Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich der Eröffnung der 51. Warschauer Internationalen Buchmesse

Schwerpunktthema: Rede

Warschau, , 18. Mai 2006

Bundespräsident Horst Köhler am Mikrofon eröffnet die Buchmesse, rechts: eine Dolmetscherin

"Von der anderen Seite" - so lautet das Motto der diesjährigen Internationalen Warschauer Buchmesse, auf der Deutschland erstmals Gastland ist. "Von der anderen Seite" spielt auf die Fähigkeit der Literatur an, die Wirklichkeit aus mehreren Perspektiven zu betrachten. Das werden deutsche und polnische Schriftsteller und ihre Leser in den nächsten vier Tagen tun. Sie werden die eigene Sichtweise um die Sichtweise des anderen, des Nachbarn, bereichern.

Die Messe liefert dafür einen hervorragenden Rahmen: Sie bietet die bislang umfassendste Präsentation deutscher Literatur in Polen. Das Programm, das die Frankfurter Buchmesse und ihre Partner für den deutschen Auftritt zusammengestellt haben, ist ausgesprochen interessant: Neben unserem sozusagen "gemeinsamen" Nobelpreisträger Günter Grass ist die junge Schriftsteller-Generation in den Mittelpunkt gestellt: Hierfür stehen Namen wie Ingo Schulze, Julia Franck und Andreas Maier, um nur einige zu nennen. Sie werden in mehreren gemeinsamen Veranstaltungen mit jungen polnischen Autoren hier in Warschau Grenzen von Ländern und Sprachen überschreiten.

Sprache ist die wichtigste Verbindung zwischen Menschen und Völkern. Verstehen kann man sich nur, wenn man sich verständigen kann. Deshalb ist die Beschäftigung mit der Sprache des Anderen unabdingbar. Ich wünsche mir sehr, dass wir in Deutschland mehr für die polnische Sprache an Schulen und Hochschulen tun.

Die deutschen Verlage sind auch aus geschäftlichen Gründen hier. In wohl keinem anderen Land außerhalb Polens ist polnische Literatur so präsent wie in Deutschland. WislawaSzymborskaerzielt gerade in diesen Tagen mit einem Band ihrer gesammelten Gedichte eine außergewöhnlich hohe Auflage. Auch junge Autoren wie Dorota Maslowska haben bei uns beachtliche Erfolge. Dafür mag es viele Gründe geben. Mich persönlich fasziniert vor allem, wie die polnische Literatur immer wieder für Freiheit und für nationalen Zusammenhalt gewirkt hat. Zugleich ist seit langem in der polnischen Literatur eine europäische Dimension fest verankert: Ich zitiere den großen Satz von Adam Mickiewicz: "Die Lage Europas ist heute so, dass ein Volk unmöglich den Weg des Fortschritts getrennt von anderen Völkern beschreiten kann, ohne sich selbst und somit die gemeinsame Sache zu gefährden." Das gilt heute immer noch, und Czeslaw Milosz sprach sogar von der "Heimaterde, der kleinen, für uns so süßen - Europa".

Ich bin davon überzeugt, dass wir Europäer vieles gemeinsam haben, das zunehmend - neben unserer nationalen Identität - einen positiven Platz in unserem Alltagsleben einnimmt. Kultureller Austausch ist dafür wichtig, und Literatur wiederum gehört zu den besten Wegen, um in die Seele einer anderen Kultur zu schauen. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit meinem Amtskollegen und Co-Schirmherrn des Deutsch-Polnischen Jahres, Präsident Kaczynski, in wenigen Augenblicken diese Messe zu besuchen. Sie ist Höhepunkt des offiziellen Deutsch-Polnischen Jahres, das nach über 2000 Veranstaltungen erfolgreich zu Ende geht. Das Jahr mag offiziell enden - seine Wirkung aber, da bin ich sehr zuversichtlich, geht weit darüber hinaus.

Ich wünsche der Messe viel Erfolg und reges Publikumsinteresse! Vielen Dank.