Laudatio des Bundespräsidenten bei der Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 3. April 2008

Bundespräsident Horst Köhler steht neben Herrn Trichet, beide halten die Kassette mit dem Verdienstorden hoch

Sehr geehrter Herr Präsident Trichet, lieber Jean-Claude, verehrte Frau Trichet, Herr Botschafter der französischen Republik, meine Damen und Herren, seien Sie alle herzlich willkommen in Schloss Bellevue.

Es ist mir eine große Freude, heute den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland auszuzeichnen. Damit wollen wir einen Mann ehren, der sich um Europa verdient gemacht hat. Meine Freude ist dabei auch deshalb besonders groß, weil ich Jean-Claude in Jahren der persönlichen, vertrauensvollen Zusammenarbeit kennen und schätzen gelernt habe.

Im November 2003 übernahmen Sie, sehr geehrter Herr Trichet, das Amt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank von Ihrem geschätzten Vorgänger Wim Duisenberg. Der gute Start der Europäischen Zentralbank hat sich unter Ihrer Führung zu einer europäischen Erfolgsgeschichte verfestigt. Der Euro ist heute eine stabile und international anerkannte Währung. Er genießt Vertrauen. Und wenn wir uns mit wachem Blick umschauen in der Welt, dann müssen wir feststellen, dass gerade jetzt Vertrauen so wichtig ist - übrigens nicht nur in der Welt der Finanzen und des Geldes.

Mit Ihrer sachlichen, ruhigen Art haben Sie dazu beigetragen, dass sich die EZB Glaubwürdigkeit verschafft hat. Glaubwürdigkeit ist ein wichtiges Gut, um Vertrauen zu schaffen. - Manche bezeichnen Ihre Informationspolitik als: "demonstrativ bürokratisch". Das sollten Sie als Lob verstehen, denn nichts braucht eine stabilitätsorientierte Geld- und Währungspolitik weniger als Aufgeregtheit und politisches Lavieren. Deshalb ist auch die Unabhängigkeit der EZB mit gutem Grund in den europäischen Verträgen festgeschrieben. Sie gereicht Europa nach meiner Überzeugung nachhaltig zum Vorteil. Wir wissen sie bei Ihnen, Herr Präsident Trichet, in guter und verantwortungsvoller Obhut. Und dafür sind wir Ihnen dankbar.

Sie zeigen: Auch in der bürgerlichen Demokratie gibt es so etwas wie Noblesse de robe. Ihre Kennzeichen lauten Kenntnisreichtum, Loyalität und eine innere Freiheit, für die es Ehrensache ist, Widerspruch einzulegen, wenn Widerspruch Not tut.

Diese Qualitäten wollen allerdings auch geschätzt sein - und sie wurden geschätzt: Vom Referenten im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium stiegen Sie auf zum Leiter des Schatzamtes und zum Vorsitzenden des Pariser Clubs. Sie waren Berater der französischen Staatspräsidenten Mitterand und Chirac. In allen diesen Funktionen bekam auch ich Gelegenheit, Ihre Kompetenz aus eigener Anschauung zu erleben - zum Beispiel auch in den Verhandlungen mit Russland als dem Nachfolger der Sowjetunion über die Anerkennung der Sowjet-Schulden. Sie bewiesen immer Fairness für die Interessen aller Beteiligten.

Eine der prägendsten Erfahrungen in Ihrem beruflichen Werdegang waren gewiss die Verhandlungen über den Vertrag von Maastricht. An deren Ende standen Ergebnisse von wahrhaft historischer Bedeutung: die Schaffung einer Europäischen Währungsunion mit der Europäischen Zentralbank und dem System der europäischen Zentralbanken. Wir beide wirkten als Unterhändler damals mit. Wir wussten, dass es für unsere beiden Länder um viel ging: Wir Deutschen sollten auf unsere bewährte D-Mark verzichten - aus Sicht vieler meiner Landsleute eigentlich unerhört. Und Frankreich sollte nach seinem stolzen Staatsführungsverständnis etwas so "Unvorstellbares" wie die Unabhängigkeit der Notenbank akzeptieren. Wir haben uns in den Verhandlungen nichts geschenkt - aber wir suchten auch immer nach dem für beide Länder und Europa insgesamt tragfähigen Kompromiss. Die deutsch-französische Freundschaft bewährte sich zum Vorteil ganz Europas.

