Rede von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich der Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Professor Dr. Otmar Issing

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 13. Juli 2006

Bundespräsident Horst Köhler hält ein blaues Kästchen mit dem roten Verdienstkreuz; Herr Issing hält eine blaue Mappe mit Bundesadler

Es zählt zu den schönsten Seiten meines Amtes, dass meine Frau und ich von Zeit zu Zeit hier im Schloss Bellevue besonderen Menschen eine besondere Geburtstagsfreude machen können.

Nun liegt Ihr runder Geburtstag ja schon ein Weilchen zurück, lieber Herr Professor Issing, und ich habe Ihnen natürlich im März schon gratuliert. Aber Glück und Gesundheit kann man gar nicht oft genug wünschen, und in vivo soll es doppelt wirksam sein - also noch einmal herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

Wir haben damals vereinbart, mit der heutigen Feier etwas zu warten, damit Sie den Tag ganz unbeschwert von EZB-Amtsgeschäften genießen können. Herr Präsident Trichet: Bis zum Ende Ihrer Amtszeit wollten wir aber denn doch nicht warten. Umso mehr freue ich mich, dass Sie es sich nicht haben nehmen lassen, heute mit uns Otmar Issing zu feiern. Und mit Ihnen, verehrter Herr Professor Tietmeyer, ist das finanz- und währungspolitische Dreigestirn vollkommen - ein herzliches Willkommen auch Ihnen.

Ihre Amtsgeschäfte bei der Europäischen Zentralbank haben Sie wohlgeordnet beendet. Von Ruhestand kann aber nicht die Rede sein. Sie verändern nur gelegentlich den Schwerpunkt Ihres vielfältigen Schaffens. Darum klingt ein Rückblick auf Ihr bisheriges Berufsleben auch ein wenig so, als würde über mehrere Personen gesprochen. Ich kann Ihnen aber versichern, meine Damen und Herren: Es handelt sich im Folgenden immer um denselben, einen Otmar Issing.

Beginnen wir mit dem Wissenschaftler: Ihr Wirken an der Universität, das wissenschaftliche Arbeiten, die Lehre und den Kontakt zu jungen Menschen haben Sie vor Ihrem Wechsel zur Deutschen Bundesbank als die Erfüllung Ihres beruflichen Lebens angesehen. Und diese Liebe zu Ihrer wissenschaftlichen Berufung wurde erwidert. Was gibt es Schöneres für einen Hochschullehrer als begeisterte Studenten, denen es Spaß macht, ihrem Professor zuzuhören und die noch heute von seiner Aufgeschlossenheit und Zugänglichkeit schwärmen? Es verwundert daher nicht, dass Sie auch als führender Notenbanker immer der Wissenschaft und Lehre verbunden geblieben sind. Ihre Lehrbücher zur Geldtheorie und Geldpolitik sind für Generationen von Studenten zur Pflichtlektüre geworden. Auch die von Ihnen herausgegebene wirtschaftswissenschaftliche Zeitschrift WIST hat dazu beigetragen, dass der Zentralbanker Issing auch als Wissenschaftler immer präsent und wirksam blieb.

Ihr Amt als Mitglied im Direktorium der Deutschen Bundesbank traten Sie zwei Tage vor der deutschen Wiedervereinigung an. Man sollte meinen, dass diese Herausforderung allein mehr als genug Anforderungen mit sich brachte. Aber nachdem die wichtigsten geldpolitischen Klippen des Zusammenwachsens von West und Ost umschifft waren, da wartete schon bald eine neue - noch größere - Herausforderung auf Sie: Sie wechselten zur neu gegründeten Europäischen Zentralbank und übernahmen im ersten Direktorium die Rolle des Chefvolkswirts und damit eine ganz besondere Verantwortung für eine gedeihliche Entwicklung des neu geborenen Währungskindes.

Der Wechsel von der Wissenschaft in die Politik ist ein Wagnis. Eines der prominentesten Beispiele dafür, dass dieses Wagnis nicht immer gelingt, ist John Maynard Keynes, der mangels Kompetenzen mit seinem Wirken in der Politik alles andere als zufrieden war.

Vielleicht war Keynes Ihnen ja ein mahnendes Vorbild. Jedenfalls haben Sie von Anfang an darauf geachtet, beim Wechsel in die Notenbank auch die entsprechenden Zuständigkeiten zu erhalten. Wie schon 1990, als Sie in das Direktorium der Deutschen Bundesbank eintraten, haben Sie auch bei der Europäischen Zentralbank von Beginn an auf eine klare Aufgabenverteilung Wert gelegt und mit den Aufgabenbereichen Volkswirtschaft und Forschung Ihre Funktion als Chefvolkswirt, die es als offizielles Amt ja gar nicht gibt, untermauert.

"Klare Verhältnisse von Beginn an" und "feste Überzeugungen" - so könnte man die Leitmotive Ihres Handelns zusammenfassen, die sich auch in Ihrer Stellung zur Geldpolitik widerspiegeln.

Es ist insbesondere Ihr Verdienst, dass das geldpolitische Zwei-Säulen-Konzept der EZB noch vor dem Beginn der Währungsunion der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, damit sich alle Marktteilnehmer darauf einrichten konnten. Gleichzeitig haben Sie nie einen Zweifel daran aufkommen lassen, dass die europäische Geldpolitik vorrangig der Preisniveaustabilität verpflichtet ist. Sie waren dabei so standhaft und verlässlich, dass einige Kollegen sogar von einem "Drei-Säulen-Konzept" sprachen - mit Otmar Issing als dritter Säule.

