Übergabe der "Statue-B" des Internationalen Auschwitz Komitees

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 31. Januar 2019

Der Bundespräsident hat am 31. Januar bei der Übergabe der "Statue-B" des Internationalen Auschwitz Komitees in Schloss Bellevue eine Ansprache gehalten: "Ich fühle mich sehr geehrt, dass Sie mir heute diese Anerkennung widmen. Aber ich sage Ihnen ehrlich: nicht nur wegen der heutigen Rede und Gedenkstunde im Deutschen Bundestag, sondern vielmehr im Wissen darum, was Deutsche Juden und anderen angetan haben, waren da auch Zweifel, ob ich, als Repräsentant dieses Landes, zu den Geehrten gehören darf."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Übergabe der "Statue-B" durch den Auschwitz-Überlebenden Leon Schwarzbaum sowie die Künstlerin Michèle Déodat

Mir klingen noch Saul Friedländers Worte im Deutschen Bundestag im Ohr. Worte über das Unfassbare, das Unvorstellbare, das aber doch stattgefunden hat – millionenfach; was als deutsche Schuld tief in unsere Geschichte eingeschrieben und zugleich Grund für eine Verantwortung ist, die keinen Schlussstrich kennt.

Ich fühle mich sehr geehrt, dass Sie mir heute diese Anerkennung widmen. Aber ich sage Ihnen ehrlich: nicht nur wegen der heutigen Rede und Gedenkstunde im Deutschen Bundestag, sondern vielmehr im Wissen darum, was Deutsche Juden und anderen angetan haben, waren da auch Zweifel, ob ich, als Repräsentant dieses Landes, zu den Geehrten gehören darf.

Diese Zweifel wären stärker, und sie wären geblieben, würden nicht Überlebende wie Sie, Herr Schwarzbaum, wie Saul Friedländer und andere, so große Hoffnung in dieses heutige, in das andere Deutschland legen.

Deshalb darf ich sagen: Es ist mir eine große Ehre, dass Sie mich heute mit dieser Auszeichnung in die Reihe jener stellen möchten, die sich Jahre und jahrzehntelang gegen den Antisemitismus stark gemacht haben.

Ihre Auszeichnung ist mir eine Ehre. Aber es darf eigentlich keine Freude sein, diesen Preis zu erhalten, weil es besser wäre, es bedürfte dieses Preises nicht! Es wäre besser, wir müssten nirgendwo – aber erst recht nicht in diesem Land, von dem Verbrechen, Schrecken ausgingen, von denen Saul Friedländer heute Morgen noch einmal erzählt hat –den Kampf gegen den Antisemitismus, gegen den menschenverachtenden Hass auf Jüdinnen und Juden führen!

Doch, ja! Wir müssen es. Wir müssen es sogar wieder stärker und entschiedener tun!

Nein, der Antisemitismus ist nicht überwunden – auch nicht in unserem Land. Er zeigt sein böses Gesicht in vielfältigem Gewand: in tumben Parolen von Hass und Gewalt, und in extremen Handlungen wie dem Verbrennen der israelischen Fahne. All das mussten wir auf deutschen Straßen und Plätzen wieder erleben.

Aber er zeigt sich auch und immer unverfrorener, in dem weniger lauten Pflegen und Verbreiten von Vorurteilen gegenüber dem, was einige für das eigentlich Jüdische halten. Er zeigt sich, wenn immer mehr Jüdinnen und Juden beschimpft, ausgegrenzt und beleidigt werden. Viel zu viele erleben das zunehmend in den letzten Jahren.

Und, vor allem auch das: Er zeigt sich, dieser Antisemitismus, wenn völkisches Gedankengut wieder Einzug hält in politische Reden. Er zeigt sich, wenn manche voller Inbrunst die Wiederkehr des Nationalismus fordern, dessen entfesselter Wahn dieses Land und ganz Europa in die Katastrophe gestürzt hat.

Nichts davon, keinen lauten Antisemitismus und keinen leisen, keinen alten und keinen neuen, dürfen wir in Deutschland hinnehmen. Antisemitismus darf keinen Platz haben in dieser Republik!

Am 9. November haben wir hier in Berlin der Reichspogromnacht vor 80 Jahren gedacht. Jeanine Meerapfel stellte dort die Frage: Kann man als Jude in diesem Land leben? Meine Antwort war: Es ist unsere Pflicht, die Pflicht der deutschen Politik, dafür zu sorgen, dass diese Frage kein Jude in Deutschland mit Nein beantwortet. Denn in einem Land, in dem Juden nicht leben können, können und wollen wir alle nicht leben. Nur wenn Juden sich in Deutschland vollkommen sicher und zuhause fühlen, ist auch diese Bundesrepublik vollkommen bei sich.

Ihre Gabe der Erinnerung hält mir dieses Versprechen plastisch vor Augen. Wir brauchen Erinnerung, um die Zukunft friedlich zu gestalten. Deshalb geht mein besonderer Dank auch an die vielen Auszubildenden von Volkswagen, die sich für den Erhalt der Gedenkstätte Auschwitz engagieren, und die auch diese Statue B gefertigt haben. Ich danke dem Internationalen Auschwitz Komitee für seinen jahrzehntelangen Einsatz zur Bewahrung der Erinnerung!

Danke für die Auszeichnung und danke, dass Sie heute Morgen hergekommen sind.