Bundespräsident Horst Köhler im Interview mit der Bild-Zeitung. Die Fragen stellten Kai Diekmann, Nikolaus Blome und Rolf Kleine

Schwerpunktthema: Interview

Berlin, , 2. Mai 2009

Bundespräsident Horst Köhler

BILD:Herr Bundespräsident, die Bundesrepublik feiert ihren 60. Geburtstag inmitten der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Arbeitslosigkeit, Schulden, Banken-Desaster - die Folgen beschäftigen uns jeden Tag. Gibt es auch Seiten der Krise, die wir später positiv sehen werden?

Horst Köhler:Die Krise, so schlimm sie ist, wird Neues und auch Gutes hervorbringen. Und die Deutschen reagieren ja schon. Mit einem neuen Miteinander in den Betrieben und mit Solidarität untereinander, z.B. in viel ehrenamtlichem Engagement. Die Wirtschaft stellt sich schon voll auf den notwendigen ökologischen Umbau der Weltwirtschaft ein. Es geht um Lösungen für eine neue Zeit.

BILD:Wie sieht die aus?

Horst Köhler:Wir wollen sparsamer mit den Rohstoffen der Erde umgehen und gesündere Energiequellen erschließen. Hier entstehen weltweit neue Arbeitsplätze, und unser Land kann sich da mit deutscher Qualität und Innovation einen großen Anteil sichern. Wir haben hier die Nase vorn. Wir werden auch neu entdecken, wie wichtig der Einsatz von Menschen für Menschen ist, in der Kinderbetreuung z.B., im Krankenhaus, bei der Pflege oder in der Kultur. Das alles sind große Chancen für unser Land.

BILD:Stimmt es, dass die Amerikaner dem Rest der Welt die Krise zu einem großen Teil eingebrockt haben.

Horst Köhler:Da ist was dran. Der anglo-amerikanische Casinokapitalismus ist gescheitert. Wahr ist aber auch: Ein Großteil der inzwischen wertlosen Finanzpapiere steht in den Büchern europäischer Institute, nicht zuletzt der deutschen Landesbanken. Dabei war niemand gezwungen, mit der Herde mitzulaufen.

BILD:Ist damit der Kapitalismus gescheitert?

Horst Köhler:Nein. Gescheitert ist die Geschäftemacherei ohne Regeln, Augenmaß und innere Werte.

BILD:Sieht die deutsche Wirtschaftselite das ein?

Horst Köhler:Zunehmend. Bedauerlicherweise bleibt aber die Finanzelite im Wesentlichen stumm. Manche klagen sogar auf Auszahlung von Millionen-Vergütungen. Dabei spüren sie materiell kaum etwas von der Krise - während normale Angestellte, z.B. die Frau an der Supermarkt-Kasse, bei kleinen Fehlern harte Konsequenzen erleben. Ich hoffe sehr, dass aus der Wirtschaft selbst noch der Anstoß für eine offene Debatte über Fehlverhalten und Sozialkompetenz kommt.

BILD:Trotz Wut und Sorge sind die Deutschen insgesamt sehr ruhig. Wird das anders, wenn die Arbeitslosigkeit steigt und die Eliten sich weiter taub stellen? Behält Gesine Schwan mit ihren Warnungen vor sozialen Unruhen dann recht?

Horst Köhler:Kein vernünftiger Mensch wird den Ernst der Lage unterschätzen. Die Arbeitslosigkeit wird steigen. Aber wir haben es diesmal nicht mit vorschnellen Entlassungen zu tun bekommen. Früher hieß es: keine Aufträge, zack, Kündigung. Heute gibt es neue flexible Instrumente für Belegschaft und Management in den Betrieben. Das haben wir auch der Besonnenheit der Gewerkschaften zu verdanken. Regierung und Sozialpartner arbeiten gut zusammen. Das ist weiter wichtig.

BILD:Wie wichtig ist die üppige Parlamentsmehrheit der Koalition in der Krise?

Horst Köhler:Es gab ja einen Moment, wo die Bankenkrise die Ersparnisse der Menschen in Gefahr zu bringen drohte. Darauf hat die Bundesregierung kraftvoll reagiert. Mir bereitet aber Sorge, dass der Geldfluss immer noch nicht wieder voll in Gang gekommen ist. Das bremst vor allem die Mittelständler. Sie brauchen Unterstützung, denn sie halten den Laden am Laufen.

