Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler aus Anlass der Präsentation des Buches "Jahre der Politik. Die Erinnerungen" von Bundespräsident a.D. Roman Herzog

Schwerpunktthema: Rede

Bonn, , 31. August 2007

Bundespräsident Horst Köhler und Bundespräsident a. D. Roman Herzog

Ich freue mich sehr, dass wir heute - in dieser doch recht ungewöhnlichen Konstellation - zusammengekommen sind. Wenn Sie mir das Wortspiel gestatten: Ein aktiver und ein inaktiver Bundespräsident treffen zusammen, wobei der aktive gleich nur zuhört und der inaktive im Gespräch mit Herrn Kleber aus seiner aktiven Zeit berichtet. Ich freue mich auf eine spannende, informative und sicher auch unterhaltsame Stunde.

Wir haben uns hier, in der Villa Hammerschmidt, versammelt, weil Sie doch den größten Teil Ihrer Amtszeit, Herr Bundespräsident Herzog, hier in Bonn verbracht haben. Und auch das Bundespräsidialamt war bis zum November 1998 hier an der Kaiser-Friedrich-Straße, und die ehemaligen Mitarbeiter, die wir eingeladen haben, freuen sich sicher auch über das Wiedersehen an diesem Ort.

Wir wollen heute nicht allzu nostalgisch werden, das liegt Ihnen schon gar nicht.

Aber nun haben Sie Ihre Erinnerungen an ihre "Jahre der Politik" veröffentlicht: und das bedeutet eben doch: Rückblick. Ein Rückblick allerdings, der auch für die Gegenwart aufschlussreich und fruchtbar sein soll.

Durch Politik ist Ihr Berufsleben nicht von Anfang an geprägt worden. Vielmehr zeichnete sich eine glänzende akademische Karriere ab, als Sie 1966 ordentlicher Professor in Berlin wurden, einige bedeutende staatsrechtliche Publikationen "auf Kiel gelegt hatten", wie Sie das nennen, und schließlich zum Mitherausgeber des Grundgesetzkommentars wurden, der dann sehr lange "Maunz-Dürig-Herzog" hieß.

Dann aber trat - und nicht zum letzten Mal - Helmut Kohl in Ihr Leben und bot Ihnen an, Bevollmächtigter des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund zu werden. Sie nahmen das Angebot an, und von da an begannen die "Jahre der Politik", wobei Sie selber ursprünglich nur eine kürzere Unterbrechung Ihrer akademischen Arbeit ins Auge gefasst hatten, sozusagen eine Art "Feldforschung" in angewandter Staatslehre. Aber es kam anders.

Es folgten vielmehr viele hohe Ämter - und immer zeichnete sich Ihre Amtsführung durch einen unkonventionellen, nüchternen Stil aus - vor allem aber durch innere Unabhängigkeit und eine beispielhafte Verblüffungsresistenz. Sie waren wenig beeindruckbar - auch nicht von sich selbst und den Ämtern, die Ihnen angetragen wurden.

Eines der höchsten Ämter, die die Republik zu vergeben hat, ist das des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts - Nummer fünf in der protokollarischen Rangfolge. Es ist ein bisschen erstaunlich, dass Sie in Ihrem Buch Ihre Zeit am Verfassungsgericht überschreiben mit dem Titel "Pause von der Politik". Denn "Karlsruhe" genießt zwar wegen seiner Unabhängigkeit allerhöchstes Ansehen in der Öffentlichkeit, aber dass die Arbeit dort eine Pause von der Politik sein soll, also als unpolitisch bezeichnet werden kann, das kann ich schwer einsehen. Vielleicht kommen Sie, Herr Kleber, in dem anschließenden Gespräch noch einmal darauf zurück.

Am 1. Juli 1994 wurden Sie als Bundespräsident vereidigt. Sozusagen von der ersten Minute an haben Sie damals demonstriert, dass Sie das Amt mit einer gewissen ja, sagen wir ruhig: Unbeschwertheit führen wollten; Ihr eigenes Wort dafür ist legendär geworden, zumal es am Anfang viel Aufregung verursacht hat: unverkrampft.
Sie waren bestens präpariert, nicht zuletzt weil Sie die entsprechenden Artikel des Grundgesetzes, die das Amt des Bundespräsidenten betreffen, selber kommentiert hatten. Über die verfassungsmäßigen Grenzen des Amtes waren Sie sich vollkommen im Klaren, und vielleicht hat gerade das Sie dazu beflügelt, innerhalb dieser Grenzen eine große Aktivität zu entwickeln - unterstützt von einem hervorragenden Stab unter Leitung von Staatssekretär Staudacher.

