Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich der Verleihung des Preises "Freiheit und Verantwortung"

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 3. Dezember 2007

Bundespräsident Horst Köhler am Rednerpult

Was sind uns Freiheit und Verantwortung heute noch wert? Manche Umfrageergebnisse rütteln uns auf. Demnach scheint in Vergessenheit zu geraten, dass die Demokratie von der Freiheit lebt. Das sollte uns Sorgen machen. Woher kommt das Misstrauen gegenüber einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, warum findet die Aussage "Wenn es meinem Unternehmen gut geht, geht es auch mir gut" immer weniger Zustimmung unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?

Das Zweifeln hat vermutlich mit der Erfahrung zu tun, dass "mehr Markt" häufig keineswegs zu den erhofften Ergebnissen führt - vor allem dann nicht, wenn Wettbewerb und Transparenz fehlen. Viele Menschen sind verunsichert, denn die Lebensläufe werden unsteter, der Strukturwandel hat sich beschleunigt, die Einkommensungleichheit nimmt zu. Es wächst die Sorge, abgehängt zu werden. In einer solchen Situation ist vielen Menschen offenbar die Sicherheit wichtiger als die Freiheit. Denn Freiheit heißt ja auch: Verantwortung für sich und andere zu übernehmen in einer Welt, die Unwägbarkeiten und Risiken birgt.

Diese Zustandsbeschreibung sollte aber als Weckruf verstanden werden! Denn Verantwortung gehört zu den Hauptzutaten, die den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ausmachen. Es ist die Verantwortung für die Familie, für den Nachbarn, für Kollegen und Mitarbeiter, die die Freiheit bindet - und die uns damit auch selbst Halt gibt. Verantwortung zu übernehmen bedeutet, sich zu kümmern, bedeutet, selbst aktiv zu werden, nicht auf die Hilfe von anderen zu warten, bedeutet, die Gemeinschaft zu stärken. Was wäre das für eine Gesellschaft, in der niemand Verantwortung übernähme für die Menschen in seiner Umgebung. Es wäre eine kalte und unmenschliche Gesellschaft. Und wenn der Staat alle Verantwortung für die Menschen übernähme, dann führte das letztlich zu unfreien Gesellschaften. Der Titel des Wettbewerbs ist also hervorragend gewählt: Wir brauchen Freiheit- und deshalb brauchen wir auch Verantwortung.

Und wir brauchen Vorbilder. Vorbilder, die Verantwortung übernehmen und das auch zeigen. Unternehmer und Unternehmenslenker sind hier ganz besonders in der Pflicht. Denn sie tragen nicht nur eine große Verantwortung für ihre Mitarbeiter und deren Arbeitsplätze, sie prägen auch das Bild "der Wirtschaft" in der Öffentlichkeit, ob Sie wollen oder nicht. Sie müssen wissen, sie sind auch ein Aushängeschild der sozialen Marktwirtschaft und damit auch verantwortlich für deren Ansehen. Das ist eine große gesellschaftliche Verantwortung - die im Konkreten vor Ort beginnt: beim menschlichen Umgang mit den eigenen Mitarbeitern, beim sparsamen Einsatz endlicher Ressourcen - oder auch zum Beispiel beim Engagement für den örtlichen Kindergarten. Aber sie endet dort nicht. Die Unternehmer und Manager sind auch gefragt, sich in die politische Debatte einzumischen, diese mitzubestimmen und auch dort Verantwortung zu übernehmen.

