Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler bei der Preisverleihung "Zukunftsradar 2030 - Jugend gestaltet Zukunft" der Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz

Schwerpunktthema: Rede

Ingelheim, , 23. März 2007

Der Bundespräsident am Rednerpult

Ich freue mich sehr, heute zur Preisverleihung vom "Zukunftsradar 2030" bei der Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz und hier bei Ihnen in Ingelheim am Rhein zu sein. Es wird gewiss gleich noch viel von Zukunft die Rede sein. Erlauben Sie mir darum zu Beginn einen Abstecher in die Vergangenheit:

Wir schreiben das Jahr 1904. Keine zweihundert Kilometer rheinabwärts von hier, auf der Kölner Hohenzollernbrücke, führt ein junger Ingenieur seine Erfindung vor: "Telemobiloscop" hat er sie genannt, laut Patentschrift eine "Vorrichtung, um entfernte metallische Gegenstände mittels elektrischer Wellen einem Beobachter zu melden". Und tatsächlich: Noch ehe der erste Rheindampfer durch den Morgendunst erkennbar wird, schrillt die Klingel des Geräts und kündigt die Ankunft des Schiffes an. Es hat noch einige Jahrzehnte gedauert, ehe aus dem "Telemobiloscop" unser modernes Radar wurde. Das zugrunde liegende Prinzip aber ist dasselbe geblieben: Mittels elektromagnetischer Signale können Objekte ausgemacht werden, die das bloße Auge nicht sieht, weil sie zu weit entfernt sind oder von Dunkelheit oder Nebel verborgen werden.

Den "Zukunftsradar 2030" kann man ganz ähnlich verstehen: Er ist ein Instrument, das uns hilft, zumindest in Umrissen ein Bild der Zukunft zu gewinnen und unseren Kurs entsprechend festzulegen. Und zugleich ist der Zukunftsradar ein starkes Signal, das in Politik und Gesellschaft hineinwirkt, sie vor Engpässen und Klippen warnt und nötigenfalls zur Kurskorrektur mahnt.

Seit einigen Jahren hat die Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz vor allem den demographischen Wandel "auf dem Schirm." Bei diesem Thema ist der Nebel übrigens nicht mehr ganz so dicht wie viele meinen: Schließlich ist ein großer Teil der Menschen, die im Jahre 2030 leben werden, heute schon auf der Welt. Wenn wir vom demographischen Wandel sprechen, sprechen wir nicht von vagen Prognosen für eine ferne Zukunft, sondern von einer Entwicklung, die schon seit Jahrzehnten stattfindet und deren Auswirkungen immer klarer erkennbar werden. Für Deutschland lauten sie: Wir werden weniger, wir werden älter, und die Vielfalt der Familiengeschichten von Einheimischen und Zugewanderten wird größer, kurz: die Heterogenität unserer Gesellschaft wird zunehmen.

Dieser Vorgang stellt nicht nur unsere Sozialsysteme vor große Herausforderungen. Er wird auch unsere Arbeitswelt verändern, das Miteinander der Generationen, das Gesicht unserer Städte und Gemeinden - hier in Ingelheim und überall in Rheinland-Pfalz und Deutschland. Je früher wir uns darauf einstellen, desto besser. Sie in Rheinland-Pfalz haben hier schon recht früh die Radarsysteme eingeschaltet - und das, obwohl sich der Wandel bei Ihnen bislang weniger rapide vollzieht als in vielen anderen Teilen Deutschlands.

Wenn ich mir die beeindruckende Liste von Projekten anschaue, die unter dem Dach der Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz und im Rahmen des Projekts "Zukunftsradar 2030" versammelt sind, wenn ich sehe, wie viele Veranstaltungen und Expertenrunden gelaufen sind, welche Studien gemacht und welche Instrumente entwickelt wurden (der "Demographiecheck für Kommunen" beispielsweise), dann kann ich nur sagen: Respekt! Hier wird etwas ganz Wichtiges geschaffen, nämlich Bewusstsein: Das Bewusstsein dafür, dass wir den demographischen Wandel bei allem, was wir heute tun und planen, mitbedenken müssen; das Bewusstsein dafür, dass der demographische Wandel eben keine Urgewalt ist, deren Folgen wir hilflos ausgeliefert sind; und schließlich das Bewusstsein dafür, dass es schon viele gute Lösungsansätze gibt, die Anregung und Vorbild sein können.