Sie erzählen in Ihrem Buch allerdings auch, dass es Ihnen selber auch gelegentlich zu viel wurde und dass Sie an dem Tag, als einmal, wie Sie berichten, vier Herzog-Reden gleichzeitig in den Medien besprochen wurden, beschlossen, doch etwas kürzer zu treten. Auf jeden Fall haben Sie sich eingemischt in die Themen und Sachfragen, die Sie für wichtig hielten und sich gelegentlich auch mutig exponiert und auch manches thematische Neuland betreten.

Ich will nur eines herausgreifen. Eines der Themen, die Sie massiv umgetrieben haben, war die Globalisierung. Sie haben die ökonomischen und politischen Dimensionen beleuchtet - aber Sie haben sich ganz besonders auch dem damals noch kaum so deutlich im Mittelpunkt stehenden Thema des interkulturellen Dialogs gewidmet. Sie haben selber die Gelegenheit beim Schopf gefasst und die Laudatio gehalten, als die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Die Rede ist in der islamischen Welt stark beachtet worden und war ein erstes öffentliches Dialogangebot eines westlichen Staatsführers. Sie sind dann auch mit Zeitungsartikeln in einen Dialog mit dem damaligen iranischen Staatspräsidenten Chatami getreten. Und Sie haben mit als erster in Deutschland darauf aufmerksam gemacht, dass der Dialog unter den Religionen auch im eigenen Land gesucht werden muss, auf allen Ebenen. Als weithin sichtbares Zeichen haben Sie als erster Bundespräsident überhaupt Vertreter von muslimischen Organisationen und Verbänden im Schloss Bellevue versammelt: eine Pioniertat - und, wenn man so will, der erste Schritt in Richtung auf eine Islamkonferenz, wie wir sie jetzt haben, an die aber damals noch niemand zu denken wagte.
Mit solchen und anderen Reden und Initiativen haben Sie selber getan, was Sie in einer Reflektion über das Amt des Bundespräsidenten forderten: "Der Bundespräsident hat solche Fragen zu thematisieren, die im Moment nicht Gegenstand der allgemeinen Debatte sind und infolgedessen auch den Massenmedien als nebensächlich erscheinen..."

Dass der Bundespräsident in der Hauptsache durch Reden wirkt, haben Sie in derselben Rede, die sich mit Rhetorik in der Demokratie befasst, ebenfalls sehr ausführlich dargestellt. Dabei haben Sie auch auf eine Ambivalenz aufmerksam gemacht:

"Da ich als Bundespräsident fast keine Entscheidungskompetenz habe, ist es nicht einmal möglich, mich zur Verantwortung zu ziehen, falls jemand Vorschläge, die ich mache, gesetzgeberisch oder sonst wie in die Tat umsetzt. Auf der anderen Seite kann ich immer, wenn nicht getan wird, was ich vorschlage, darauf verweisen, dass es besser gewesen wäre, man hätte auf mich gehört."

Das ist überspitzt - und das könnte, wenn man es übertriebe, zum verantwortungslosen Umgang mit dem Wort und dem Instrument der Rede verführen. Sie haben in Ihrem Wirken und eben in Ihren Reden das Gegenteil bewiesen. Es war eine sehr verantwortungsbewusste Art, das Wort zu ergreifen und Sie sind dem Motto des ersten Auswahlbandes Ihrer Reden treu geblieben: "Wahrheit und Klarheit".

Und noch eines scheint mir wichtig: Sie haben nicht so getan, als wenn Sie auf alle Fragen eine Antwort wüssten. Manchmal ist es wichtiger, die richtigen Fragen zu stellen, auch wenn es darauf eine Antwort nicht sofort geben kann: In einer Rede auf Bertolt Brecht haben Sie ganz deutlich festgestellt: "Was in unserem Land gegenwärtig vor allem fehlt, ist der Mut, echte Fragen zu stellen, und Geduld zu haben, wenn es nicht sofort eine Antwort gibt. Wo keine Fragen gestellt werden, wird nichts wirklich Neues entstehen, da erstarren die gesellschaftlichen Verhältnisse. Wer auf Fragen verzichtet, der hat im Grunde auch auf neue Lösungen schon verzichtet."

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Herzog, die Fragen heute stellt Ihnen Claus Kleber, wir sind gespannt auf das Gespräch, auf Ihre Erfahrungen und Erinnerungen, und wir freuen uns, dass Sie da sind.