Wir brauchen Vorbilder in den Unternehmen ganz besonders in Zeiten des Wandels. Wenn von den Arbeitnehmern große Flexibilität und Anpassungsbereitschaft gefordert werden und die müssen wir fordern dann brauchen wir umso mehr auch verantwortungsvolle Führungspersönlichkeiten in der Wirtschaft, die sich durch persönliche Glaubwürdigkeit und eben durch vertrauenswürdiges, das heißt Vertrauen stiftendes Verhalten auszeichnen. Konkret: Wer anderen das Maßhalten predigt, zum Beispiel bei Lohnverhandlungen, muss es auch selbst praktizieren. Wer von seinen Mitarbeitern Loyalität erwartet, der muss sie ihnen auch selbst entgegenbringen. Und wer in schwierigen Phasen den Mitarbeitern Einschnitte abverlangt, wer gar Angestellte entlassen muss, der darf sich nicht um erklärende Gespräche drücken und sollte sich zweimal fragen, ob es in solchen Situationen angemessen ist, sich selbst gleichzeitig großzügige Gehaltssteigerungen zu gönnen.
Die Gesellschaft erwartet zu Recht von Unternehmern und Unternehmenslenkern - wie von jedem anderen - dass sie rechtmäßig, gesetzestreu und moralisch anständig handeln. Das allein ist kein Verdienst, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wer dagegen verstößt, muss wissen, dass er nicht nur dem eigenen Ruf und damit dem Unternehmen schadet, sondern auch das Bild der Wirtschaft insgesamt in der Öffentlichkeit beschädigen kann.

Über dieses selbstverständliche Verhalten eines ehrbaren Kaufmanns hinaus können Unternehmer und Unternehmen durch freiwilliges gesellschaftliches Engagement ein gutes Stück dazu beitragen, das freiheitliche und soziale Fundament unserer Gesellschaft zu stärken. Und ich möchte durchaus nicht missverstanden werden: Die wichtigste Messlatte unternehmerischen Erfolgs ist und bleibt das nachhaltige wirtschaftliche Ergebnis. Das kann auch gar nicht anders sein, weil von diesem Ergebnis die Wohlfahrt vieler - Eigentümer wie Beschäftigter - abhängt. Aber freiwilliges gesellschaftliches Engagement ist ja auch nicht gleichzusetzen mit Altruismus. Es ist nicht einmal nur eine Investition in die freiheitliche Ordnung, in der die Unternehmen arbeiten und Geld verdienen. Es ist oft ein Engagement aus wohlverstandenem Eigeninteresse.

Jeder gute Unternehmer bzw. Manager weiß, dass er einer "Gesellschaft" vorsteht, und zwar nicht nur im gesellschaftsrechtlichen Sinne, sondern auch im Sinne einer Gemeinschaft von Menschen, die das Unternehmen zusammen führt. Da gibt es eine gemeinsame Geschichte, jede Menge soziale Beziehungen, gemeinsame Hoffnungen, gemeinsamen Stolz auf das Erreichte und vielfach eine gemeinsame Identität. Natürlich muss sich jedes Unternehmen im Wettbewerb behaupten, und das ist oft schwer genug. Aber es muss eben auch als soziale Gemeinschaft verstanden und geführt werden. Die Wettbewerbsfähigkeit und die Substanz eines Unternehmens erschließen sich nicht in Quartalszahlen. Es braucht mehr als kurzfristiges Renditedenken oder Herdenverhalten im Schalltrichter von so genannten Finanzanalysten, um ein Unternehmen dauerhaft erfolgreich zu führen. Immer mehr spricht sich herum: Zu einer modernen, erfolgreichen Unternehmenskultur gehört nicht nur Ehrbarkeit und langfristiges Denken, sondern eben auch soziale Kompetenz, nicht zuletzt in der Form, die Mitarbeiter motivieren zu können, denn die Menschen sind das Wichtigste für ein erfolgreiches Unternehmen. Der große Unternehmer Hans Merkle hat das einmal so ausgedrückt: "Führen heißt dienen."

