Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler beim Empfang in der Deutschen Botschaft aus Anlass des Staatsbesuches in Nigeria

Schwerpunktthema: Rede

Abuja/Nigeria, , 9. November 2008

Bundespräsident Horst Köhler und Frau Köhler stehen im Publikum und klatschen

Schon seit zwei Tagen bin ich in Abuja. Auf dem multilateralen Afrika-Forum haben die nigerianischen Mit-Gastgeber und Teilnehmer meine Neugier auf das Land verstärkt. Ich freue mich auf meinen bilateralen Besuch.

Nigeria ist mit über 250 Ethnien und mehr als 430 Sprachen und Dialekten, mit seiner geographischen und religiösen Vielfalt ein Mikrokosmos des ganzen Kontinents.
Nigerias historische Reiche wie das Kalifat von Sokoto im heutigen Norden oder das Königreich von Benin im heutigen Süden waren einflussreiche Hochkulturen. Die Skulpturen der nigerianischen Nok-Kultur aus der Zeit von 500 vor bis 300 nach Christus bestechen durch ihre technische und künstlerische Qualität. Ebenso wie die eindrucksvollen Bronze-Skulpturen aus dem Königreich Benin widerlegen sie das früher oft in Europa anzutreffende Bild einer "primitiven" Gesellschaft, das so oft als Vorwand herhalten musste, um die Kolonialisierung zu rechtfertigen.

Heute dagegen erforschen deutsche Archäologen der Universität Frankfurt gemeinsam mit ihren nigerianischen Kollegen die Skulpturen der Nok-Kultur. Ebenso sind es auch Wissenschaftler aus Deutschland und anderen Ländern, die eng mit Experten aus Nigeria an der Dokumentation und Aufarbeitung der weltweit verstreuten Kunstschätze des Königreichs Benin arbeiten. Dies sind wichtige Beiträge, der kulturellen Leistung des Landes Respekt zu erweisen.

Angesichts dieser Vorgeschichte erstaunt es auch nicht, dass Nigeria heute eines der wichtigsten Zentren afrikanischer Kultur ist - mit inzwischen auch weltweiter Ausstrahlung. Ich nenne nur die Grandseigneurs der Literatur wie Chinua Achebe und Wole Soyinka, aber auch international bekannte junge Talente wie Chimamanda Ngozi Adichie und Helon Habila, die sich kritisch mit zentralen Fragen der nigerianischen Gesellschaft auseinandersetzen. Nigerianische Musik wird nicht nur in Afrika, sondern weltweit gehört. Nigeria ist mit bis zu 2.000 Filmen pro Jahr die drittgrößte Filmnation der Welt. Die Filme von "Nollywood" gehen von der Finanzierung bis zum Vertrieb, von der Auswahl der Themen und der Art, Geschichten zu erzählen, ganz eigene Wege. Und die Filmindustrie ist mittlerweile nach der Ölindustrie zum zweitgrößten Arbeitsmarkt des Landes geworden.

Die Bedeutung kulturellen Austausches wurde leider zu oft in unseren Beziehungen mit Afrika unterschätzt. Das soll sich ändern: Die "Aktion Afrika" des Auswärtigen Amtes sieht vor, den Austausch von deutschen und afrikanischen Kulturschaffenden stärker zu fördern. Das Goethe-Institut in Lagos ist schon seit der Unabhängigkeit Nigerias ein fester Bestandteil der Kulturlandschaft, jetzt sollen auch noch die Aktivitäten in Kano verstärkt werden. Ich freue mich darauf, auch Lagos und Kano in den nächsten Tagen zu besuchen.

Ich sprach eingangs von Nigerias Vielfalt, die eine enorme Herausforderung für jede Regierung darstellt. Lassen Sie es mich klar sagen: Die Militärregierungen haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie dieser Herausforderung nicht gewachsen waren. Ein komplizierter Vielvölkerstaat stellt hohe Ansprüche, um die verschiedenen Interessen auszugleichen und Konflikte friedlich zu lösen. Dazu sind freie Diskussionen im Lande unerlässlich.

Dies betrifft ganz besonders die Verteilung und Verwendung der reichlich vorhandenen Gelder aus der Ölförderung des Landes. In vielen Ländern der Welt hat sich Ressourcenreichtum leider als Fluch erwiesen. Auch die Krise im Niger-Delta hat sich über Jahrzehnte entwickelt und kann nicht über Nacht gelöst werden. Präsident Yar'Adua hat mit seiner jüngst bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorgestellten Initiative zur Ächtung von so genanntem "Blut-Öl" einen beachtlichen Schritt getan, um auch die internationale Dimension anzugehen. Dies verdient unsere Unterstützung.

Es sind Nigerianer selbst, die sehr deutliche Worte für die über Jahrzehnte gewachsene "Kultur" der Korruption, Gewalt und Straflosigkeit gefunden haben. Ebenso sind es Nigerianer selbst, die jetzt in verschiedenen Funktionen und Gremien gegen diese Tentakel kämpfen - sei es im Dienste der Anti-Korruptionsbehörde, im Rahmen der Nigeria Extractive Industries Transparency Initiative oder in unzähligen Organisationen der Zivilgesellschaft. Sie alle verdienen unseren größten Respekt und unsere Unterstützung. In Nigeria können wir unsere Erfahrungen für den Aufbau von Verwaltung und Wirtschaft anbieten. Dies tun zum Beispiel die Vertreter der politischen Stiftungen und der Entwicklungszusammenarbeit. Sie leisten hier wichtige und gute Arbeit.

Meine kritischen Anmerkungen zum Energiereichtum sollen nicht davon ablenken, dass genau in diesem Reichtum großes Potential für die Entwicklung Nigerias liegt. Mit den Exporterlösen kann die Regierung die Infrastruktur verbessern. Zur sozialen Versorgung der Bevölkerung und für eine wettbewerbsfähige Produktion ist dabei eine funktionierende Stromversorgung unerlässlich. Deutschland hat auf diesem Gebiet viel Fachwissen anzubieten. Gleichzeitig gibt es bei uns großes Interesse an den noch weitgehend ungenutzten Gasreserven Nigerias, von denen immer noch zu viel einfach abgefackelt wird.

Daher hat die begonnene Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und Nigeria ein besonderes Potential. Wir müssen jetzt darauf achten, dass diese nicht nur auf dem Papier steht, sondern dass es bald konkrete und sichtbare Ergebnisse gibt.

Lassen Sie mich zum Schluss zur Kultur zurückkommen: Ich sprach von der Bedeutung des kulturellen Austausches. Im Mai kommenden Jahres werden in Berlin auf meine Anregung hin Kunstwerke von zeitgenössischen afrikanischen Künstlern gezeigt. Der afrikanische Kurator dieses Projektes ist Chika Okeke - natürlich ein Nigerianer!

Ich habe immer Wert darauf gelegt, dass an den Diskussionen des Afrika-Forums und bei Staatsbesuchen Künstler beteiligt waren. Sie machen oft auf Fragen aufmerksam, die wir als Politiker zu leicht übersehen. Der deutsche Musiker Wolfgang Niedecken hat mich mehrmals in Afrika begleitet. Ich freue mich darüber, dass er nicht nur mitdiskutiert, sondern auch zur Gitarre greift und gemeinsam mit dem nigerianischen Percussionisten Happinex diesem deutsch-nigerianischen Abend zusätzliche Würze verleihen wird.

Ich bitte Sie nun daher, mit mir das Glas zu erheben und einen Toast auszubringen; auf das Wohl des nigerianischen Volkes und auf die Freundschaft zwischen Nigeria und Deutschland.