Festakt "70 Jahre Deutsche Presse-Agentur"

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 1. Juli 2019

Der Bundespräsident hat beim Festakt zum 70-jährigen Bestehen der dpa am 1. Juli in Berlin eine Rede gehalten: "Die Demokratie braucht den Journalismus. Nicht irgendeinen Journalismus, auch keinen, der Geschichten erfindet oder manipuliert, sondern einen, der recherchiert, prüft und analysiert, bevor er publiziert. Sie ist im Dauerfeuer der News und Fake-News mehr denn je auf verlässliche Quellen wie die dpa angewiesen, auf eine Gewichtung und Einordnung von Nachrichten."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei der Festveranstaltung 70 Jahre Deutsche Presse-Agentur in Berlin.

Ich danke Ihnen herzlich für die Einladung. Bevor ich zum großen Lob einer großen Institution ansetze, wie es sich in einer Festrede gehört, lassen Sie mich ein wenig ausholen. Eine gewisse Eitelkeit gehöre zum Metier, hat Heribert Prantl einmal über den Journalismus gesagt. Es sei, ein wenig wie in der Schauspielerei, ein extrovertiertes Gewerbe.

Das mag richtig sein und ist doch nur ein Teil der Wahrheit. Denn der Journalismus hat auch eine ganz uneitle Seite. Er ist nicht nur dort besonders gut, wo er mit geschliffen formulierten Autorenstücken glänzt. Das kann dpa auch – in den Korr-Berichten findet sich manches große Stück, das ich gerne und mit Gewinn lese. Der Agenturjournalismus ist aber auch und gerade dort besonders gut, wo der Autor im Schatten seines Textes steht, mitunter ganz verschwindet, weil er hinter seinen Text zurücktritt. Der Nachrichtenredakteur ist keine Ich-AG, und noch weniger kann man sich eine Nachrichtenagentur vorstellen, die von lauter Individuen mit ausgeprägtem Ego getragen wird. Und die gibt es offensichtlich nicht nur in der Politik. Dass der journalistische Narziss auch auf Abwegen unterwegs sein kann, sogar vielfach dafür ausgezeichnet wird, haben wir ja leider unlängst erfahren müssen.

Eine Nachrichtenagentur macht keine Nachrichten, jedenfalls nicht in eigener Sache.

Das gilt auch für die dpa. Die eine Ausnahme der ersten dpa-Meldung, die am Morgen des 1. September 1949 über die Fernschreiber lief, haben wir ja bereits gehört. Nur einen Satz daraus möchte ich noch einmal wiederholen.

Die Pflege der objektiven Nachricht und die Unabhängigkeit von jeder staatlichen, parteipolitischen und wirtschaftlichen Interessengruppe werden das Merkmal der neuen Agentur sein.

Objektivität und Unabhängigkeit – das klingt vertraut. Und dringt doch aus einer Zeit zu uns, die unter ganz anderen Vorzeichen stand.

An diesem 1. September 1949, zehn Jahre nach Kriegsbeginn, vier Jahre nach seinem Ende, war vielleicht nicht allen, die diese Meldung lasen, aber doch den meisten klar, dass der Trümmerberg, auf dem man saß, und die Gründung einer unabhängigen deutschen Nachrichtenagentur durchaus etwas miteinander zu tun hatten.

Das eine war sozusagen die Folge des anderen. Der materiellen Zerstörung des Landes war eine moralische vorausgegangen, und unter dem Schutt der Städte lag auch die einst große und bewunderte liberale deutsche Presse.

Ihre Unabhängigkeit hatte sie schon 1933 eingebüßt, ihre jüdischen, sozialdemokratischen und liberalen Verleger und großen Autoren waren ins Exil vertrieben oder ermordet worden. Und ohne sie gab es keine Wiederbelebung der Vossischen Zeitung mehr oder der Frankfurter Zeitung oder des Berliner Tageblatts. Der Verlust war total und nicht zu ersetzen.