Für Sie ist Geldpolitik nicht nur Technik. In einem von Ihnen und Helmut Hesse herausgegebenen Buch mit dem Titel "Geld und Moral" beschäftigen Sie sich mit der "Ethik der Notenbankpolitik" und der "Moral der Notenbanker". Sie gelangen darin zu dem Schluss, dass eine gute Geldverfassung nicht allein auf Regeln und Institutionen angewiesen ist, sondern genauso auf das Verantwortungsbewusstsein derer, die entscheiden. Denn letztlich brauchen wir immer beides: klare Prinzipien - und Menschen, die danach handeln.

Die erste Zeit in der Europäischen Zentralbank schildern Sie als die aufregendste, anspruchsvollste und verantwortungsträchtigste, die es im Leben eines Ökonomen geben kann. Aus diesen Worten spricht die Bürde, die auf Ihren Schultern gelegen hat. Zwar konnten Sie auf Ihre Erfahrungen bei der Deutschen Bundesbank zurückblicken. Aber trotzdem gab es keine Blaupause und kein Lehrbuch über die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung. Alles musste von Anfang an funktionieren. Und das tat es.

Die Europäische Zentralbank hat in dieser Anfangsphase ihre Feuertaufe gut bestanden. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch an einen Mann erinnern, der heute leider nicht mehr unter uns sein kann: an den ersten Präsidenten der EZB, an Wim Duisenberg.

Unser Land schuldet Ihnen für Ihre Arbeit im Direktorium der EZB Dank. Der Euro ist heute weltweit akzeptiert. Er ist die zweitwichtigste Reservewährung. Er ist ein Anker für Europa. Und worauf das gesamte Direktorium mit Recht besonders stolz sein kann: Er ist bislang wertstabiler als die Deutsche Mark. Die Europäische Gemeinschaftswährung ist ein Erfolg geworden. Allen, die daran mitgewirkt haben, möchte ich im Namen unseres ganzen Landes Dank und Anerkennung aussprechen.

So viel regionale "Standfestigkeit" wie bei Ihnen findet man nicht oft. Sie sind in Würzburg geboren, haben in Nürnberg-Erlangen und in Ihrer Heimatstadt gelehrt und später in Frankfurt Notenbankgeschichte geschrieben.

Neben Ihrer Heimatverbundenheit zeichnen Sie sich durch Ihre Liebe zum Sport aus. In Ihrer Jugend waren Sie ein wettkampferprobter Läufer, und auch heute joggen Sie noch regelmäßig - eine Leidenschaft, die ich mit Ihnen teile. Und Ihre Fußballbegeisterung soll in der Universität Würzburg geradezu legendär gewesen sein.

Zusätzlich zu Ihren beruflichen Tätigkeiten haben Sie sich in einer Vielzahl von Gesellschaften und Vereinen engagiert. Auch in der Politikberatung waren Sie aktiv. Als Beispiele möchte ich hier Ihre Tätigkeit im Sachverständigenrat und dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums nennen. Auch hierfür danke ich Ihnen stellvertretend für die Bürger unseres Landes.

Für Ihr wissenschaftliches Werk und Ihre vielfältigen Leistungen haben Sie zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Unter anderem wurden Sie 2003 mit dem internationalen Preis der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung geehrt. In Ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Hayek Preises hat mich eine Stelle besonders beeindruckt. Ich denke diese ist auch charakteristisch für Sie. Sie reflektieren dort über die Risiken und möglichen Gefahren der Freiheit und stellen die Frage, "darf eine Gesellschaft am Ende jedes Risiko eingehen bis hin zum Risiko der Selbstzerstörung?"

Der Preis galt nicht allein dem brillanten Ökonomen, sondern auch dem großen Vermittler ökonomischen Denkens an die Öffentlichkeit. Wirtschaftswissenschaftler, die eine für die Allgemeinheit verständliche Sprache pflegen, sind ja leider in Deutschland dünn gesät. Sie zählen zu ihnen und haben dadurch das Verständnis der Bürger für wirtschafts- und währungspolitische Zusammenhänge geschärft. Viele Bürger stellen sich ja zum Beispiel die Frage, die schon Johann Nestroy aufgeworfen hat. Ich zitiere: "Die Phönizier haben das Geld erfunden. Aber warum so wenig?" - Nun, Sie, lieber Herr Issing, können erklären warum.

Ein solch hohes Maß an Engagement im beruflichen und gesellschaftlichen Bereich erfordert viel Kraft - Kraft, die Sie aus Ihrer Familie schöpfen können. Deshalb möchte ich in meinen Dank auch ausdrücklich Ihre Frau und Ihre Kinder mit einschließen. Wie ich weiß, waren die Lebenssphären dabei nicht etwa streng geteilt - wissenschaftlich reflektierte Geldpolitik hier und Familie dort. Wie man hört, ist zum Beispiel im Hause Issing das Phänomen der gefühlten Inflation recht häufig debattiert worden, und die Meinungen darüber, ob der Euro nun einen Inflationsschub bewirkt hat oder nicht, gehen wohl noch immer auseinander.

Lieber Herr Professor Issing, ich wünsche Ihnen für Ihren neuen Lebensabschnitt weiterhin Erfüllung und Glück. Es wartet natürlich schon eine neue Aufgabe auf Sie. Sie sind Präsident geworden. Präsident des Finanz-Forschungsinstituts in Frankfurt. Damit bleiben Sie der Geldpolitik und Ihrer wissenschaftlichen Durchdringung verbunden. Ich bin mir gewiss, dass Sie auch diese neue Aufgabe erfolgreich gestalten werden.

Und nun habe ich die Freude, Ihnen für Ihre Verdienste um unser Land das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen.