Abschlussveranstaltung der Kampagne "Freiheit ist unser System. Gemeinsam für die Wissenschaft" der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zu 70 Jahren Grundgesetz

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 26. September 2019

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 26. September bei der Abschlussveranstaltung der Kampagne "Freiheit ist unser System. Gemeinsam für die Wissenschaft. 70 Jahre Grundgesetz" der Allianz der Wissenschaftsorganisationen in Berlin eine Rede gehalten: "Gesellschaftlicher Fortschritt braucht die Grundlage Ihrer Erkenntnisse. Die großen Zukunftsthemen brauchen nicht nur den emotionalen, sondern auch den gut informierten Streit."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede bei der Abschlussveranstaltung "Freiheit ist unser System. Gemeinsam für die Wissenschaft. 70 Jahre Grundgesetz" im Futurium in Berlin

Wie schön, heute bei Ihnen zu sein zum Abschluss dieser ebenso wichtigen wie vielfältigen Reihe zur Wissenschaftsfreiheit, mit der Sie den 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes begleitet haben.

Das freut mich sehr! Sie ahnen nicht, wie zäh es vor anderthalb, zwei Jahren war, überhaupt Interesse für dieses Jubiläum zu wecken. Der eine war der Meinung, man sollte eher das 75. Jubiläum feiern. Andere hatten Zweifel, ob man es genügend als gesamtdeutsches Jubiläum herausstellen könnte. Und es gab viele Gründe, die für die eine oder andere Institution und Organisation dagegen sprachen. Ich freue mich, dass sich die Haltung geändert hat. Es haben viele Veranstaltungen stattgefunden – nicht nur ernste Reden, sondern auch bunte Veranstaltungen mit großer, breiter Beteiligung, etwa bei uns in Bellevue; natürlich auch Feierlichkeiten im Deutschen Bundestag oder beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Noch mehr freue ich mich darüber, dass und wie Sie, die wissenschaftliche Community unseres Landes, diesen Anlass begehen.

Es tut gut, zu sehen, wie klar und deutlich unsere Wissenschaft bei einem so wichtigen Thema – der Verfasstheit unserer Gesellschaft – mit einer Stimme sprechen kann. Der Allianz der Wissenschaftsorganisationen und Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank dafür! Und danke für die Einladung!

Schön ist auch, Sie hier zu sehen, in einem Haus der Zukunft, lieber Herr Staatssekretär Lukas, lieber Herr Brandt – einem Haus der Zukünfte, wie Sie selbst sagen, dem neuen Futurium im Herzen Berlins. Der Rundgang eben hat mich neugierig gemacht auf all die Möglichkeiten zur Gestaltung unserer Zukunft, wie sie hier im Futurium erlebbar und gerade auch für junge Menschen greifbar gemacht werden. Und ebenso neugierig bin ich auch auf das, was wir vom Futurium selbst künftig noch erwarten dürfen.

Wir leben ja nicht gerade in optimismusverwöhnten Zeiten. Dunkle Wolken prägen das Alltagsbild in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Medien: Verunsicherung, Verzagtheit, Frust. Das Morgen wird ungemütlicher als das Heute, so fürchten viele, und immer mehr suchen Zuflucht im Gestern.

Ich finde, umso wichtiger ist dieses Haus der Zukünfte. Ich wünsche mir, dass dieser Ort unser Land an das erinnern wird, was uns stark gemacht hat, nämlich unsere Fähigkeit zur Innovation, unser Vertrauen, dass der wissenschaftliche und technologische Fortschritt unserer gesamten Gesellschaft dienen kann und soll, kurz gesagt: was uns immer ausgemacht hat, unsere Lust auf Zukunft. In diesem Sinne wünsche ich dem Futurium viel Erfolg – hoffentlich auch weit über den Dunstkreis der Hauptstadt hinaus! Der Anfang ist gut gelungen – herzlichen Glückwunsch dazu!

Verehrte Frau Wintermantel und Frau Brockmeier, verehrte Präsidenten der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, Ihre Statements im Film, den wir eben gesehen haben, sprechen eine klare Sprache. Sie rufen uns – pünktlich zum Verfassungsgeburtstag – deutlich und unmissverständlich zu, dass wir in sieben Jahrzehnten unter diesem Grundgesetz etwas geschafft haben, worauf wir stolz sein können, nämlich einen großen Konsens über die Freiheit der Wissenschaft in unserem Land.

Ich füge hinzu: Zum Glück ist das so, allen Anfechtungen zum Trotz und weit über die Wissenschaftsgemeinde hinaus!

