Der Unternehmer in der Gesellschaft. Rede von Bundespräsident Horst Köhler beim Wirtschaftsforum der Kreissparkasse Tuttlingen

Schwerpunktthema: Rede

Tuttlingen, , 30. November 2005

Bundespräsident Köhler am Rednerpult in der Kreissparkasse.

I.

Es ist schön, bei Ihnen in Tuttlingen zu sein. Über die Menschen hier lese ich: "Der Fleiß ersetzt, was dem Boden an Reichtum fehlt", und ich lese weiter: "Die schwierigen natürlichen Gegebenheiten formten einen Menschenschlag, der sich durch Arbeitsamkeit, unternehmerische Kreativität und Flexibilität auszeichnet." Diese Zitate stammen aus dem Kreisbuch des Jahres 1950. Ich habe sie auf der Website des Landkreises gefunden und ich finde es gut, wie die Tuttlinger Tradition und Moderne miteinander verbinden.

Als die Tuttlinger merkten, dass ihnen die Erträge aus dem kargen Boden nicht mehr ausreichten, haben sie etwas unternommen. Nicht jeder ist Unternehmer geworden, aber doch genug. Zunächst haben sie Schuhfabriken gebaut, später Messerschmiede-Werkstätten und heute sind sie im Maschinenbau und vor allem auch in der Medizintechnik erfolgreich. Ich bin hergekommen, um Sie auf diesem Weg zu ermutigen. Die Tuttlinger haben gezeigt, dass man auch unter schwierigen Verhältnissen Erfolg haben kann. Tüchtige Unternehmer spielen dabei eine wichtige Rolle. Und darum möchte ich heute darüber sprechen, was tüchtige Unternehmer ausmacht - und Unterneh­merinnen natürlich auch!

II.

Zunächst: Damit sich Unternehmer entfalten können, braucht es den richtigen Ordnungsrahmen. Seit bald 60 Jahren haben wir in Deutschland die Soziale Marktwirtschaft. Sie verknüpft die Freiheit des Marktes - also das Gesetz von Angebot und Nachfrage - mit dem Gebot des sozialen Ausgleichs. Deutschland ist gut mit diesem Gespann gefahren. So wurden wir zu einem führenden Industrieland mit einem hohen Maß an Wohlstand und politischer wie sozialer Stabilität. Was passiert, wenn der Wert sozialer Gerechtigkeit verkannt wird, lässt sich in vielen anderen Ländern beobachten, etwa in Lateinamerika. Ich bin froh, dass den allermeisten Unternehmern in Deutschland bewusst ist, welche Stärke in einer Sozialen Marktwirtschaft steckt. Dieses Erfolgsmodell unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts wetterfest zu machen - das ist die große Aufgabe, vor der wir stehen. Und diese Aufgabe geht nicht nur die Politiker, sondern uns alle an.

"Gemeinsam für Deutschland - mit Mut und Menschlichkeit." Das steht über dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Ich glaube nicht, dass mir jemand unterstellt, ich wollte heute Parteipolitik machen. Aber ich will doch sagen: dieses Motto sollte uns eigentlich alle angehen. Deshalb habe ich mich über manche Wortwahl aus der Wirtschaft in Bezug auf die neue Bundesregierung gewundert. Natürlich lässt der Koalitionsvertrag Fragen offen. Das Ziel einer Senkung der Lohnnebenkosten und einer Arbeitsmarktpolitik vor allen Dingen auch für Geringqualifizierte muss mit großer Energie verfolgt werden, damit die Arbeitslosigkeit sinken kann. Und die Arbeitslosigkeit ist das größte Problem in Deutschland.

Doch einzelne kritikwürdige Punkte sind noch lange kein Grund, den unbeteiligten Zuschauer zu spielen. Wir haben jetzt wieder eine handlungsfähige Regierung, und sie hat sich vorgenommen, die begonnenen Reformen fortzusetzen. Die Große Koalition kann sich dabei auf eine breite Mehrheit im Bundestag stützen, und sie entspricht dem Willen des Volkes. Jetzt geht es darum, dass jeder einzelne mitmacht und seinen Beitrag zur Lösung der Probleme leistet. Das gilt nicht nur für diejenigen, deren Unterschrift unter dem Koalitionsvertrag steht. Das gilt gerade auch für Unternehmer in ihrer besonderen Verantwortung. Es ist erlaubt, die Ärmel noch mehr hochzukrempeln, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern, und dabei auch an das Land zu denken. Ich finde den bekannten Satz von John F. Kennedy auch heute noch gut: "Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern frage, was Du für Dein Land tun kannst." Warum sollte dieser Satz nicht für jeden Einzelnen von uns und auch für Unternehmer gelten?

