Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises in der Rheingoldhalle in Mainz

Schwerpunktthema: Rede

Mainz, , 31. Oktober 2004

"Tradition ist die Wurzel, aus der unser Fortschritt entspringt", haben die Gebrüder Grimm einst festgestellt. Und Fortschritt können wir in Deutschland dringend gebrauchen. Daher war es für mich selbstverständlich, dass ich eine Tradition fortsetze, die mein Vorgänger Bundespräsident Johannes Rau begründet hat: einmal im Jahr den höchstdotierten Umweltpreis in Europa zu verleihen.

Das tue ich auch deswegen gern, weil ich mich der Deutschen Bundesstiftung Umwelt besonders verbunden fühle. Denn als sie im Jahr 1990 gegründet wurde, war ich daran als Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen mitbeteiligt. Um so mehr freue ich mich, dass die Stiftung seitdem Beachtliches geleistet hat: Weit über 5.000 Projekte mit über einer Milliarde Euro Fördervolumen wurden unterstützt. Und das im Wege praktizierter Nachhaltigkeit, denn die Stiftung lebt allein von den Zinsen, also nicht von ihrem Kapital oder ihrer Substanz. Und dieses Prinzip, nämlich nicht von der Substanz zu leben, will ich uns allen in Deutschland dringend zur Nachahmung empfehlen.

Reputation und Ansehen der Stiftung sind groß. Und das zu Recht! Viele technische Umweltverbesserungen - vor allem durch kleine und mittlere Unternehmen - wären ohne die Hilfe der DBU nicht möglich gewesen. Dafür gebührt der Stiftung und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unser aller Dank!

Deutschland hat im Umweltschutz eine Menge erreicht. Die Forderung "Blauer Himmel über der Ruhr" - Anfang der 60er Jahre noch als utopische Wunschvorstellung belächelt - ist heute Realität. Die Elbe - vor 1990 einer der schmutzigsten Flüsse Westeuropas - ist wieder Lebensraum für Lachse und Biber. Dass dies so ist, dazu haben viele beigetragen: die Politik mit Gesetzen und Verordnungen, die Wirtschaft mit Milliardeninvestitionen in eine schadstoffarme Produktion und die Bürgerinnen und Bürger mit ausgeprägtem Umweltbewusstsein und tatkräftigem Engagement. Deutsche Umwelttechnik ist weltweit ein Verkaufsschlager und schafft in Deutschland viele Arbeitsplätze. Darauf können wir stolz sein und das soll die Politik fortsetzen.

Doch trotz - vielleicht aber auch wegen - dieser Erfolge scheinen die Zeiten für die Umweltpolitik schwieriger geworden zu sein. Die Probleme sind heute möglicherweise weniger greifbar und anschaulich. Anders als vor dreißig Jahren angesichts schwefelgelber Luft und öligschwarzer Flüsse fühlen sich heute viele von den Gefahren des Klimawandels nicht unmittelbar bedroht. Oder nehmen Sie den Verlust der Artenvielfalt: Wer von uns nimmt schon wahr, dass der "Lämmersalat", das "Rundblättrige Hasenohr" oder die "Kornrade" - übrigens die Blume des Jahres 2003 - von unseren Äckern und Wiesen verschwunden sind? Wer nimmt das wirklich war? Die Umweltveränderungen von heute verlaufen schleichend. Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung ist nicht für jedermann sofort erkennbar. Das macht es schwerer, die Menschen davon zu überzeugen, dass wir etwas unternehmen müssen.

Auch gibt es Stimmen, die angesichts hoher Arbeitslosigkeit, geringen Wirtschaftswachstums und eines globalen Wettbewerbs Umweltschutz als Belastung für den Standort Deutschland bezeichnen. Der längst überwunden geglaubte Gegensatz von Ökonomie und Ökologie scheint plötzlich wieder aufzuleben. Ich halte nichts von diesem Gegensatz. Doch ich rate dazu, die Diskussion darum ernst zu nehmen und sie offensiv zu führen.

Die Bedingungen dafür stehen gar nicht so schlecht. Denn die gesellschaftliche Unterstützung für den Umweltschutz ist offenbar weitaus größer, als uns die Pessimisten glauben machen wollen. 92 Prozent der Deutschen halten nach einer aktuellen Umfrage Umweltschutz für wichtig.

Dieses Ergebnis macht Mut, es verpflichtet aber auch. Es macht uns Mut, die aktuellen Herausforderungen des Umweltschutzes beherzt anzupacken. Und es verpflichtet uns, dafür zu sorgen, dass die Umweltpolitik ihre breite gesellschaftliche Akzeptanz auch in Zukunft behält. Dass dies kein Selbstläufer ist, zeigt die erwähnte Umfrage übrigens auch. Danach sind es nämlich die 30- bis 39-jährigen, bei denen das Umweltbewusstsein am stärksten ausgeprägt ist in Deutschland. Die 18- bis 24-jährigen haben mit Umweltschutz hingegen viel weniger am Hut.