Dabei hatten die Verhandlungen noch die besondere Note, dass es zu Hause nicht an kritischen Begleitern mangelte. Bundesfinanzminister Theo Waigel und ich waren damals aber letztlich froh, z. B. den Sachverstand der Bundesbank an unserer Seite zu wissen. Ich freue mich, dass die Herren Bundesbankpräsidenten Helmut Schlesinger und Hans Tietmeyer heute unter uns sind. Ich weiß aber, lieber Jean-Claude, dass auch Sie manches Mal all Ihre Überzeugungskraft brauchten, wenn Sie unsere Verhandlungsergebnisse in Paris präsentieren mussten.

Aber Überzeugen ist schließlich Ihre Leidenschaft. Sie gelten bei den EZB-Beobachtern als "eiserne Faust im Samthandschuh", als "hartnäckiger Charmeur", dem es Freude macht, andere für seine Argumente zu begeistern. Und damit Ihnen das gelingt, sind Sie stets bestens vorbereitet in der Sache. Wer mit Ihnen zusammenarbeitet, lernt sehr schnell, Ihre große Sachkunde und Standfestigkeit, aber auch Ihr diplomatisches Geschick, Ihr Pflichtbewusstsein und Ihren Ideenreichtum zu schätzen. Dieses ganze Paket macht eben Ihre Kompetenz aus.

Von Anfang an habe ich Sie als jemanden erlebt, der fest davon überzeugt ist, dass Preisniveaustabilität eine unverzichtbare Voraussetzung für dauerhaftes Wirtschaftswachstum und zugleich für gute Sozialpolitik ist. Dieser Überzeugung getreu werben Sie als Präsident der Europäischen Zentralbank unermüdlich dafür, eine europäische Stabilitätskultur zu entwickeln. Das liegt im Interesse eines starken und langfristig prosperierenden Europas und ist auch ein wichtiger Beitrag für die Stabilität des internationalen Finanzsystems insgesamt. Und das werden wir sicherlich gerade zu diesem Zeitpunkt zu berücksichtigen haben. Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin für Ihre so wichtige Aufgabe Kraft, Unterstützung und Fortune.

Ihre Verdienste um Europa und den Euro wären schon allein Grund genug für eine besondere Würdigung durch die Bundesrepublik Deutschland. Aber Sie haben sich darüber hinaus auch um die deutsch-französische Freundschaft verdient gemacht. Ich denke hier zum Beispiel an die wirtschafts- und finanzpolitischen Konsultationen vor Ihrer Zeit als EZB-Präsident, in denen Sie ein vorzüglicher Vermittler zwischen den unterschiedlichen Ansätzen, "Philosophien", unserer beiden Länder waren und sich mit Vernunft und Leidenschaft für gemeinsame deutsch-französische Positionen und Projekte eingesetzt haben. Auch dafür danke ich Ihnen.

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Jean-Claude, Sie sind ein Kenner und Liebhaber der Werke von Charles Baudelaire. Dieser hat geschrieben: "Bei genauerem Hinsehen ist die Arbeit weniger langweilig als das Vergnügen." Sie haben stets den Eindruck vermittelt, dass die Arbeit Ihnen Freude macht, und Sie sind wohl auch darum ein so beharrlicher und ein so fröhlicher Arbeiter im Weinberg der internationalen und europäischen Währungs- und Finanzpolitik geworden. Auch Deutschland und die Deutschen danken Ihnen dafür, und so habe ich nun meinerseits die Pflicht und das Vergnügen, Sie für Ihre Verdienste um unser Land auszuzeichnen. Ich verleihe einem herausragenden Notenbankpräsidenten, einem Freund Deutschlands und einem großen Europäer das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.