III.

Die Welt des erfolgreichen Unternehmers dreht sich zuallererst um seine Kunden. Ihre Wünsche muss er erfüllen - und zwar besser und schneller als die Konkurrenz. Nur so kann er sich und die Arbeitsplätze der Firma dauerhaft im Wettbewerb halten. Dieser Wettbewerb ist die Lebenswirklichkeit, in die alles unternehmerische Handeln eingebettet ist. Das müssen wir respektieren. Freiheit und Demokratie breiten sich weltweit immer stärker aus. Darüber sollten wir uns alle freuen. Mehr Menschen als je zuvor erfahren, wie sich Fleiß und Einfallsreichtum lohnen. Gerade auch in Ländern, wo noch immer bittere Armut herrscht, wie zum Beispiel in China oder Indien.

Deutschland hat, nach meiner Einschätzung, alle Chancen, auch in dem härteren und schnelleren Wettbewerb zu bestehen. Wir müssen nur begreifen, dass wir keinen selbstverständlichen Anspruch auf unseren Wohlstand haben, sondern dass wir unseren Wohlstand im internationalen Wettbewerb behaupten müssen, wie dies zum Beispiel die Tuttlinger erfolgreich tun. Unternehmen aus dieser Region zeigen, dass die Veränderungen in der Welt gerade uns Deutschen große Chancen bieten - weil uns nun wirklich bald die ganze Welt mit potentiellen Kunden offen steht.

In dieser Welt der Chancen und Herausforderungen braucht es mehr denn je Menschen, die im Wortsinn etwas unternehmen: Menschen, die Ideen haben, die sie umsetzen wollen. Menschen, die Neuland betreten, die bei Rückschlägen nicht aufstecken. Solche Menschen brauchen wir in allen Lebensbereichen, aber vor allem auch in der Wirtschaft.

Es gibt schöpferische Unternehmer in Deutschland. Nehmen wir nur Baden-Württemberg: Autos, Schrauben, Dübel, Medizin- und Lasertechnik oder moderne Softwareentwicklung - die Menschen hier haben Ideen, und sie haben den Mut und die Risikobereitschaft, sie in die Tat umzusetzen. Ähnliche Beispiele gibt es überall in unserem Land. Sie zeigen: Wir können es, und wir haben auch Vorbilder, die zeigen, dass wir es können! Andere sollten es ihnen nachmachen, und wer das Risiko des Scheiterns immer wieder so hoch einschätzt, dass er die Verwirklichung einer guten Idee verhindert, sollte sich zum Beispiel klarmachen: Heute gäbe es keine Fliegerei, wenn es am Anfang nicht auch Bruchpiloten gegeben hätte. Mutige Unternehmer brauchen aber auch bei den Kreditinstituten Partner, die mitmachen und nicht beim ersten Schauer den Regenschirm zuklappen. Das ist übrigens auch eine Frage an die Bankenaufsicht in Deutschland.

IV.

Die Leistung eines Unternehmers liegt in der erfolgreichen Kombination von Arbeit, Kapital und technischem Fortschritt. Bei der Kostensituation hier in Deutschland ist gerade der technische Fortschritt im Sinne von Verfahrensverbesserungen und neuen Produkten häufig der entscheidende Schlüssel zum Erfolg eines Unternehmens. Innovationen sind möglich in kleinen und großen Schritten. Natürlich gelingt nicht jeden Tag eine bahnbrechende Erfindung wie das Automobil oder der Computer. Aber kreative Köpfe und Ideen gibt es immer. Es kommt darauf an, diesen Köpfen möglichst freie Bahn zu geben und ihre Ideen in attraktive Waren und Dienstleistungen umzusetzen.

