Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler bei der Semestereröffnungsfeier der Staatlichen Hochschule für Gestaltung

Schwerpunktthema: Rede

Karlsruhe, , 15. Oktober 2008

Bundespräsident Horst Köhler am Rednerpult

Es ist mir eine große Freude, dass ich heute an der Semestereröffnungsfeier der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe teilnehmen und zu Ihnen sprechen kann. Festtage wie dieser sind wie Lesezeichen im Kalender unseres Lebens: Sie heben Wichtiges hervor. Sie stellen besondere Ereignisse in einen größeren Zusammenhang. Und natürlich und nicht zuletzt: Sie sind ein Grund zur Freude.

Einen Grund zur Freude haben vor allem Sie, liebe Erstsemester, Ihre Eltern, Angehörigen und Freunde. Sie beginnen heute Ihr Studium. Sie haben sich lange auf diesen Tag vorbereitet. Sie haben eine Aufnahmeprüfung bestanden, bei der Sie nicht nur Ihre Fähigkeiten und Talente unter Beweis gestellt haben, sondern auch zeigen mussten, was Sie für Ihr Studienfach und für ein Studium an genau dieser Hochschule motiviert. Und heute sind Sie da: Schon allein dazu kann man Ihnen gratulieren.

Mein besonders herzlicher Glückwunsch gilt den Absolventen, die heute Ihre Zeugnisse erhalten. Ich wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg auf Ihrem weiteren Berufs- und Lebensweg!

Die Staatliche Hochschule für Gestaltung ist eine Bildungsstätte, deren Markenzeichen die Verknüpfung von Theorie und Praxis, von künstlerischen und philosophischen Inhalten ist. Wie eng diese Verzahnung ist, wie sehr die praktische Arbeit hier durch theoretische Reflexion geprägt wird, und wie stark umgekehrt die Praxis auf die Theorie zurückwirkt, davon habe ich mich vorhin bei meinem Rundgang überzeugen können. Und ich finde es faszinierend, wie die Hochschule für Gestaltung Wissenschaft, Kunst und Handwerk - erweitert um die Möglichkeiten der Video- und Computertechnik und der elektronischen Vernetzung - in einen Kontext bringt.
Liebe Studierende, ich kann Sie nur dazu ermutigen: Nutzen Sie die Möglichkeiten, die dieses breite Spektrum Ihnen bietet!

Von dem Theologen Paul Tillich stammt die Feststellung, dass die Grenze der fruchtbarste Ort der Erkenntnis ist. Das gilt nicht nur - hier in Baden brauche ich das nicht eigens zu erwähnen - für die Grenzen zwischen Völkern und Kulturen, sondern auch für die Grenze zwischen Fakultäten und Fachdisziplinen, zwischen Kunst und Philosophie. Als Studierende an der HfG haben Sie das große Glück, dass Ihre Hochschule auf einer solchen Grenze angesiedelt ist. Nutzen Sie diese Grenzlage! Loten Sie sie mit Ihrer eigenen Neugier aus. Schauen Sie nach rechts und nach links, lernen Sie von anderen - und vor allem: Gehen Sie dann Ihren eigenen Weg. Die Orientierung für den eigenen Weg und das fachliche Rüstzeug, um diesen Weg dann auch erfolgreich gehen zu können - das ist das Wichtigste und Beste, was man in einem Studium erwerben kann.

Bildung bedeutet, dem eigenen Leben Gestalt zu geben; sich "in Form" zu bringen für eine selbstbestimmte Existenz. Bildung ist eine Zukunftsinvestition - für jede und jeden Einzelnen und für die Gesellschaft insgesamt. Trotz mancher Verbesserungen investieren wir in Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern immer noch viel zu wenig in unser Bildungswesen. Aber wer an der Bildung spart, spart an der falschen Stelle. Und das kann uns teuer zu stehen kommen: im internationalen Wettbewerb (mit den Worten von Professor Sloterdijk: "Im Weltinnenraum des Kapitals") - aber auch bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder der Integration von Zuwanderern. Für alle diese Aufgaben ist gute Bildung unverzichtbar. Und da müssen wir in Deutschland noch viel mehr tun.

Der Schriftsteller Hermann Hesse, der vor bald 130 Jahren nicht allzu weit von hier in Calw geboren wurde, und der in seinem Leben manche Grenze überschritten und manche Grenzerfahrung gemacht hat, Hermann Hesse also hat 1919 einen kleinen autobiographischen Text veröffentlicht, dessen Überschrift aus einem einzigen Wort besteht: "Eigensinn". Hesse schreibt über diesen Charakterzug, dass er ihm der höchste und wichtigste sei. Bei uns hat das Wort "Eigensinn" ja oft eher einen negativen Beigeschmack: Wir denken dabei vor allem an Unberechenbarkeit, Verschrobenheit oder gar Egoismus. Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite - und das halte ich für wichtiger - hat Eigensinn viele positive Züge. Eigensinn gibt Identität. Er hilft uns, wechselnden Moden, vermeintlichen Sachzwängen und geheimen Verführern einen eigenen Kompass entgegenzusetzen. Und nicht zuletzt: Er ist der Schlüssel für die Entdeckung von Neuem: Wo kämen wir hin, wenn es nicht immer wieder Menschen gäbe, die ausgetretene Pfade verlassen, ihrem eigenen Kompass folgen und Neues entdecken? Gewiss: Eigensinn kann ohne Gemeinsinn nicht auskommen, Zielstrebigkeit nicht ohne Offenheit und Selbstbewusstsein nicht ohne die Fähigkeit, sich anrühren und verunsichern zu lassen. Es kommt auf die richtige Balance zwischen beiden Polen an. Die will erprobt und eingeübt werden. Und die Studienzeit ist dafür eine besonders wichtige Phase.

Gestaltung heißt "Zeichen setzen". Ich wünsche den Studierenden der HfG, den Lehrkräften und den frischgebackenen Absolventen, dass ihnen das immer wieder gelingt. Vielen Dank und alles Gute!