Was können wir tun, damit Umweltschutz weiterhin für die Menschen wichtig bleibt und sie auch entsprechend handeln? Zum Beispiel deutlich machen, was uns der Umweltschutz im Alltag konkret bringt. Mehr Lebensqualität. Aber auch zukunftsfähige Arbeitsplätze. Wirtschaftswachstum, das nicht zu Lasten der Umwelt geht.

Wir sollten erklären, dass dahinter eine große Idee steckt: die der Nachhaltigkeit nämlich. Eine große Idee. Für mich das Konzept der Zukunft, weil es eine Antwort darauf gibt, wie wir auch den kommenden Generationen - hier und anderswo in der Welt - ihre natürlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen sichern helfen.

Wir sollten nicht wie in den 70er und 80er Jahren Bedrohungsszenarien aufbauen, um die Menschen zum "Umkehren" zu bewegen. Stattdessen sollten wir die Chancen nachhaltiger Entwicklung in den Mittelpunkt rücken. Es geht nicht um Verzicht, sondern um Gewinn. Nicht um Beschränkung, sondern um Verantwortung. Nicht um Gängelung, sondern um Freiheit.

Dass Nachhaltigkeit Gewinn bedeutet, haben uns die diesjährigen Preisträger des Deutschen Umweltpreises mit ihren Arbeiten gezeigt:

Die Dichtungstechnik, die Herr Jung entwickelt hat, sorgt nicht nur für weniger Schadstoffe in der Luft. Sie macht die Produktion auch sicherer und billiger. Und trotzdem hat es lange gedauert, bis diese Entwicklung sich auch auf dem Markt durchsetzen konnte. Warum? Weil unter anderem auch eine schwerfällige Normungsbürokratie die Beschaffung und Verwendung behindert hat. Das zeigt mir: Man sollte die Qualität des Umweltschutzes nicht an der Zahl der Vorschriften messen. Auch die Umwelt kann davon profitieren, wenn wir in Deutschland das Geflecht von Vorschriften und Bürokratie lichten. Ich glaube, dass ist einer der strategischen Ansatzpunkte, um diesem Land auch wieder zu mehr Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum zu verhelfen.

Herr Jung, ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Erfolg, den Sie gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt haben. Ich wünsche Ihnen und Ihren Mitarbeitern für die Zukunft alles Gute!

Herr Professor Antranikian ist einer der Pioniere auf dem Gebiet der Weißen Biotechnologie, über die ich heute viel gelernt habe. Ich bin kein Naturwissenschaftler. Aber soviel habe ich verstanden, dass die von Ihnen entwickelte Form der Biokatalyse eine Schlüsseltechnik für eine nachhaltige Chemie der Zukunft ist. Das hat mich sehr beeindruckt, und ich gratuliere Ihnen herzlich zu dieser Pioniertat!

Umweltschutz ist aber nicht nur Forschung und Technik. Umweltschutz ist auch eine besondere, persönliche Haltung, vor allen Dingen zur Natur. Zu ihrer Schönheit und Vielfalt. Für die Preisträgerin des erstmals verliehenen Ehrenpreises des Deutschen Umweltpreises ist der Schutz der Umwelt eine Herzenssache, wie ich weiß. Pflanzen und Gärten sind ihre Passion. Lange bevor Umwelt- und Naturschutz in aller Munde war, engagierte sie sich schon für den Schutz gefährdeter Pflanzen. Meine Damen und Herren, Sie können sich kaum vorstellen, welch große Freude es für mich ist, heute Frau Schmidt auszeichnen zu dürfen. Helmut Schmidt hatte mir seine Gesprächsbereitschaft angeboten, als ich 1990 Staatssekretär wurde, und seitdem ist der Gesprächsfaden nicht abgerissen. Ich sage Ihnen hier ganz offen, dass immer ich es war, der von diesen Gesprächen profitierte. Dabei habe ich auch Loki Schmidt als eine bewundernswerte, wunderbare Frau kennen gelernt. Herzlichen Glückwunsch, Loki Schmidt!

Wenn wir unser Land und unsere Welt zukunftsfähig gestalten wollen, dann brauchen wir Menschen wie unsere Preisträger. Menschen, die mit Fantasie und Begeisterung, mit Engagement und Tatkraft unsere Zukunft in die Hand nehmen.

Wir haben heute drei davon erlebt. Sie sind Vorbilder und ich schließe auch unseren Laudator, Herrn Leonhardt, ein. Er hat heute etwas gesagt, was ich für einen Schlüssel halte: Wir müssen uns Ziele setzen. Wir müssen neugierig sein. Wir dürfen nicht die bequemen Wege suchen, sondern müssen auch steinige Wege gehen. Wir müssen den mittelständischen Unternehmern Raum geben für ihre Initiative. Unternehmern, die nicht nur sich selbst verpflichtet sind, sondern auch ihren Arbeitnehmern. Das ist das, was wir in Deutschland brauchen.

Ich bleibe dabei: Wir haben alle Möglichkeiten, unser Land voran zu bringen, eine friedliche Welt mitzugestalten und vor allen Dingen den Menschen in Deutschland Arbeit zu geben.