Neulich, bei der Verleihung des Deutschen Zukunftspreises des Bundespräsidenten für Technik und Innovation in Berlin, hat mir einer der Wettbewerbsteilnehmer erzählt, was für harte Kämpfe er mit dem Vorstand des eigenen Unternehmens führen musste, um die Finanzierung einer Produktinnovation zu sichern. Immer wieder wurde er nämlich vom Vorstand gefragt: "Warum sollen wir das machen? Die anderen machen es doch auch nicht." Ich finde diese Frage merkwürdig, und ich finde es bezeichnend, dass sie ausgerechnet in einem Großunternehmen gestellt wurde.

Wenn wir Arbeitsplätze in Deutschland sicherer machen wollen, müssen wir um so viel besser werden, wie wir teurer sind. Deshalb halte ich das von der neuen Bundesregierung gesetzte Ziel, die jährlichen Ausgaben von Staat und Wirtschaft für Forschung und Entwicklung in Deutschland auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, für ein Mindestziel. Tatsächlich geben wir heute nur circa zweieinhalb Prozent für diese Zukunftsinvestitionen aus, also rund zehn Milliarden Euro weniger, als wir sollten. Und die Wirtschaft tut sich auch nicht hervor, denn trotz guter Gewinnentwicklung in den letzten Jahren stagnierten die Investitionen ausgerechnet im Forschungs- und Entwicklungsbereich. Phillip Rosenthal hat seine Unternehmerkollegen schon vor vielen Jahren gemahnt: "Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein."

V.

Besser werden, um gut zu sein, kann ein Unternehmen nur mit qualifizierten und motivierten Mitarbeitern. Ohne sie geht es nicht. Erfolg im Unternehmen ist immer auch ein Erfolg des Zusammenarbeitens. Das sollten Unternehmensleitungen nie vergessen.

Mancher Arbeitgeber mag in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit versucht sein, die Position der Arbeitnehmer für geschwächt zu halten. Das kann zu Fehlschlüssen und kurzsichtiger Vorteilsnahme verleiten. Gute Unternehmer denken anders; sie denken vor allem auch langfristig. Sie wissen, dass qualifizierte Mitarbeiter ein "Schatz" sind und aufgrund der Bevölkerungsentwicklung schon in wenigen Jahren rar sein werden. Vor einigen Wochen war ich in Jena. Dort sagte mir der Vorstandsvorsitzende eines dort ansässigen großen Unternehmens, dass sein Unternehmen heute im Schnitt sieben geeignete Bewerber je Ausbildungsstelle hat. Schon in vier Jahren werde es im besten Fall gerade mal einer sein. Eine solche Situation wird auch auf Firmen anderswo zukommen. Deshalb behandeln vorausschauende Unternehmer ihre Mitarbeiter als unentbehrliche Partner - in guten wie auch in schlechten Zeiten.

Vorausschauende Unternehmer hören ihren Mitarbeitern zu, erklären ihre Entscheidungen und stellen sich der Kritik der Belegschaft. In einem großen Automobilwerk, das ich jüngst besichtigt habe, gibt es zum Beispiel einen Jour-Fixe, an dem Arbeitnehmer mit dem Vorstand sprechen können. Und ich habe festgestellt, die Arbeitnehmer nehmen das Angebot wahr, und der Vorstand hat mir gesagt: "Das ist eine gute Sache." Beide Seiten haben also erkannt, dass sie von diesen Gesprächen profitieren, weil man mehr voneinander weiß und vor allem, weil man voneinander lernen kann. Das schafft nicht nur mehr Verständnis und Vertrauen, das bringt auch jede Menge Verbesserungsvorschläge fürs Unternehmen. Denn oft kennen die Mitarbeiter in ihrem unmittelbaren Arbeitsbereich die Stärken und Schwächen des Unternehmens besser als der Chef.

VI.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass sich eine neue Bereitschaft zum Miteinander in den Betrieben durchsetzt. Dies zeigt sich auch in der wachsenden Zahl sogenannter betrieblicher Bündnisse. Sie spiegeln die Erkenntnis wider, dass Mitarbeiter und Unternehmer in einem Boot sitzen.