Das finde ich besonders wichtig. Es reicht nämlich nicht, abwechselnd nach dem Staat, der Politik, den Unternehmen, der Zivilgesellschaft oder den Familien zu rufen. Jedem von uns muss klar sein: Auch ich trage einen Teil der Verantwortung für eine gute gemeinsame Zukunft - Sie, die jungen Leute, die Sie heute für Ihre Ideen ausgezeichnet werden; wir, die Älteren, egal in welcher gesellschaftlichen Position wir uns befinden. Und darum ist es gut, dass Sie es mit dem "Zukunftsradar 2030" geschafft haben, so viele Akteure anzusprechen. Da ist nicht nur die "große Politik", auch wenn sie gewiss Rahmenbedingungen setzt und Weichen stellt. Da ist auch der Unternehmer, der sich darüber klar werden muss, wie wichtig es sein wird, erfahrene Fachkräfte zu halten und weiter zu qualifizieren, und der vielleicht auch gut daran tut, seine Produkte und Dienstleistungen besser auf die Bedürfnisse einer alternden Bevölkerung zuzuschneiden. Da ist die Kommunalpolitikerin, die Weitblick beweisen muss, wenn sie mit schrumpfenden Ressourcen eine vielleicht zahlenmäßig kleiner werdende Gemeinde lebenswert und zukunftsfähig gestalten will. Da ist jeder einzelne von uns - Sie, ich - die wir uns überlegen müssen, wie wir unser Zusammenleben gestalten, wenn es immer weniger junge Menschen und immer mehr ältere gibt.

"Jugend gestaltet Zukunft" - das sollte mehr sein als ein dekoratives Motto. Das ist auch ein Appell an uns Ältere: Gehen wir auf die jungen Leute zu! Das bietet Chancen für uns alle, voneinander und miteinander zu lernen. Bei der jüngsten Konferenz des "Forums Demographischer Wandel", das ich gegründet habe, waren Schülerinnen und Schüler dabei, die beeindruckend klar ihre Vorstellungen für ihre Zukunft formuliert haben. Gerade Sie, die Jüngeren, müssen sich ja auf vieles einstellen, was Ihre Eltern so nicht erlebt haben: auf eine veränderte Arbeitswelt etwa, die weniger Sicherheit verspricht und mehr Flexibilität verlangt. Ich weiß, dass Sie oft skeptisch oder auch besorgt in die Zukunft blicken. Ich weiß aber auch: Die meisten von Ihnen sind bereit, sich auf Veränderungen einzustellen - und Sie sind auch bereit, Verantwortung zu übernehmen und die Dinge zum Guten mitzugestalten. Gut so. Es ist Ihr 21. Jahrhundert!

Ich verstehe die heutige Preisverleihung nicht nur als ein Zeichen der Anerkennung, sondern auch als ein Signal, das die Aufmerksamkeit auf Ihre Ideen richten und andere zur Nachahmung einladen soll. Besonders beeindruckend finde ich die Themenvielfalt der Projekte, die Sie entwickelt haben: Da geht es um Freizeitangebote, Mitfahrgelegenheiten, regionale Gerichte und Kulturstätten; um Orts- und Regionalgeschichte und um die berufliche Zukunftsgestaltung, um die Lebensbedingungen von behinderten Menschen und um das Miteinander von Alten und Jungen; es geht um Recycling, um Gewaltprävention, um Lokalpolitik und darum, wie sie verständlicher wird. Und auch die jungen Leute, deren Projekte heute keinen Preis bekommen, haben gewonnen: Nämlich die Erfahrung, dass es gut ist, etwas selbst zu tun und zu gestalten, auch wenn nicht alle auf dem Siegertreppchen landen können - nach dem Wettbewerb ist immer auch vor dem Wettbewerb.

