Wer in einer zunehmend vernetzten Welt und im verschärften Wettbewerb bestehen will, der darf Probleme nicht nur beklagen, sondern der muss sie auch lösen. Damit uns das gelingt, brauchen wir akademisch und beruflich ausgebildete Fachkräfte, und wir brauchen sie in den Kernkompetenzen der deutschen Wirtschaft, in den Ingenieurswissenschaften, im Maschinenbau und eben in der Informationstechnologie. Und ja: wir brauchen genau dort auch mehr Frauen – und das heißt, mehr Anreize für Frauen, sich in diesen Bereichen zu qualifizieren und weiterzuentwickeln, ohne an gläserne Decken zu stoßen, ohne Gefahr zu laufen, sich nach einer Familiengründung hinten anstellen zu müssen.

Die eine Antwort auf alle drängenden Fragen gibt es nicht. Eine neue Lust auf Zukunft zu entfachen, kann uns nur gemeinsam, als Gesellschaft, gelingen. Ich vertraue darauf, dass der Stifterverband auch im kommenden Jahr eben darauf setzt: auf das Gespräch und das Zusammenwirken von Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik.

Lassen Sie uns unsere Möglichkeiten nutzen, ein hoffnungsvolles Zukunftsbild zu vermitteln, indem wir auf geistige Offenheit und Kreativität, auf Mut und Verantwortungsbewusstsein setzen!

Ich danke Ihnen.