Der Pforzheimer Tarifabschluss von 2004 lässt betriebliche Lösungen nicht erst zur Rettung des Unternehmens, sondern schon zur Sicherung seiner Wettbewerbsfähigkeit zu. In der Zukunft wird es immer mehr auf maßgeschneiderte Lösungen vor Ort ankommen. Deshalb ist es auch wichtig, dass Vertrauen in die Belastbarkeit betrieblicher Bündnisse entstehen kann. Das Einhalten getroffener Vereinbarungen ist hierfür die wichtigste Voraussetzung.

Mich freut auch, dass in immer mehr betrieblichen Bündnissen die Erfolgsbeteiligung der Mitarbeiter Einzug hält. Wer in schlechten Zeiten längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich hinnimmt, der sollte in guten Zeiten auch einen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg haben, der ja durch die gemeinsame Anstrengung erzielt wurde.

Ich glaube, wir haben in Deutschland generell die Idee der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen nach - zugegebenermaßen bescheidenen - Erfolgen zum Beispiel mit der "Volksaktie" in den sechziger Jahren zu früh ad acta gelegt. Jetzt ist es aus meiner Sicht richtig und wichtig, diese Idee wieder aufzugreifen. Wir brauchen neue Formen der Teilhabe, auch am Wirtschaftsprozess. Hier bieten sich Möglichkeiten, die Arbeitnehmer an den in der Globalisierung steigenden Kapitaleinkommen zu beteiligen. Nebenbei wäre dies auch ein Beitrag zu einem besseren Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge in unserer Gesellschaft.

VII.

In vielen betrieblichen Bündnissen geht es auch um bessere Weiterbildung. Das ist gut und vernünftig, denn Unternehmer, die mit ihren Produkten auf dem Stand von Wissenschaft und Technik bleiben wollen, müssen ihren Mitarbeitern die Möglichkeit geben, ihr Wissen immer wieder zu aktualisieren und lebenslang zu lernen.

Dahinter steckt die Erkenntnis, dass wir in einer Übergangszeit leben. Die Industriegesellschaft wandelt sich zur Wissensgesellschaft. Wissen wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor, um Arbeitsplätze in Deutschland zu halten. Und deshalb müssen bei uns Bildung und Ausbildung, Forschung und Entwicklung ganz oben auf der politischen Prioritätenliste stehen. Nur so können wir den Wissensanteil, die Ökonomen sagen Wertschöpfungsanteil, unserer Produkte und Dienstleistungen steigern und so Lohn und Brot sichern. Dabei dürfen wir niemanden zurücklassen. Vor allen Dingen nicht unsere Jungen. Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung und Ausbildung ist heute die wichtigste Form sozialer Gerechtigkeit und diese Form der sozialen Gerechtigkeit müssen wir allen unseren jungen Menschen geben. Egal woher sie kommen: ob vom Land oder aus der Stadt, ob aus kleinen Familienverhältnissen oder aus reichen Haushalten. Jeder muss die gleichen Bildungschancen haben.

Dabei kann viel durch eine engere Zusammenarbeit von Unternehmen und staatlichen Bildungseinrichtungen erreicht werden. So wie dies in Tuttlingen schon geschieht: Hier arbeiten in der Medizintechnik Unternehmen und Schulen Hand in Hand. Man kann einen Abschluss in "Medizintechnik und Gesundheitswesen" erwerben, die Ferdinand-von-Steinbeis-Schule bildet Chirurgiemechaniker aus, und mit anderen gewerblichen Schulen besteht eine enge Partnerschaft. Ich habe gelernt, dass insgesamt in den letzten zwei Jahren 1,6 Millionen Euro von der Wirtschaft hierfür zur Verfügung gestellt wurden. Ich finde das sehr gut. Ich kann nur sagen: Weiter so! Sie sind hier in Tuttlingen auf dem richtigen Weg.

Schon der griechische Philosoph Diogenes wusste: "Die Grundlage eines jeden Staates ist die Ausbildung seiner Jugend." Und darum ist es so wichtig, dass alle Jugendlichen in Deutschland einen Ausbildungsplatz erhalten. Bei allen notwendigen Anstrengungen von Unternehmen, ihre Kosten zu senken, ist für mich die Streichung von Ausbildungsplätzen der falsche Weg. Die Wirtschaft hat sich mit dem Ausbildungspakt verpflichtet, ausreichend Ausbildungsplätze bereit zu stellen. Wenn unsere Wirtschaftsführer ihre Glaubwürdigkeit behalten wollen, müssen sie dafür sorgen, dass diese Zusagen auch eingehalten werden.