Diesen Konsens kann man in zwei Sätzen zusammenfassen.

Erstens nämlich: Die Freiheit der Wissenschaft ist ein hohes Gut in unserer Demokratie, als Grundrecht verbrieft durch unsere Verfassung, und wir alle sind gehalten, sie zu pflegen, zu schützen und nötigenfalls auch zu verteidigen.

Und zweitens: Zur Freiheit der Wissenschaft gehört in der liberalen Demokratie geradezu spiegelbildlich auch eine Erwartung, nämlich die Erwartung an die Verantwortung der Wissenschaft für die Welt, die sie erforscht, für die Gesellschaft, in der sie forscht, für Mensch und Natur ganz allgemein.

Freiheit und Verantwortung: Die wissenschaftliche Freiheit, die wir schützen müssen, und die Verantwortung, die aus dieser Freiheit erwächst, sie beide gehören untrennbar zusammen.

So, meine Damen und Herren, wär‘s das dann auch schon? Ein kurzer Film, eine kurze Zusammenfassung durch den Bundespräsidenten: Wissenschaftsfreiheit bestätigt, einen Schritt näher am Buffet.

Nein, die Einigkeit in diesem Raum ist wohl kaum repräsentativ für den Zustand der Welt. Wir sehen Angriffe auf die freie Wissenschaft – weltweit und sehr konkret.

Dazu brauchen wir nicht einmal in andere Weltteile schauen, in die starken oder neu erstarkenden autokratischen Systeme etwa, wo Freiheit nur wenig gilt, in Länder, in denen die Wissenschaft Autorität und Ideologie zu dienen hat.

Dazu müssen wir auch nicht erst über den Atlantik blicken, wo jahrzehntelang erarbeitete wissenschaftliche Erkenntnisse mit einem kantigen Tweet beiseite gewischt werden – und schlimmstenfalls die öffentliche Unterscheidbarkeit zwischen dem einen und dem anderen gleich mit.

Nein, dazu müssen wir nur auf Europa schauen, wo eine ganze Universität außer Landes getrieben wird, wo sich manche Wortführer schon eine Welt ohne vermeintlich lästige Experten wünschen, ohne kritische Geister und mit einer Wissenschaft, die sich ganz der politischen Linie untertan macht.

All das muss uns besorgen. Und mehr als das: Wir müssen unsere Stimme erheben, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Druck stehen, und wir müssen helfen, wo wir es können – zum Beispiel auch dann, wenn Forscherinnen und Forscher aus diesen Ländern Zuflucht bei uns suchen.

Der Zustrom von bedrohten Wissenschaftlern zeigt: Dieses Deutschland – mit seiner wahrhaft schwierigen Geschichte – ist heute vielen Hoffnung und ein Hafen der Vernunft geworden, ein Partner für jene, die weltweit die Freiheit des Geistes und die Freiheit des Wortes einfordern. Lassen Sie uns diesen Anspruch bitte bewahren!

Ja, die Wissenschaftsfreiheit gilt etwas in diesem Land. Aber ein Grund zum Ausruhen ist das nicht! Gerade in dieser Weltlage, gerade weil wir tagtäglich sehen oder hören können, wie Wissenschaftsfreiheit angefochten wird, sollten wir uns doch selbst fragen, wie wir dieses uns so teure Grundrecht für die Zukunft absichern können.

Ich will auf drei Bereiche besonders eingehen.

Erstens hat wissenschaftliche Freiheit immer auch eine materielle Komponente. Sie, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unseres Landes, haben Anspruch auf ein starkes finanzielles Fundament. Spitzenforschung auf internationalem Niveau, wie wir alle sie uns wünschen, genauso aber geistige Unabhängigkeit und Kreativität, all das bedarf einer angemessenen Ausstattung. Unser Land muss sich in dieser Hinsicht sicherlich nicht verstecken, gerade nach den steigenden Investitionen in den letzten anderthalb Jahrzehnten. Aber diesen Anspruch zu erhalten, wird in den kommenden Jahren zumindest nicht einfacher. Dazu gehört, dass Universitäten und Forschungseinrichtungen sich der Bedingungen ihrer Unabhängigkeit bewusst bleiben und sie in jede Richtung verteidigen – das gilt in Richtung Politik, aber das gilt auch im Bereich der Drittmittel, etwa aus der Wirtschaft. In meinen Augen steht aber eines fest: Für die materiellen Grundlagen der Wissenschaft trägt zuallererst der Staat die Verantwortung – und es schadet nicht, wenn Sie ihn immer mal wieder daran erinnern.

