Mahnwache für die Opfer der Gewalttat in Hanau

Schwerpunktthema: Rede

Hanau, , 20. Februar 2020

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 20. Februar auf dem Hanauer Marktplatz bei der Mahnwache nach der Gewalttat der vorangegangenen Nacht eine Ansprache gehalten: "Nehmen wir die Verantwortung an, die uns alle trifft, und achten wir auf unsere Sprache – in der Politik, in den Medien und überall in der Gesellschaft! Halten wir dagegen, wenn Einzelnen oder Minderheiten in unserem Land die Würde genommen wird!"


Ich stehe vor Ihnen als Bundespräsident, als Bürger dieses Landes, als Mensch, der wie Sie und wir alle an diesem Abend um Worte ringt. Was geschehen ist, was hier in Hanau geschehen ist, macht uns fassungslos. Es macht uns traurig. Es macht uns auch zornig.

Was geschehen ist, ist furchtbar. Denn geschehen ist, was wir alle doch zutiefst fürchten: geliebte Menschen zu verlieren. Nichts kann uns den Schmerz um sie nehmen. Nichts kann diese sinnlose Tat erklären. Und nichts wird sie ungeschehen machen können.

Viele, die heute Abend hier sind, sind voller Trauer, sind ratlos, fühlen sich alleingelassen. Aber gerade deshalb tut es gut, hier zu sein an diesem Ort, sich zu versammeln in aller Stille und gemeinsam zu trauern. In dieser Stunde hier auf diesem Platz spüren wir, dass wir nicht allein sind. Wir sagen das, wissend, dass sich in mehr als fünfzig Städten heute Abend in Deutschland zur gleichen Stunde Tausende, vermutlich Zehntausende Menschen zu Mahnwachen zusammengefunden haben und der Opfer von Hanau gedenken.

Wir spüren, dass es diese Gemeinschaft gibt, die Entsetzen und Wut teilt, aber eben auch Trauer, Anteilnahme und Solidarität zeigt. Eine Gemeinschaft, die wir alle brauchen, die jede Gesellschaft braucht – eine Gemeinschaft, die zusammenhält.

Zehn Menschen sind aus unserer Mitte gerissen. Und ihr Tod ist eine brutale terroristische Gewalttat, die uns auch in schrecklicher Weise an den Mord an Walter Lübcke und zuletzt an den Anschlag auf die Synagoge in Halle erinnert. Denn das heißt doch Terror: durch Gewalt und Tod Schrecken verbreiten, Angst machen, uns auseinandertreiben.

Heute ist die Stunde, in der wir zeigen müssen: Wir stehen als Gesellschaft zusammen. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir laufen nicht auseinander. Wir trauern. Wir nehmen Anteil, und wir sehen, dass wir eins sind in unserer Trauer, einig gegen Hass, Rassismus und Gewalt. Ich stehe an der Seite der Menschen, die von rassistischem Hass bedroht sind. Und wir gemeinsam stehen Seite an Seite gegen Gewalt und gegen eine Sprache der Ausgrenzung und Herabwürdigung, die der Gewalt allzu häufig den Weg bereitet.

Nehmen wir die Verantwortung an, die uns alle trifft, und achten wir auf unsere Sprache – in der Politik, in den Medien und überall in der Gesellschaft! Halten wir dagegen, wenn Einzelnen oder Minderheiten in unserem Land die Würde genommen wird!

Was geschehen ist, das schlägt eine tiefe Wunde in diese Stadt. Eine Wunde, die nur heilen wird, wenn wir Gemeinsamkeit nicht nur in der Stunde des Schreckens zeigen, sondern auch in den Tagen, die kommen; wenn wir Zeichen der Rücksichtnahme und der Solidarität setzen – Zeichen, die den Angehörigen, die um die Toten trauern, Kraft und Beistand geben. Rücksichtnahme und Solidarität aber auch, die wir als Gesellschaft brauchen, wenn wir den Zusammenhalt in unserem Land bewahren wollen.

Darum bitte ich Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, im Angesicht des Grauens heute und in dieser schweren Stunde der Trauer: Zeigen Sie Rücksichtnahme, zeigen Sie Solidarität! Wir stehen zusammen. Wir halten zusammen. Wir wollen zusammen leben und wir zeigen es, wieder und wieder. Es ist unser stärkstes Mittel gegen den Hass.

Vielen Dank.