Allerdings weiß ich auch, dass viele Unternehmen über die mangelnde Ausbildungsfähigkeit junger Menschen klagen. Diese Kritik nehme ich ernst; ihr Anlass ist bestürzend. Offenbar sind Elternhaus und Schule häufig nicht in der Lage, unseren Kindern das notwendige Wissen, aber auch Tugenden wie Zuverlässigkeit und Fleiß zu vermitteln. Das muss uns wachrütteln und die Augen dafür öffnen, dass wir in Deutschland nicht nur und vielleicht nicht einmal in erster Linie ökonomische Probleme zu lösen haben. Warum werden bei uns immer weniger Kinder geboren? Warum nimmt die Zahl der Jugendlichen ohne Bildungsabschluss zu? Warum sind viele Eltern nicht mehr in der Lage, ihren Erziehungsauftrag zu erfüllen?

VIII.

Auf diese Fragen müssen wir Antworten finden. Natürlich die Politik und die Gesellschaft als Ganzes. Aber ich denke, auch auch hier können und müssen Unternehmer mitmachen. Darum finde ich es gut, dass in immer mehr Unternehmen die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einem wichtigen Thema der Personalführung und Arbeitsorganisation wird. Die Frage lautet: Wie kann Arbeit so organisiert werden, dass es keine Nachteile mit sich bringt, Kinder zu haben - und dass es keine Nachteile für die Kinder mit sich bringt, wenn die Eltern Arbeit haben? Dazu gehören flexiblere Arbeitszeit­regelungen ebenso wie entsprechende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Vor allem aber gehört dazu ein Umdenken: Wir brauchen eine familienfreundliche Grundhaltung, die Kinder nicht als Belastung oder Karrierebremse begreift, sondern Unternehmer danach fragen lässt: "Was können wir auch in unseren Unternehmen besonders für Familien - für Mütter und Väter - möglich machen?"

Hier gibt es gute Ansätze: Bei meinen Besuchen im Land habe ich zahlreiche "Lokale Bündnisse für Familie" kennen gelernt. Dabei engagieren sich immer mehr Unternehmen gemeinsam mit Kommunen und Familien für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Arbeitswelt, zum Beispiel durch die Förderung von Kindertagesstätten mit längeren und flexibleren Öffnungszeiten. Solches Engagement kann es gar nicht genug geben. Dabei hilft es nicht nur den Familien, sondern es rechnet sich - wie Studien zeigen - auch betriebswirtschaftlich für das Unternehmen. Denn wer als Unternehmer auf das private Umfeld seiner Beschäftigten Rücksicht nimmt und für Männer und Frauen ein familienfreundliches Klima im Betrieb schafft, kann mit größerer Motivation und mehr Loyalität seiner Mitarbeiter rechnen.

IX.

"Wer wagt, gewinnt." Dieses Sprichwort muss in unser aller Interesse für mehr Menschen wahr werden. Das setzt voraus, dass sich unternehmerisches Wagnis auch künftig lohnt. Unternehmer brauchen Gewinne: für Investitionen, zum langfristigen Erhalt des Unter­nehmens. Darum halte ich gar nichts von Beckmessern, die unterneh­merische Gewinne unter moralischen Verdacht stellen oder willkürlich begrenzen wollen. Viele Unternehmen in Deutschland machen stattliche Gewinne, und darüber sollten wir uns freuen.

Doch wo wir schon bei stattlichen Gewinnen sind, will ich auch das Thema der stattlichen Gehälter nicht unerwähnt lassen. Keine Frage: Exzellente Leistungen sollen exzellent bezahlt werden. Ansonsten geht Ansporn verloren. Es gibt keine schematische Formel für die angemessene Festlegung von Gehältern. Leider scheinen aber einige Manager in der Tat die Bodenhaftung verloren zu haben. In einer Zeit, in der viele Menschen in Deutschland reale Einkommens­einbußen hinnehmen müssen, müssen wir von unseren Managern erwarten können, dass sie das notwendige Einfühlungsvermögen dafür haben, wo der verdiente Lohn des Tüchtigen endet und wo die Gier beginnt. Die Unternehmensführer in Deutschland sollten Ihren Ruf nicht länger von schwarzen Schafen beschädigen lassen und sich generell zu mehr Transparenz öffnen. In deutschen Aktiengesell­schaften sind hier vor allem die Aufsichtsräte gefragt.

