Tischrede anlässlich des 70. Geburtstages von Frau Dr. h.c. Birgit Breuel

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 12. September 2007

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Ihr runder Geburtstag, liebe Frau Breuel, liegt erst ein paar Tage zurück, daher zu allererst noch einmal: Herzlichen Glückwunsch!

Meine Damen und Herren, ich freue mich darüber, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Mit diesem Abend wollen wir Birgit Breuel ehren. Diese Zusammenkunft gibt mir auch die Gelegenheit, liebe Frau Breuel, Ihnen und allen Ihren Weggefährten bei der Treuhandanstalt noch einmal zu danken für ihre erfolgreiche Arbeit.

Unsere anregende Diskussion heute Nachmittag hat gezeigt: Wir dürfen uns über die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern freuen. Denn bei allen Herausforderungen, die es dort zweifelsohne noch immer gibt, hat sich doch in Ostdeutschland eine große Zahl leistungsstarker Unternehmen entwickelt.

Als Sie, Frau Breuel, im Herbst 1990 zum Vorstandsmitglied der Treuhandanstalt berufen wurden, begrüßte Sie Detlev Karsten Rohwedder mit den Worten: "Sie haben kein Büro, keine Mitarbeiter, aber tausende von Unternehmen, die auf ihre Entscheidungen warteten. Also fangen Sie einfach an!" Und die rund 8.400 Unternehmen mit 40.000 Betriebsstätten in Ostdeutschland standen kurz vor dem Zusammenbruch:

Über 90 Prozent der Betriebe waren in akuter Zahlungsnot. Sie brauchten sofort Kredite, um überhaupt noch Löhne zahlen zu können.

Es gab für die Produkte aus Ostdeutschland keinen Markt mehr. Die Ostdeutschen wollten Westprodukte kaufen - und ebenso die Russen; der ostdeutsche Export brach binnen Kurzem um 50 Prozent ein.

Die gesamtwirtschaftliche Produktivität lag bei einem Drittel des westdeutschen Niveaus.

Über 100 Mrd. Altschulden aus DDRZeiten standen in den Büchern - ökologische Altlasten nicht mitgerechnet.

Ich finde, man muss sich diese Lage immer wieder in Erinnerung rufen, wenn man über die Arbeit der Treuhandanstalt spricht. Nur dann kann man ermessen, wie groß die Transformationsaufgabe war. Nur dann ist verständlich, warum hunderttausende ostdeutsche Beschäftigte von heute auf morgen arbeitslos wurden. Und nur dann lässt sich begreifen, welche Aufgabe Sie, Frau Breuel, übernahmen, als der Verwaltungsrat der Treuhandanstalt Sie im April 1991 zur Nachfolgerin für den ermordeten Detlev Karsten Rohwedder wählte.

Diese Aufgabe war sicher eine der schwierigsten und undankbarsten im Einigungsprozess. Dass Sie, Frau Breuel, diese Herausforderung angenommen haben - pflichtbewusst, wie es ihre Art ist -, dafür danke ich Ihnen im Namen der Bundesrepublik Deutschland. Und ich danke auch der Familie Breuel, denn ohne das positive Votum des Familienrates hätten Sie es wohl nicht getan.

Mit hanseatischer Ruhe brachte Birgit Breuel dann Ordnung in ein Haus, das nach der Ermordung Detlev Rohwedders schwer erschüttert - und doch erst im Aufbau begriffen! - war. Detlev Rohwedder selbst hat diesen Aufbau so beschrieben: "Siemens hat mit seiner Frau und zehn Buchhaltern angefangen und hundert Jahre gebraucht, um ein Weltkonzern zu werden. Wir sind über Nacht ein Weltkonzern geworden, viermal so groß wie Siemens, und haben keine Buchhalter." In dieser größten Beteiligungsholding der Welt hat Birgit Breuel funktionierende Arbeitsstrukturen geschaffen und das vorangetrieben, was sie und Detlev Rohwedder als Leitbild ihrer Arbeit definiert hatten: "Privatisierung ist die wirksamste Sanierung." Konsequent in der Sache, aber verbindlich im Ton haben Sie, Frau Breuel, das Tempo der Privatisierung erhöht und die Arbeit der Treuhandanstalt nach außen vermittelt.

Diese Vermittlungsarbeit war nicht leicht. Selbst wenn nicht in allen Fällen Arbeitslosigkeit die Folge war, weil gleichzeitig auch neue Arbeitsplätze entstanden sind, so verlangten die Umwälzungen den Menschen doch eine extrem hohe Veränderungsfähigkeit ab und führten zu tiefer Verunsicherung. Viele Betroffene hatten verständlicherweise das Gefühl, vor dem Nichts zu stehen. Und für die oberflächlichen Betrachter und erst recht für die Vereinfacher gab es immer einen Hauptschuldigen: die Treuhandanstalt. Für die neuen Arbeitsplätze dankte man dagegen den Investoren. Trotz der oft uninformierten und ungerechten Kritik hat Birgit Breuel aber nie ihre Zuversicht, Tatkraft und Gelassenheit verloren. Das Ergebnis waren Investitionszusagen von mehr als 200 Mrd. DM. Damit wurde die Grundlage für neue industrielle Wertschöpfung in Ostdeutschland gelegt. Und wir im Bundesfinanzministerium - an der Spitze Minister Dr. Theo Waigel - haben Sie als durchsetzungsstarke Verhandlungspartnerin kennen gelernt.