Zweitens muss wissenschaftliche Freiheit nicht nur an der Spitze gelten, sondern auch für den Nachwuchs. Ich wünsche mir Universitäten als Orte, an denen Demokratie eingeübt wird. Und damit die Uni ein Ort der Demokratie sein kann, muss sie zuallererst ein Ort der Freiheit sein. Manche beklagen, dass das Studium heute dem Einzelnen zu wenig Raum gibt zur Sinnsuche und zur Verortung in der Gesellschaft. Ich halte das für etwas übertrieben. Aber bei aller Strukturierung und Leistungssteigerung durch Bologna, mit Bachelor und Master, Modulen und Benotung ist doch eines wichtig: Die Freiheit der Studierenden, von der Wahl des Studienwegs bis hin zur intellektuellen Entfaltung über die Grenzen des eigenen Fachs und des eigenen Landes hinweg, diese Freiheit gehört in den Kern akademischer Bildung, und dort sollte sie bleiben.

Und später, bei den Doktoranden und Assistenten, ist es natürlich auch die Freiheit zur Entwicklung eigener Forschungsschwerpunkte, gut betreut, aber unbeschwert von überkommenen Abhängigkeiten und überschießender Einflussnahme durch die Altvorderen. Denn die Wissenschaftsfreiheit, zu der wir uns heute miteinander bekennen, die beginnt ja nicht erst mit der W-Besoldung, sondern die brauchen ganz gewiss auch wissenschaftliche Mitarbeiter, Doktorandinnen und Postdocs.

Drittens schließlich, und das ist der wichtigste Punkt, müssen wir die Freiheit der Forschung in der Gesellschaft absichern. In meinen Augen gelingt das nur, indem wir Vertrauen in ihre Verfahren und Vorgehensweisen stiften und, wo nötig, erneuern.

Das berüchtigte post-faktische Zeitalter ist ja nicht nur in anderen Weltteilen ausgebrochen. Auch in Deutschland sagen bereits 43 Prozent der Befragten, dass Fakten Ansichtssache seien. Dieser Befund kann und muss uns beunruhigen. Wir müssen seine Gründe verstehen, ja – aber mehr noch: Wir müssen damit umgehen!

Ich glaube: Wo das Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse selbst fehlt, da ist das Vertrauen in den Prozess, in dem diese Erkenntnisse entstehen, umso wichtiger. Der Prozess muss glaubwürdig sein – indem er sich nicht in den Dienst vordergründiger Interessen stellt. Indem er auf nachvollziehbare Argumente setzt, auf überprüfbare Fakten, auf transparente Methodik. Und indem er ehrlich unterscheidet zwischen gesicherten Erkenntnissen und Hypothesen, die auch in der Wissenschaft selbst noch umstritten sind.

Die Wissenschaft darf – unter dem Druck einer polarisierten Öffentlichkeit – nicht zu einer Meinungsblase unter vielen verkommen. Deshalb will ich alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermutigen: Beteiligen Sie sich auch weiterhin am wissenschaftlichen Prozess mit dem Ehrgeiz und dem Anspruch, an der Produktion von Wahrheit mitzuwirken. Denn gesellschaftlicher Fortschritt braucht die Grundlage Ihrer Erkenntnisse. Die großen Zukunftsthemen brauchen nicht nur den emotionalen, sondern auch den gut informierten Streit!

Ja, für das Vertrauen in Wissenschaft muss verantwortliche Politik einstehen und werben – aber um dieses Vertrauen muss auch die Wissenschaft selbst immer wieder bemüht sein. Das wissen Sie alle, und Sie tun es! Ohne Vertrauen in die Forschung jedenfalls wird die Gesellschaft blind für die Chancen der Zukunft und die Wissenschaft zum leichten Ziel für Feinde der Freiheit!

Was hier noch sehr allgemein klingt, ist von höchster praktischer Relevanz, wie Sie gleich sehen werden: Vor einigen Monaten war ich in Island, einem kleinen Land am äußersten Rand Europas, das die Auswirkungen des menschgemachten Klimawandels existenziell zu spüren bekommt. Sie können sich denken, was es für ein Land, das das Eis sogar im Namen trägt, bedeutet, wenn erste Gletscher – schon heute – aufhören zu existieren. Wenn sich nicht nur das Klima verändert, sondern das Land sich mit dem schwindenden Gewicht der Gletschermassen zu heben beginnt.