BILD:Wir zitieren Clint Eastwood: "Wir haben diese Krise, weil wir Geld ausgegeben haben, das wir nicht hatten. Und nun bekämpfen wir sie, indem wir noch mehr Geld ausgeben, das wir nicht haben." Wie soll das gehen?

Horst Köhler:Es ist richtig, sich der Rezession mit aller Kraft entgegenzustemmen, und dafür muss auch eine höhere Staatsverschuldung in Kauf genommen werden. Aber zugleich brauchen wir ein glaubwürdiges Konzept zum Schuldenabbau nach der Krise, und wir können uns dabei nicht von Wachstum als alleinigem Friedensstifter in der Gesellschaft abhängig machen.

BILD:In Ihrer letzten Berliner Rede haben Sie gefordert, dass "Sparsamkeit ein Ausdruck von Anstand" werden soll. Kündigt das sieben magere Jahren an, in denen womöglich auch die Zustimmung der Deutschen zu ihrer Demokratie schwindet?

Horst Köhler:Die Deutschen wissen, die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Da gibt es große Klugheit im Volke. Wir werden den Beweis erbringen, dass wir gute Demokraten sind, selbst wenn es weniger zu verteilen gibt. Unsere Soziale Marktwirtschaft bietet noch viele Möglichkeiten der Beteiligung und des Interessenausgleichs.

BILD:Wie schwer wird die Bewährungsprobe für unsere Demokratie?

Horst Köhler:Es wird eine Bewährungsprobe. Aber Deutschland lässt sich davon doch nicht aus den demokratischen Gleisen werfen. Warum sollten wir ausgerechnet auf demokratische Selbstbestimmung verzichten, wenn´s um den Weg aus der Krise geht? Unser Sozialstaat ist stark. Und den Unternehmen sage ich: Wenn Ihr wirklich entlassen müsst, haltet Kontakt zu Euren Mitarbeitern, verliert sie und ihre Familien nicht aus den Augen. Sie werden gebraucht.

BILD:Das appelliert an den Gemeinschaftssinn aller. Passt dazu, dass die Parteien im Wahlkampf einander attackieren oder sich mit Versprechen überbieten?

Horst Köhler:Mein Rat an die Parteien ist: Nehmt die Bürger ernst; keine Schaukämpfe, keine unhaltbaren Versprechen. Aber die Parteien sollen ruhig ihre unterschiedlichen Ideen über Wege aus der Krise aufzeigen.

BILD:Warum nutzt die Krise nicht der Linkspartei?

Horst Köhler:Mir scheint, die Deutschen sind Realisten. Ernsthafte Politik ist gefragt.

BILD:Aber zugleich nimmt die Politikverdrossenheit zu.

Horst Köhler:Die Parteien müssen angesichts nachlassender Wahlbeteiligung viel mehr als bislang auf die real existierenden Ohnmachtsgefühle der Bürger gegenüber "der Politik" eingehen. Wenn die Bürger sehen, Sachfragen sind wichtiger als Taktiererei, dann werden sie das honorieren.

BILD:Ist das eine der wichtigsten Lehren aus Ihrer bisherigen Amtszeit?

Horst Köhler:Ja. Die Deutschen sind vernünftig. Die jungen Leute haben Ideen und wollen Verantwortung tragen. Die Älteren haben Erfahrung und im Schnitt heute sieben, acht Jahre in guter Gesundheit dazu gewonnen. Was da für ein Schatz schlummert, haben wir noch gar nicht begriffen. Alt und Jung können vieles miteinander möglich machen. Das gibt mir Zuversicht.

BILD:Welches Motto wünschen Sie sich für eine zweite Amtszeit?

Horst Köhler:Vertrauen wir den Bürgern!

BILD:Und was soll über die zehn Jahre Horst Köhler im Geschichtsbuch stehen?

Horst Köhler:Erst hat die Bundesversammlung das Wort. Vor meiner Wahl vor fünf Jahren stand in der BILD-Zeitung: "Horst... wer?" Ich würde mich freuen, wenn es am Ende meiner Amtszeit heißt: "Jetzt wissen wir es, und es war gut."