Sie haben aber nicht nur die Treuhand souverän nach außen vertreten. Sie waren auch intern unangefochten. Ihre Vorstandskollegen schätzten Sie als immer bestens vorbereitete Chefin, die kooperativ und überzeugend geführt hat. Ihre Mitarbeiter schwärmen noch heute vom Corpsgeist, der in der "Anstalt" herrschte. Dieser Zusammenhalt ist auch deshalb entstanden, weil Sie sich konsequent vor Ihre loyalen Mitarbeiter gestellt haben. Das war nicht immer selbstverständlich. Auch Fehlentscheidungen mussten getragen werden.

Es gab leider auch einzelne Fälle von Wirtschaftskriminalität; und sie schadeten dem Bild der Treuhandanstalt in der Öffentlichkeit. Um es deutlich zu sagen: Jeder dieser Fälle war einer zuviel, doch sollten sie nicht den Blick auf das Gesamtbild verstellen. In Fachkreisen weiß man die Leistung der Treuhandanstalt und ihrer Mitarbeiter schon heute zu würdigen. Ich bin mir gewiss, dass dies auch vom historischen Urteil bestätigt werden wird, zumal die Treuhandanstalt "ohne historisches Vorbild" ist.

Die Arbeit der Treuhandanstalt war für Deutschland unglaublich wichtig - und sicher auch für Birgit Breuel. In ihrem Leben aber gab es mehr. Geboren als Tochter eines höchst angesehenen und erfolgreichen Vaters, wurde ihr doch nichts in den Schoß gelegt. Im Gegenteil: Sie musste sich selbst durchsetzen. Sie hat gelernt, dass man gut, nein, dass man besser sein muss, wenn man als Frau in einer Männerwelt bestehen will. Frau Breuel, Sie haben einmal Ihre "Lust auf Hundertprozentigkeit" beklagt. Aber ich glaube, diesen Spaß am vollen Einsatz brauchten Sie. Wie hätten Sie es sonst nicht nur als erste Frau, sondern als erste Mutter an die Spitze eines Wirtschafts und später Finanzministeriums geschafft? Sie haben nicht nur den Titel "Ministerin" eingeführt. Sie haben schon 1970 als Politikerin in der Hamburger Bürgerschaft das gelebt, was heute immer noch debattiert wird: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was Sie Ende der 80er Jahre in Ihrem Buch mit dem schönen Titel "Der Mensch lebt nicht von Umsatzzahlen" gefordert haben, nämlich flexible Arbeitsmodelle, die gleichberechtigte Aufteilung der Arbeiten zwischen Vätern und Mütter, aber auch die Anerkennung von Frauen, die zugunsten der Kindererziehung zu Hause bleiben, also echte Wahlfreiheit, das ist heute - 20 Jahre später - immer noch aktuell und längst nicht überall verwirklicht.

Auch viele andere Themen der Wirtschafts und Finanzministerin Birgit Breuel werden heute noch diskutiert, als da zum Beispiel wären Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, Trennung von Netz und Betrieb bei der Bahn sowie der Kampf gegen Subventionen und - ich zitiere einen Buchtitel von Ihnen: gegen den "Amtsschimmel". Alle ihre Aussagen dazu zeugen von klaren ordnungspolitischen Begriffen und Überzeugungen. Dass Sie diese Themen - auch gegen Widerstände - vorangetrieben haben, ist Ihr Verdienst. Dabei wussten Sie stets, und das kommt uns bekannt vor, dass man sich seinen Zielen manchmal "nur mit behutsamen kleinen Schritten nähern kann". Aber auch wenn es manchmal nur mit kleinen Schritten voran ging, Kurs gehalten haben Sie immer.

Nach der Auflösung der Treuhandanstalt wollten Sie sich eigentlich ins Privatleben zurückziehen, doch dann ließen Sie sich erneut in die Pflicht nehmen: als Generalkommissarin und Geschäftsführerin der EXPO 2000 - ein Großereignis, das Sie noch als Ministerin mitinitiiert hatten. Die Weltausstellung war kein einfaches Projekt, aber Ihnen ist es gelungen, sie zu einem Ort der Begegnungen zu machen, zu einem Diskussionsforum über Zukunftskonzepte. Die Frage, wie eine Balance von "Mensch, Natur und Technik" gefunden werden kann, wird uns noch lange beschäftigen.

"Nach der EXPO", haben Sie dann gesagt, werde es für Sie "nur noch eine Herausforderung geben: einfach nur zu Hause bleiben". Ein Wunsch, den ich angesichts Ihres - wie ich auf der Einladungskarte zu Ihrem Geburtstagsfest gesehen habe - wunderschönen Gartens gut verstehen kann. Aber so ganz im "Ruhestand" sind Sie auch heute nicht. Sie engagieren sich für Kinder in Not. Und wie ich gehört habe, tun Sie auch das zielsicher, mit großem Einsatz und mit viel Erfolg.

Liebe Frau Breuel, in der Sammlung von Textbausteinen des Bundespräsidialamtes für Geburtstagsglückwunschbriefe findet sich der auffordernde Satz: "Lassen Sie sich ruhig ein bisschen feiern." Er nutzt sich nicht ab, weil viele Geburtstagskinder ihn wirklich verdienen. Lassen Sie sich also heute ein bisschen von uns feiern: Meine Damen und Herren, bitte erheben Sie mit mir das Glas zu Ehren von Birgit Breuel: ad multos annos!