Wie oft bei solchen Reisen hatte ich auch Gäste aus Deutschland eingeladen, unser Land zu vertreten. Darunter sind immer wieder auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – auch so mancher und manche in diesem Saal –, und ich bin froh darüber.

Nun saßen wir auf jener Islandreise und diskutierten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über den Klimawandel, und eines war klar: Die Echtheit der Fakten hat bei dieser Debatte niemand infrage gestellt. Die Daten und deren Interpretation waren nicht das Thema.

Thema war vielmehr, warum die Politik nicht handelt, wieso die Politik ihrer Verantwortung nicht gerecht wird, weshalb die Politik – die der Wissenschaft doch nur endlich zuhören müsse! – die notwendigen Maßnahmen schleifen lässt.

Damit bin ich bei einem weiteren, dem aktuellsten Thema, das mich in diesen Tagen ganz besonders bewegt, auch sorgt, und über das wir sprechen müssen, wenn es um Wissenschaftsfreiheit und -verantwortung geht: das Verhältnis von der Wissenschaft und der Politik nämlich.

Gerade beim Großthema unserer Zeit, beim Klimaschutz, sehe und höre ich viel Unverständnis, viel Enttäuschung, viel Verdruss, wenn aus der Wissenschaft auf die Politik geschaut wird. Ich sehe und höre, wie der Politik – nicht nur auf Präsidentenreisen, sondern jeden Tag in den Medien, auf den Marktplätzen des ganzen Landes – unter Verweis auf wissenschaftliche Fakten so etwas wie Unwillen und blankes Versagen vorgeworfen wird.

Natürlich erwarten Sie nicht, dass ich jetzt einzelne Entscheidungen kommentiere. Als Bundespräsident kann es mir nicht darum gehen, der einen oder der anderen Seite einfach und oberflächlich beizuspringen. Sondern in meiner Rolle muss es mir darum gehen, nach Möglichkeiten zu suchen, wie die beiden Ebenen zueinander finden.

Damit meine Position klar ist: Jede Ungeduld ist berechtigt. Und Kritik ist notwendig. Natürlich liegt das Heft des Handelns zuallererst bei der Politik. Ebenfalls richtig ist, dass Deutschland, das einmal Vorreiter bei Klimaschutz und bei der Entwicklung der erneuerbaren Energien war, Gefahr läuft, diese Position, was noch schlimmer wäre: diesen Ehrgeiz zu verlieren. Wir haben uns, und zwar schon vor Jahren, ehrgeizige Ziele gesetzt – jetzt zählt der politische Wille, die gesteckten Ziele auch wirklich zu erreichen! Daran muss Klimapolitik sich messen lassen, und dafür muss sie mutig und entschieden handeln.

All das ist richtig. Die Dringlichkeit des Handelns kann niemand infrage stellen, kann keiner mehr leugnen. Aber wir befinden uns in dem, was man sehr altfränkisch ein Spannungsverhältnis nennt. Carl Friedrich von Weizsäcker hat die Maxime geprägt, es sei die erste Verantwortung des Wissenschaftlers, die Verflechtung von Erkenntnis und Weltveränderung zu erkennen.

Ja, Erkenntnis und Weltveränderung sind eng verflochten – aber sie sind eben nicht ein und dasselbe!

Schade eigentlich, mag der eine oder andere von Ihnen denken, und der alte Platon würde Ihnen vermutlich zustimmen. Wir bräuchten Philosophenkönige – stattdessen haben wir Unterausschüsse, Gipfeltreffen und Klimakabinette.

Als Bundespräsident stehe ich hier nicht, um Politik zu rechtfertigen – erst recht nicht einzelne Entscheidungen, die die Koalition zum Klimaschutz getroffen hat. Aber eines darf ich vielleicht auch in diesem Kreis sagen: Demokratie ist nicht dasselbe wie Wissenschaft. Und vor allen Dingen: Demokratie funktioniert nicht wie Wissenschaft. In der Demokratie zählen nicht allein der messerscharfe Verstand, Bestenauslese, Peer Review und Impact Factor. Die Politik in der Demokratie folgt eigenen Regeln. Sie sollte nicht schon deshalb – auch nicht von der Wissenschaft – als prinzipiell entscheidungsunfähig oder gar störend abgetan werden.

