Nach der Rückkehr von ihrer Reise nach Uganda und Ruanda im Februar gaben Bundespräsident Horst Köhler und seine Frau Eva Luise Köhler der Zeitschrift BUNTE ein Interview. Die Fragen stellte Tobias Lobe:

Schwerpunktthema: Interview

Berlin, , 21. Februar 2008

Ehepaar Köhler

BUNTE:Herr Bundespräsident, seit Jahren kämpfen Sie für ein besseres Afrika. Doch auf diesem Kontinent jagt eine Katastrophe die nächste. Sind Sie ein Träumer?

Horst Köhler:Ich bin Realist. Und der Realist in mir sagt, wenn wir diesem Kontinent und seinen Menschen nicht die nötige Aufmerksamkeit geben, dann wird uns auch in Deutschland manches einholen, was in Afrika ungelöst ist.

BUNTE:Gab es ein Schlüssel-Erlebnis für Ihr Afrika-Engagement?

Horst Köhler:Ja. Es war meine erste Reise durch Afrika im Jahr 2000. Es herrschte tiefe Verzweiflung, in Mosambik zum Beispiel, einem vom Bürgerkrieg zerstörten, geschundenen Land. Und doch habe ich gesehen, wie die Menschen sich nicht unterkriegen ließen, wie besonders die Frauen nicht aufhörten, das Beste für ihre Kinder zu tun, was noch möglich war. Da habe ich Würde erlebt, mitten in der Not. Das hat mich tief berührt und in mir bestärkt, was ich für wichtig halte: dass wir auf diesem Planeten auf Mitmenschlichkeit angewiesen sind - und dass wir als Christen dazu etwas beitragen können.

BUNTE:Was haben Sie für Afrika erreicht?

Horst Köhler:Das Urteil überlasse ich anderen. Man braucht jedenfalls einen langen Atem, und es gibt auch immer wieder Rückschläge, wie jetzt in Kenia. Aber ich beobachte schon, dass mir die Menschen in Afrika Vertrauen entgegenbringen. Und zwar nicht, weil ich mit dem großen Geldsack auftrete - den habe ich ja nicht als Bundespräsident - sondern weil ich versuche, zuzuhören.

BUNTE:Ihre wichtigste Botschaft aus Afrika für die Deutschen?

Horst Köhler:Unter der Haut sind wir alle gleich, mit unseren Gefühlen, Wünschen, Stärken, Fehlern und in unserer Unvollkommenheit. Und in der Welt des 21. Jahrhunderts hängen auch bei uns Glück, Stabilität und Sicherheit davon ab, dass es für Afrika menschenwürdige Perspektiven und Verbesserungen gibt.

BUNTE:Was können die Deutschen für den schwarzen Kontinent tun?

Horst Köhler:Hinschauen, lernen, Informationen aufnehmen. Sich engagieren, wenn Sie Zeit und Lust haben. Wichtig ist die menschliche Anteilnahme. Der Blick über den Tellerrand rückt manche Perspektive zurecht. Man erkennt besser, wie sehr wir vom Schicksal begünstigt sind, dass wir in Deutschland leben.

BUNTE:Welches Erlebnis hat Sie auf dieser Reise am meisten beeindruckt?

Horst Köhler:Für mich war das der Besuch des Mahnmals für den Völkermord in Ruanda. Erschütternd. Und dann sofort im Anschluss der Besuch in einem Jugendzentrum. Das richtete auf ganz natürliche Weise den Blick wieder nach vorn: 14 Jahre nach dem Genozid machen junge Leute aus beiden Volksgruppen zusammen Sport und Musik, schauen gemeinsam in die Zukunft. Das war für mich eine glückliche Kombination.

BUNTE: Bei einem Termin gaben Sie auch einem Mörder die Hand. Was war das für ein Gefühl?

Horst Köhler:Ein sehr gemischtes Gefühl. Es war ein Mörder, dem vergeben worden war aufgrund der Verhandlung eines Bürgergerichts. Und er war doch ein geständiger Mörder. Ich habe eine Ahnung davon bekommen, wie wichtig afrikanische Traditionen für Aufarbeitung und Versöhnung sein können, auch wenn sie nicht immer mit unserem Rechtsempfinden in Einklang zu bringen sind. Sehen Sie: In Ruanda kommt man einfach nicht darum herum, dass Täter und Opfer zusammenleben müssen. Da ist es unumgänglich, Wege zu finden, die das Zusammenleben möglich machen.

BUNTE:Es gibt Menschen, die haben die Auffassung, ein Bundespräsident sollte sich mehr um die eigenen Landsleute kümmern ...

Horst Köhler:Wer meine Arbeit verfolgt, der weiß, wie viel ich unterwegs bin in Deutschland, und der weiß, wie wichtig mir das Gespräch mit den Bürgern ist und wie oft ich die Begegnung mit ihnen suche. Und ich sehe auch den Zusammenhang: Deutschland hat ganz handfeste Interessen in Afrika, wirtschaftlich, bei der Rohstoffversorgung oder in der Vermeidung von Flüchtlingsströmen. Es ist eben auch ein Beitrag für unsere gute Zukunft in Deutschland, dass wir an Afrika nicht vorbeisehen.