X.

Die meisten Unternehmer in Deutschland werden, nach meinem Urteil, dem Anspruch, Maß und Mitte zu wahren, sehr wohl gerecht. Hans Merkle von Bosch hat einmal gesagt: "Führen ist eine besondere Kategorie des Dienens." Das gilt überall: in der Politik, in der Wissenschaft, aber auch in der Wirtschaft. Diese Einstellung bewahrt vor Selbstzufriedenheit oder auch Selbstgerechtigkeit. Führungsper­sönlichkeiten vom Schlage Merkles haben verstanden, dass Gewinn nur einer von mehreren Maßstäben erfolgreicher Unternehmensführung ist.

Wir wissen, dass Kapitalgesellschaften unter dem Druck der Finanzmärkte stehen. Dieser Ansporn zu Effizienz und Rentabilität hat sein Gutes. Aber Unternehmer, die strategisch denken, werden sich aus meiner Sicht nie vorwiegend von Quartalszahlen und Finanzanalysten treiben lassen. Übrigens: Familienunternehmen erzielen im Schnitt höhere Renditen als die Kapitalgesellschaften. Warum wohl?

XI.

Die Verantwortung von Unternehmern endet nicht an den Werkstoren, und fast alle von ihnen wissen, wie sehr sie ihren Erfolg auch den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu verdanken haben. Ohne politische und rechtliche Stabilität, ohne öffentliche Infrastruktur, sozialen Frieden, ohne Zukunftsvertrauen und Gemeinsinn fehlt auch den Unternehmen die Erfolgsgrundlage.

Vor einiger Zeit traf ich einen jungen, erfolgreichen Unternehmer aus Ostdeutschland. Wir sprachen über die notwendigen Reformen in Deutschland. Sie werden nicht überrascht sein, dass auch er eine verbesserte Unternehmensbesteuerung für wünschenswert halte. Doch er sagte auch: "Es sollte für einen Unternehmer eine Ehre sein, in Deutschland Steuern zu zahlen." Für manch einen klingt das vielleicht altbacken - für mich drückt sich darin ein ethisch begründetes Unternehmerverständnis aus. Das gibt es und wir brauchen es.

Wir alle tragen Verantwortung für die Gesellschaft, in der wir leben. Jeder sollte entsprechend seinen Möglichkeiten seinen Beitrag zum Wohle aller leisten. Viele Unternehmer bringen sich hier vorbildlich ein und engagieren sich in ihren Gemeinden und darüber hinaus. Mit Initiativen und Stiftungen für Schulen, Kindergärten, soziale Einrichtungen, Sport und Kultur. Die Erfahrung zeigt, dass gerade die kleinen Unternehmen, gemessen am Umsatz ihrer Betriebe, hier sehr aktiv sind.

Allerdings frage ich mich auch, warum so viele von ihnen das mehr im Stillen tun. Ich glaube, hier brauchen wir den Mut, durch eigenes Bekenntnis einen Mentalitätswandel in Deutschland herbeizuführen. Es kann nicht richtig sein, dass soziales Engagement aus Furcht vor Neiddebatten nur im Verborgenen stattfindet. Deshalb möchte ich alle Unternehmer ermutigen, auch ihr Engagement nach außen transparent zu machen und, ja, damit zu werben. Auch das würde dazu beitragen, das Ansehen von Unternehmern zu steigern, und damit die Wertschätzung, die ihnen in der Gesellschaft entgegengebracht wird. Unternehmer und Manager in Deutschland haben es zu einem guten Teil selbst in der Hand, für Anerkennung zu sorgen. Und ich werde der Erste sein, der Unternehmern, die danach handeln, auch öffentlich diese Anerkennung ausspricht.

Ich wünsche uns allen frohes Schaffen!