Wissenschaft ist ihrem Wesen nach zuallererst erkenntnisorientiert – Politik ihrem Wesen nach handlungsorientiert. Das bedeutet: Demokratie braucht Wissenschaft – unbedingt sogar! –, aber Demokratie braucht auch noch das ein oder andere mehr: das Abwägen von Sichtweisen und Prioritäten, den Ausgleich von Interessen, das Werben um Mehrheiten, das Ringen um Kompromisse, die Verantwortung für die, die auf der Straße des Fortschritts zurückbleiben oder die von der Dynamik gesellschaftlicher Transformation besonders hart getroffen sind.

Nicht nur in der Diskussion auf der Islandreise hatte ich aber den Eindruck, dass wir geradezu in unterschiedlichen Sprachen aneinander vorbeireden. Dass wir zunehmend in die Falle laufen, die Wissenschaft und die Politik als zwei umeinander kreisende Planeten zu betrachten, die sich abgehackte Funksprüche im Kommandoton zumorsen und sich dann rituell übereinander ärgern, wenn die Gegenseite nicht sofort Roger zurückfunkt.

Mein wichtigstes Anliegen heute ist dies: Unverständnis und Sprachlosigkeit dürfen nicht zum Modus zwischen Wissenschaft und Politik werden!

Und das fordert beide Seiten! Politik, auf der einen Seite, darf eben nicht den einfachen Weg gehen, den Weg des kleinsten gemeinsamen Nenners, des geringsten Widerstandes. Politik soll treiben – und nicht Getriebene sein, wie es beim Klimawandel gelegentlich den Anschein hat. Politik muss den Mut haben, auch den großen Schritt zu wagen. Politik kann die Spielräume nutzen, die gerade zurzeit von der Zivilgesellschaft eröffnet werden.

Und gerade bei einem so hochkomplexen Thema wie dem Klimawandel gilt: Politik braucht Sachverstand und Evidenz. Politik sollte wieder häufiger den Weg in Seminarräume und Labore suchen. Politik muss sich immer wieder zumuten, den Rat von Experten einzuholen, sie muss auf wissenschaftliche Expertise setzen – und diese Expertise auch gegen die notorischen Vereinfacher, Stimmungsmacher und Populisten verteidigen.

Aber mein Appell gilt auch umgekehrt. Auch die Wissenschaft, gerade weil sie besondere Freiheiten und Privilegien genießt, trägt eine besondere Verantwortung für das Gelingen von Demokratie. Das heißt zuallererst, dass sie sich selbst und der Öffentlichkeit gegenüber ehrlich und transparent bleibt in der Weber’schen Unterscheidung von Sach- und Werturteil. Und das heißt im Weiteren: Wenn Wissenschaft normativ urteilt, wenn sie notwendige Veränderungen erkennt, dann muss sie bereit und in der Lage sein, in Politik und Gesellschaft hineinzugehen und zu erklären, zu werben, zu vermitteln. Sie muss bereit sein, Teil der demokratischen Debatte zu sein, und nicht die eigene, singuläre Erkenntnis so absolut setzen, dass die Vielstimmigkeit und Komplexität der Demokratie am Ende nicht mehr als Weg zur Lösung, sondern als Hindernis erscheint. Das kann am Ende auch nicht das Interesse einer Wissenschaft sein, die Demokratie als Konstituent ihrer Freiheit sieht.

Kurzum, unser Weg darf nicht heißen: Wissenschaft gegen Politik – und erst recht nicht gegen demokratische Politik.

Wir haben es beim Klimawandel gewiss mit dem sprichwörtlichen Gordischen Knoten zu tun. Und den schlägt außerhalb der griechischen Sagenwelt kein Akteur – und kein Gesetzespaket – alleine durch. Wenn wir aber – im Frust über diesen Zustand – anfangen, jeder für sich und gegeneinander am Knoten zu zerren, so zieht er sich nur fester zu. Mein Wunsch ist dieser: Bleiben wir beieinander, und fordern wir von der Demokratie auch weiterhin nicht mehr, aber auch nicht weniger als das, was sie ist: der Raum zum gemeinsamen Knotenlösen!

Alles andere ist Apokalypse. Und – ich weiß nicht, wie Sie das sehen – Apokalypse lähmt. Sie ermutigt nicht. Sie macht Angst, wo wir Mut zur Veränderung brauchen. Sie lässt den Zweifel größer aussehen und jedes Engagement vergeblicher.

Das ist meine Bitte an die Wissenschaft:
Bleiben Sie beharrlich!
Erklären Sie, was zu erklären ist – wenn nötig, mehr als einmal!
Zeigen Sie die Perspektive!
Machen Sie Mut!
Erhellen Sie unsere Demokratie!
Und die ganz große Bitte: Mischen Sie sich ein!

Vielen Dank.