Dies ist nichts grundsätzlich Neues. Unternehmer und Unternehmen, die gesellschaftliche Verantwortung praktizieren und zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Unternehmenskultur machen, haben eine lange Tradition in unserem Land - angefangen bei der Fuggerei in Augsburg vor 500 Jahren. Und manch ein Unternehmen in Deutschland, das sich schon im 19. Jahrhundert um gute Arbeitsbedingungen kümmerte, Wohnungen für Arbeiter baute und Gesundheitsvorsorge betrieb, gehört heute noch zu den Spitzenreitern, wenn es darum geht, gesellschaftliche Verantwortung ernst zu nehmen. Gesellschaftliche Verantwortung ist aber nicht nur ein Thema großer Traditionsunternehmen. Ganz im Gegenteil: Gerade kleine und mittelgroße Unternehmen, und nicht zuletzt Handwerksbetriebe, demonstrieren in vielfacher Weise Tag für Tag, dass Freiheit und Verantwortung Hand in Hand gehen. Dass das in Deutschland immer noch für die Mehrheit gilt, darauf können wir stolz sein.
Dass es gerade die kleinen und mittleren, die Eigentümer und Familienunternehmen sind, die Verantwortung übernehmen für die Gemeinschaft, verwundert nicht. Sie sind stärker in das soziale Umfeld am Standort eingebunden. Sie kennen die Menschen in ihrer Nachbarschaft. Sie wissen, wo ihre Unterstützung gebraucht wird, wo sie etwas zum Guten bewegen können. Und sie wissen auch, dass Verantwortung keine Einbahnstraße ist. Sie wird belohnt durch zufriedene, loyale Mitarbeiter, durch ein gutes Bild in der Öffentlichkeit, beides wichtige Faktoren für langfristigen Erfolg.

Eine solche Sicht der Dinge liegt vielleicht Eigentümerunternehmern näher als manchen angestellten Managern mit Fünfjahresverträgen. Was können Manager von Eigentümern lernen? Kann man beide überhaupt mit einander vergleichen? - Unternehmer arbeiten schließlich mit ihrem eigenen Geld, Manager verwalten das Geld der Eigentümer. Wovon lassen sich Manager leiten? Etwa vorwiegend von dem Druck, der dadurch entsteht, dass andere bereits in eine bestimmte Richtung marschieren? Blasen, wie sie am USHypothekenmarkt gerade jetzt entstanden sind, legen eine solche Erklärung vielleicht zuweilen nahe. Letztlich liegt es an den Anteilseignern, welche Politik das Management verfolgt. "Freiheit und Verantwortung" geht deshalb eminent auch die Aufsichtsräte, die Aktionäre und die Gesellschafter an. Sie haben es in der Hand, die "Corporate Governance" auch im Lichte des gesellschaftlichen Ganzen zu sehen. Und der unter Vorsitz von Gerhard Cromme ausgearbeitete "Corporate Governance Kodex" gibt hier gute Anhaltspunkte. Wir haben durch die Wirtschaft selbst etwas, auf dem wir aufbauen können und wo wir Koordinaten finden für das Thema Freiheit und Verantwortung.

Und auch die Medien möchte ich in diesem Zusammenhang ansprechen. Denn sie sind es in erster Linie, die uns als Verbrauchern die nötigen Informationen liefern - im Guten wie im Schlechten. Meistens lesen wir vom Schlechten. Umso mehr freue ich mich, dass die heutige Veranstaltung einen Anlass bietet, Gutes zu berichten und Vorbilder ins Rampenlicht zu stellen. Denn ihr Engagement verdient Öffentlichkeit. Je mehr Öffentlichkeit, desto besser. Ich wünsche mir, dass das Beispiel der Preisträger Schule macht, dass Ihr vorbildliches Engagement möglichst weit ausstrahlt und andere begeistert, es Ihnen nachzutun.

Die Verantwortung für unser Gemeinwesen und den Erhalt unserer Freiheit geht uns alle an. Wir können sie nicht delegieren an "die Politiker" oder "den Staat". Und im Übrigen ist der Gedanke, man könnte Freiheit gegen Sicherheit tauschen, ein Denkfehler. Um es mit Benjamin Franklin zu sagen: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren." Ich danke Ihnen.