BUNTE:Frau Köhler, Sie sind Schirmherrin mehrerer Hilfsorganisationen. Tun die Deutschen genug?

Eva Luise Köhler:Die Spendenbereitschaft der Deutschen ist beeindruckend hoch. Ich bin froh, dass die Deutschen so hilfsbereit und engagiert sind. Allein Unicef hat weit über 90 Millionen Euro in einem Jahr gesammelt.

BUNTE:Viele Deutsche sind wegen des Untreue-Skandals bei Unicef verunsichert. Was muss jetzt passieren?

Eva Luise Köhler:Unicef ist auf dem Weg, aus der Krise herauszukommen und für neue Strukturen zu sorgen. Ich bin wirklich guter Hoffnung, dass dies gelingt und das Vertrauen wiederhergestellt wird. Absolute Transparenz halte ich für selbstverständlich. Das gilt übrigens für alle Hilfsorganisationen - und das erwarte ich ebenso wie Millionen anderer Spender.

BUNTE:Immer mehr Prominente adoptieren Kinder aus Afrika. Wie denken Sie darüber?

Horst Köhler:Es geht doch um die Kinder, und nicht um den Prominentenstatus der Adoptiveltern. Wenn die Adoption geprägt ist von dem Wunsch, einem Not leidenden Kind gerecht zu werden, und sie nicht einem Medienspektakel zur eigenen Profilierung dient, dann kann ich keine grundsätzlichen Einwände erheben.

BUNTE:Als Sie antraten, galten Sie als der knallharte Wirtschaftsmensch. Heute treten sie immer öfter als ein Kämpfer für mehr Mitmenschlichkeit auf. Was ist Ihr wahres Gesicht?

Horst Köhler:Wissen Sie, ich klebe niemandem Etiketten auf, und ich sehe keinen Widerspruch zwischen Mitmenschlichkeit und hartem Arbeitseinsatz. In Afrika appelliere ich genauso an die Eigenverantwortung der Menschen wie in Deutschland. Und überall erfahre ich, dass die meisten Menschen darauf positiv reagieren. Ich glaube nun einmal, dass es wichtig ist im Leben, sich ins Zeug zu legen und sich selbst alle Mühe abzuverlangen. Da bin ich mir immer treu geblieben.

BUNTE:Sind Sie noch der Horst Köhler, der Sie bei Amtsantritt waren?

Horst Köhler:Wenn Sie dieses Amt mit Offenheit wahrnehmen, dann haben Sie die Chance, sich im Lauf der Zeit die ganze Vielfalt unserer deutschen Gesellschaft zu erschließen. Je mehr ich erlebe, desto weniger maße ich mir an, alles zu verstehen. Sie beginnen darauf zu achten, sich die eigene Bescheidenheit zu wahren. Ich habe sicherlich dazu gelernt.

BUNTE:Frau Köhler, haben Sie irgendwelche Veränderungen an Ihrem Mann entdeckt?

Eva Luise Köhler:Ich finde, er hat seine Linie und seinen Weg fortgesetzt. Wenn man sich anschaut, was er auch als Chef des Internationalen Währungsfonds gesagt und getan hat, dann sieht man, dass er sich selber treu geblieben ist.

BUNTE:Ihr Mann hat hohe Popularitätswerte. Woran liegt das?

Eva Luise Köhler:Eine Rolle spielt sicher sein Interesse an Menschen, ihnen zuzuhören, auf sie zuzugehen, sie ernst zu nehmen.

BUNTE:Und Ihre Erklärung, Herr Präsident?

Horst Köhler:Meine Frau hat, glaube ich, einen Punkt getroffen: Je älter ich werde, desto neugieriger werde ich, und umso mehr begreife ich, wie wichtig es ist, Menschen mit Aufmerksamkeit, Ehrlichkeit und Respekt zu begegnen. Ich habe auch keine Patentantworten, wenn ich z. B. einem Langzeitarbeitslosen gegenüberstehe. Ich kann dann auch nur zuhören, fragen und versuchen, Rat zu geben und zu helfen, wo es geht. Und ich will nicht verschweigen: Manchmal wünschte ich mir schon, ich könnte den Menschen direkter helfen. Vielleicht merken die Leute, dass ich keiner bin, der anderen etwas vormachen kann. Und wenn die Bürger das schätzen und mir aufgeschlossen begegnen und daraus Wir-Gefühl erwächst, dann bin ich glücklich darüber.

BUNTE:Macht dieses Glück süchtig?

Horst Köhler(lacht): Nein. Es gibt keinen Suchtfaktor. Aber die glücklichen Momente lassen einen auch vor den Frustfaktoren des Amtes besser bestehen. Die gibt es nämlich ebenso.

BUNTE:Und die sind?

Horst Köhler:Die andere Seite ist, dass einen die Aufgabe auch verfolgt und umtreibt.

BUNTE:Wie meinen Sie das?