Die deutsche Nachrichtenagentur der Weimarer Republik dagegen, das Wolffsche Telegraphenbüro, war zeit ihrer Existenz nicht frei von staatlicher Beeinflussung und 1934 im Hugenberg-Konzern aufgegangen, der sie mit seiner Telegraphen-Union zum Deutschen Nachrichtenbüro verschmolz – einem Instrument der Propaganda.

Eine freie Presse kannten die Deutschen nach dem Krieg also nur, sofern sie schon vor 1933 Zeitungen gelesen hatten. Eine deutsche Nachrichtenagentur, die völlig frei von staatlicher Einflussnahme agieren konnte, hatte nie existiert.

Zum Zeitpunkt ihrer Gründung war die Deutsche Presse-Agentur also ohne Beispiel in der deutschen Geschichte.

Die Gründung der Deutschen Presse-Agentur bedeutete einen Bruch mit der Vergangenheit und einen radikalen Neuanfang. Das Versprechen, die Nachrichtenübermittlung werde sich fortan um Objektivität und Unabhängigkeit bemühen und so zu einer objektiven und unabhängigen Berichterstattung beitragen, gehört, wie die Pressefreiheit selbst, zu den Gründungsversprechen der Bundesrepublik Deutschland.

Und nun komme ich zu dem Lob, auf das Sie alle so ausdauernd und geduldig gewartet haben: Wenn wir heute, sieben Jahrzehnte nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und der Gründung der dpa, nach den Gründen für das Gelingen unseres demokratischen Weges - trotz der erlebten Abgründe der Diktatur – fragen, dann ist eben die Deutsche Presse-Agentur ein Teil der Antwort. Sie hat zum Gelingen dieser Demokratie beigetragen. Und dafür gebührt ihr Dank, auch der Dank des Bundespräsidenten.

Inzwischen sind Information und Kommunikation nicht mehr nur Lebenselemente moderner gesellschaftlicher Strukturen, so hatte es noch die Festschrift zum 25. Jubiläum der dpa formuliert, sie sind heute eher der Motor einer Informationsgesellschaft, die mehr denn je angewiesen ist auf einen unbehinderten Nachrichtenfluss. Unbehindert natürlich durch Zensur oder staatliche Reglementierung, aber auch ungehindert durch absichtsvolle Manipulation.

Nachrichtenagenturen waren lange die einzigen Institutionen, die diesen freien Fluss von Nachrichten garantierten und über ihn wachten. Die Prüfung von Nachrichten sollte einer Meldung immer vorausgehen. Tatsächlich haben wir besser gearbeitet, geschlafen und übrigens auch regiert, als das Nachrichtengeschäft noch eine Profession war, die all das voraussetzte. Als wir uns vor allem noch mit Dingen beschäftigt haben, die tatsächlich stattfinden, und nicht nur mit dem, was gefühlt stattfindet. Wie übrigens auch das minütliche Absetzen von Tweets die Qualität der Politik nicht gesteigert hat. Ich jedenfalls würde es begrüßen, wenn künftig nicht Zölle via Twitter erhöht und Kriege nicht via Twitter ausgelöst würden.

Aber wir werden weder das Rad zurückdrehen noch Entwicklungen aufhalten können. Was die Digitalisierung für Nachrichtenagenturen wie die dpa und die Arbeitsbedingungen von Nachrichtenredakteuren bedeutet, will ich Ihnen nicht erklären. Das wissen Sie besser als ich. Der Journalismus durchlebt grundstürzende Veränderungen; sie fordern uns, und sie überfordern uns mitunter auch: Alles, was geschieht oder als geschehen behauptet wird, erreicht uns als Leser, Hörer und Zuschauer nicht selten von jetzt auf gleich. Es bewegt uns, begeistert uns, verstört oder verängstigt uns, vor allem aber überwältigt es uns. Wer wirklich zur Kenntnis nehmen wollte, was ihm an tatsächlichen und vorgeblichen Nachrichten über zahllose Kanäle, auf Plattformen und über digitale Netzwerke angeboten wird, und wer noch dazu prüfen wollte, ob es sich um eine vertrauenswürdige Quelle und eine wahrheitsgemäße Darstellung handelt, müsste kapitulieren.