Der französische Schriftsteller Antoine de Saint Exupéry, der als Pilot ziemlich viel von Technik verstand, hat einmal gesagt: "Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen." Für uns heute bedeutet das: Prognosen allein genügen nicht - wir müssen auch handeln, Weichen stellen für eine gute Zukunft; für eine Gesellschaft, die den spannenden Herausforderungen des demographischen Wandels und der Globalisierung gewachsen ist.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist Bildung. Es ist gut, dass Sie in Rheinland-Pfalz darüber nachdenken, wie Kinder schon ganz früh die Lust am Lernen lernen können, auch wenn ihnen das Vergnügen daran nicht schon im Elternhaus vermittelt wird. Es ist gut, dass Sie bei der Einführung von beitragsfreien Kindergärten ebenso Vorreiter sind wie bei der Schaffung von Ganztagsschulen. Wir brauchen außerdem eine bestmögliche berufliche Ausbildung für unsere jungen Leute. Da sind vor allem die Unternehmen gefordert. Es ist gut, wenn sich Boehringer Ingelheim hier vor Ort dafür einsetzt, dass auch benachteiligte Jugendliche die Chance auf einen Ausbildungsplatz bekommen. Und die Wirtschaft ist auch gefordert, wenn es um die Qualifizierung und Weiterbildung der Älteren geht. Ich danke Ihnen, lieber Herr Professor Muff, dass Sie sich bei Boehringer Ingelheim so engagiert auch dieser Aufgabe annehmen.

Eine weitere Voraussetzung für eine gerechte und starke Gesellschaft lautet: genug Raum für Familien und Kinder. Sich für Kinder zu entscheiden und Elternverantwortung gut wahrzunehmen, das ist schwieriger geworden, weil junge Menschen - Frauen wie Männer - um ihr Auskommen, um Arbeitsplätze und Anerkennung ganz anders kämpfen müssen als noch vor 15, 20 Jahren. Umso wichtiger sind gute Strukturen für Familien: Wir brauchen genug kindgerechte Betreuung schon für die Kleineren - da scheint mir Rheinland-Pfalz auf einem guten Weg, wenn ich lese, dass es in letzter Zeit einen deutlichen Anstieg bei der Zahl der Krippenplätze gegeben hat. Wir brauchen Arbeitsmodelle, die die berechtigten Anforderungen des Arbeitgebers mit den berechtigten Bedürfnissen der Familie in Einklang bringen - weil Kinder ihre Eltern ebenso brauchen wie Eltern ihre Arbeit und Arbeitgeber ihre Mitarbeiter. Es interessiert mich sehr, wie Sie das hier bei Boehringer-Ingelheim gestalten, Sie haben ja - wie übrigens auch das Bundespräsidialamt - mit Erfolg das Audit "Beruf und Familie" absolviert.

Noch eine letzte, ganz wichtige Voraussetzung für eine gute Zukunft möchte ich nennen: Wir müssen bei allem, was wir heute tun und entscheiden, immer auch die Auswirkungen auf kommende Generationen berücksichtigen. Das haben viele westliche Gesellschaften und auch die unsere lange vernachlässigt und über ihre Verhältnisse gelebt. Dass wir das in vielen Bereichen noch immer tun, das zeigt sich an unserem Umgang mit den natürlichen Ressourcen und den Folgen für die Umwelt. Der Klimawandel ist leider nicht ungewisse Zukunft, sondern traurige Realität. Gut, dass das "Zukunftsradar 2030" im nächsten Wettbewerb das Thema "Energie" auf den Schirm holt. Denn auch da gilt: Jeder einzelne ist gefordert! Und ich bin mir gewiss: Auch da wird der Zukunftsradar gute Projekte orten und starke Signale aussenden.

Dem jungen deutschen Ingenieur, der 1904 das "Ur-Radar" erfand, war es nicht vergönnt, seine Erfindung zum Erfolg zu führen. Die Vertreter des kaiserlichen Marineamtes befanden damals, diese Technik sei überflüssig; man habe doch schließlich Nebelhörner. Auch heute erleben wir, dass manche auf die Zukunft nicht mit neuen Ideen reagieren, sondern mit "Pfeifen im Walde" und Tuten im Nebel. Sie, liebe Preisträger, tun das nicht. Sie zeigen, dass Sie sich der Verantwortung für unsere gemeinsame Zukunft stellen wollen. Herzlichen Dank dafür und weiterhin viel Erfolg!

Fotos des Besuchs in Ingelheim finden Siehier.