Horst Köhler:Wenn ich eben zum Beispiel mit Menschen gesprochen habe, die schon längere Zeit arbeitslos sind, dann frage ich mich: Haben wir alles getan in Deutschland, um ihr Schicksal zu verbessern? Und da bleibe ich bei meinem Urteil: Nein. Wir tun noch nicht alles, was möglich ist. Die schlichte Tatsache, dass die meisten Arbeitslosen keine ausreichend gute Ausbildung und Qualifizierung haben, um im harten weltweiten Wettbewerb bestehen zu können, bekommt immer noch zu wenig Aufmerksamkeit in der politischen Prioritätensetzung des Landes. Und ich finde es wirklich beschämend für unser Land, dass wir das Problem der Kinderarmut haben. Ich finde, dass man mehr arbeiten müsste an den Ursachen von Verwahrlosung in den Familien. Arbeit ist mehr als nur Broterwerb, sie stiftet auch Sinn. Es geht um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Das Gefühl "Ich werde gebraucht" ist wichtiger als ein zusätzlicher Euro bei einer Sozialleistung.

BUNTE:Was muss die Politik leisten, um das zu verbessern?

Horst Köhler:Wirklich für Chancengerechtigkeit sorgen, den erfreulichen Abbau der Arbeitslosigkeit weiter voran bringen, und die Leistungsträger in der Mittelschicht stützen.

BUNTE:Was sollten wir uns vornehmen, um die Arbeitslosigkeit zu senken?

Horst Köhler:Ich glaube, man kann sich ein klares Ziel setzen, zum Beispiel eine Arbeitslosenquote von unter fünf Prozent.

BUNTE:Können Sie sich noch private Rückzugsräume erhalten?

Eva Luise Köhler:Das schaffen wir, wenn auch mit Einschränkungen. Wir versuchen zum Beispiel unsere Urlaube so zu organisieren, dass wir sie mit den Kindern zusammen gestalten können, und so haben wir immer noch Rückzugsmöglichkeiten, wo wir dann auch ganz für uns sind.

BUNTE:Zieht es Sie im Urlaub auch nach Afrika?

Eva Luise Köhler:Nein. Wir sind gerne in der Heimat und versuchen im Urlaub, uns mit Wandern oder Radfahren zu bewegen und das mit Kulturerlebnissen wie einem Theater- oder Opernbesuch zu kombinieren. Das ist für uns dann echte Entspannung.

Horst Köhler:Wir haben zum Glück die Gabe, auch abschalten zu können. Außerdem ist es so: Wenn Sie weniger Zeit haben für Privates, dann lernen Sie auch, diese Zeit besser zu nutzen.

BUNTE:Es fällt auf, dass Ihre Frau sehr oft an ihrer Seite ist.

Horst Köhler:Wir sind halt gern miteinander. Für mich ist es ein großes Glück, meine Frau an meiner Seite zu haben. Und oft ist sie auch dabei, weil sie sich ebenso für die Informationen interessiert, die ich erhalte.

BUNTE:Frau Köhler, ist dieses Repräsentieren für Sie Last oder Lust?

Eva Luise Köhler:Ich sehe es als Ehrenamt. Ich empfinde es als Privileg, dass ich Einblick bekomme in viele Dinge, dass ich sehr viel lernen kann. Und ich freue mich, dass ich jetzt so viel mit meinem Mann gemeinsam machen kann, mehr als zuvor. Das ist das eigentlich Schöne.

BUNTE:Ist sein Erfolg nicht auch Ihr Werk?

Eva Luise Köhler:Also, darüber denke ich wirklich nicht nach.

Horst Köhler:Aber mir passiert es immer wieder, dass ich irgendwo allein hinkomme und die Leute fragen: "Wo ist Ihre Frau?" Sie vermissen also etwas, und das empfinde ich für mich als schön, weil ich meine Frau gerne um mich habe. Und wenn andere Menschen auch so denken - was kann mir Besseres passieren?

BUNTE:Als Präsident müssen Sie manchmal sehr einsame Entscheidungen fällen. Besprechen Sie die mit Ihrer Frau?

Horst Köhler:Wir leben seit 39 Jahren zusammen. Da gibt es nichts, was ausgenommen wird. Aber manchmal arbeitet etwas in mir, was ich mit mir alleine ausmachen muss, und sie spürt dann, wie ich abtauche zu Hause. Da hält sie sich dann zurück, und ich gehe in mein Kämmerlein.

BUNTE:Dieses Jahr wollen Sie erklären, ob Sie für eine zweite Amtszeit zur Verfügung stehen. Ist das eine persönliche oder eine politische Entscheidung für Sie?

Horst Köhler:Das ist immer zuerst eine persönliche Entscheidung. Und eine politische ist es dann auch.

BUNTE:Frau Köhler, es hieß, Sie hätten gesagt: "Fünf Jahre sind genug."

Eva Luise Köhler:Da habe ich mich auch gewundert, als ich das gelesen habe.

BUNTE:Es stimmt also nicht.

Eva Luise Köhler:Nein, es stimmt nicht.