Der nie endende, nie versiegende Fluss an Informationsfetzen ist ein Nachrichtenkonfetti, das niemand mehr allein bewältigen kann. Doch bevor Algorithmen nicht nur über die Auswahl dessen entscheiden, was wir als Nachrichten angeboten bekommen, sondern auch deren Analyse und Aufbereitung übernehmen, würde ich gern dazwischenrufen: Noch ist es der Zauberer, der den Besen bewegt! Auch wenn wir Entwicklungen nicht aufhalten werden, so können wir sie doch beeinflussen.

Die Deutsche Presse-Agentur ist der beste Beweis für meine Behauptung. Denn sie beeinflusst unsere Kommunikation, indem sie beharrlich genau das macht, was sie seit siebzig Jahren macht: verlässliche, vertrauenswürdige Nachrichten liefern. Sie sind der Grundstoff jeder Parlamentsdebatte, auch jedes Artikels, der geschrieben wird. Fakten sind Fakten, wenn sie von dpa gemeldet werden. Und sind sie es einmal nicht, werden sie umgehend korrigiert. Dieses Vertrauen, meine Damen und Herren, haben Sie sich durch Ihre Arbeit erworben!

Was sich verändert hat, ist das Umfeld. Das Nachrichtengeschäft ist noch hektischer geworden. Die Digitalisierung stellt – bei allen Möglichkeiten, Vorteilen und Chancen, die sie bietet – auch das Geschäftsmodell des Agenturjournalismus auf die Probe. Und wir haben keine adäquate Antwort auf die Frage gefunden, wie Qualität und Erfahrung, wie Sorgfalt und Anspruch angemessen entlohnt werden können, wenn nur einen Mausklick weit entfernt der digitale Grabbeltisch mit kostenlosen Angeboten lockt. Wir werden weiter nach einer Antwort suchen müssen.

Denn die Demokratie braucht den Journalismus. Nicht irgendeinen Journalismus, auch keinen, der Geschichten erfindet oder manipuliert, sondern einen, der recherchiert, prüft und analysiert, bevor er publiziert. Sie ist im Dauerfeuer der News und Fake-News mehr denn je auf verlässliche Quellen wie die dpa angewiesen, auf eine Gewichtung und Einordnung von Nachrichten. Dafür braucht die Demokratie Journalisten, auch erfahrene Agenturjournalisten und Korrespondenten, sie braucht Blattmacher, Online- und Printredakteure. Die Demokratie braucht Auslandskorrespondenten und Reporter, die Lesern, Hörern und Zuschauern ein Bild der realen Welt vermitteln.

Es mag sein, dass die Demokratie auch Influencer braucht. Tatsächlich sind sie ja längst Teil der neuen Öffentlichkeit. Ich vermute, dass sie das tun, was früher einfach Kommentar und Meinung hieß. Wer einer pointierten Meinung zuhört, sollte wissen, was auch früher schon galt: In der kommentierten Welt lässt sich der Klimawandel sofort stoppen, die Krise per Knopfdruck beenden und der Frieden im Handumdrehen wieder herstellen. In der Realität leider nicht. Denn die Politik braucht nicht nur den Willen, auch Zeit für Lösungen. Die Vernunft kennt kein anderes Mittel als das Argument. Und kämpft häufig genug mit Interessen, denen das Vernünftige kein Anliegen ist.

Die Anforderungen an den seriösen Journalismus sind ja in Wahrheit nicht geringer: Ein Journalist, der überzeugen will, muss zunächst informieren. Er muss, was er selbst beobachtet und gehört hat, mit seiner Erfahrung abgleichen, es wahrheitsgemäß aufbereiten und weitergeben und den Lesern, Hörern oder Zuschauern so ermöglichen, sich ein Bild machen zu können. Denn wer urteilt – und das wollen die Leser –, sollte idealerweise auch verstehen können.

Denn der politischen Willensbildung geht die Meinungsbildung voraus.

Demokratie und Medien brauchen einander. Gemeinsam funktionieren können sie aber nur, wenn sie die professionelle Distanz zueinander wahren. Berichterstattung und Politik müssen je eigene Sphären bleiben – mit unterschiedlichen Spielregeln. Journalisten sollten keine Politiker sein wollen und umgekehrt. Nur so bewahrt der Journalismus seine Unabhängigkeit, und die Demokratie profitiert von einer kritischen Öffentlichkeit.

Gebraucht werden beide, Journalisten und Politiker. Zu meinem Entsetzen aber sind beide auch zunehmend Ziele von Angriffen. Physische Gewalt bis hin zum Mordversuch oder gar Mord, wie jetzt bei Walter Lübcke – das sind Anschläge auf unsere politische Kultur, auf unser Vertrauen in den inneren Frieden und auf die Demokratie.

Am Fall Lübcke wird sich zeigen, ob unser Land und seine Institutionen aus den Morden des NSU gelernt haben. Die bisherigen Erkenntnisse legen den Verdacht nahe, dass der Täter Helfer und Unterstützer hatte, dass die Tat vorbereitet worden ist, Waffen beschafft wurden, und dass er mit hoher Professionalität vorgegangen ist. Vieles deutet darauf hin, dass wir es hier mit einer neuen Dimension des Rechtsterrorismus zu tun haben, dem wir mit aller Entschiedenheit und unter Einsatz aller staatlichen Mittel entgegentreten müssen.

Von den Opfern der Familie Genç über Frau El-Sherbini, die vor genau zehn Jahren schwanger in einem Dresdner Gerichtssaal erstochen wurde, bis zu den Opfern der NSU-Mordserie. Fast 200 Menschen sind seit 1990 zu Opfern rechtsextremer Gewalt geworden. Dazu kommen zunehmende antisemtische Angriffe.

Die Demokratie braucht die scharfe Grenzziehung gegenüber denjenigen, die Gewalt in die politische Auseinandersetzung tragen. Sie braucht Sicherheitsbehörden, die Netzwerke und Querverbindungen aufdecken und handlungsunfähig machen, und sie braucht vor allem Menschen, die sich für die Demokratie engagieren. Denn wir können die Demokratie nur zusammen erhalten. Wir brauchen demokratische Politik ebenso wie den kritischen Journalismus und seine mündigen, informierten und kritischen Leser. Wir brauchen Leser, die fragen und etwas erfahren wollen, bevor sie einen Like senden oder einen Link teilen, die das Netz und die digitalen Medien für einen zivilisierten Austausch, für Debatten nutzen und nicht als Plattform für Aufrufe zu Demütigung, Herabwürdigung und Hass.

Und deshalb lautet meine Bitte an die Gesellschafter der dpa: Lassen Sie sich nicht von der Digitalisierung erobern, sondern erobern Sie die digitale Welt! Denken Sie an das Versprechen jenes allerersten Satzes vor 70 Jahren: Objektivität und Unabhängigkeit – dieser hehre Anspruch ist nicht von gestern. Im Gegenteil: In der Dauererregung ist er notwendiger denn je. Ich glaube, sie ist möglich, die digitale Moderne mit Vernunft, Mündigkeit und Demokratie. Und wer in dieser Moderne leben will, der braucht einen guten, anspruchsvollen Journalismus, und der muss ihn sich etwas kosten lassen.

Ihnen will ich raten: Investieren Sie – in einen Journalismus, der informiert und aufklärt! Erhalten Sie die Ressourcen der dpa, auch und vor allem die personellen Ressourcen! Denn nur so kann Erfahrung generationenübergreifend weitergegeben werden. Und ich meine damit nicht nur, die Erfahrung der älteren Generation an die jüngere. In Zeiten des digitalen Umbruchs muss der Erfahrungsaustausch auch in umgekehrter Richtung gewährleistet sein. Dass das Geld kostet, ist mir wohl bewusst, aber es ist gut investiert.

Mir scheint, das ist schließlich auch der Sinn einer Feierstunde wie dieser. Zurückzublicken und zu sehen, was gut war, aber auch nach vorn zu schauen, um sich Neues zu erschließen. Wem an der Demokratie in unserem Land gelegen ist, der wird auch die Deutsche Presse-Agentur erhalten wollen, und wer investiert, um das Erreichte für die Zukunft zu sichern, der macht sich verdient um beide, die Demokratie und den unabhängigen Journalismus!