Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler zur Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland anlässlich des Tages des Ehrenamtes

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 5. Dezember 2008

Gruppenbild: Bundespräsident Horst Köhler mit allen Ordensträgern

Meine Damen und Herren, herzlich willkommen in Schloss Bellevue. Uns führt heute ein schöner Anlass zusammen. Konrad Adenauer hat es einmal so formuliert: Eine Ordensverleihung bedeute hierzulande meist, dass "die Geschichte gerecht ist und lächelt." Jetzt ist es wieder einmal so weit, und darüber freue ich mich von Herzen.

In den vergangenen Jahren sind Begriffe wie Zivilgesellschaft oder Bürgergesellschaft immer mehr in unser Bewusstsein gekommen. Viel ist darüber von Experten debattiert, geschrieben und geforscht worden. Das ist auch wichtig, denn diese Aktivitäten haben mit der Frage zu tun, was unsere Gemeinschaft zusammenhält, und was die Politik - aber auch zum Beispiel die Wirtschaft - tun können, damit bürgerschaftliches Engagement gefördert wird und alle davon profitieren können. Und Sie, meine Damen und Herren, sind genau das, was die Experten als den Humus unserer lebendigen, aktiven Bürgergesellschaft beschreiben.

Für Theodor Heuss, unseren ersten Bundespräsidenten, war die Sache sowieso klar. Er hat einmal gesagt: "Demokratie lebt vom Ehrenamt". Und wie sehr er Recht hatte damit, das sehen wir besonders in Zeiten, in denen das Vertrauen der Menschen in die Leistungsfähigkeit unseres politischen Systems nachlässt. Aktuelle Umfragen besagen, dass die Zufriedenheit mit der Demokratie und mit der Sozialen Marktwirtschaft schwindet. Und dass die Menschen den Eindruck haben, dass es um die Gerechtigkeit in unserem Land nicht gut bestellt ist.

Sie, meine Damen und Herren, kümmern sich. Sie packen an. Mit Ihrem Engagement schaffen Sie Gemeinsamkeit, und Sie stiften Vertrauen. Und Vertrauen ist die Ressource, die wir jetzt in Deutschland am meisten brauchen.

Bürgerschaftliches Engagement ist Ausdruck wachen Bürgersinns und Ausdruck auch von Freiheit und von Verantwortung in Freiheit, auf der unsere Solidargemeinschaft beruht. Das gute Miteinander in unserem Land lebt davon, dass jeder Einzelne im Rahmen seiner Möglichkeiten Verantwortung für sich und für andere übernimmt. Das gilt im Kleinen wie im Großen; jeder ganz nach seinen eigenen Möglichkeiten. Dieses Engagement kann auch der reichste Sozialstaat nicht ersetzen.

Liebe Gäste, Sie geben eine Antwort auf die Frage nach der guten Zukunft unserer Gesellschaft. Ohne Sie wäre unser Land ärmer und kälter, weniger lebens- und liebenswert. Sie engagieren sich für Völkerverständigung und Menschenrechte, in der humanitären Hilfe, Denkmalpflege und für soziale Zwecke, Sie setzen sich ein für die Opfer von Straftaten. Sie pflegen Kranke und Menschen mit Behinderungen, Sie setzen sich ein in der Kommunalpolitik, der Hospizarbeit, in der Kinder- und Jugendförderung, und für Kultur und Musik. Tierschutz, Elternarbeit, Engagement im Sport und in der Feuerwehr - das sind die vielen Felder, auf denen Sie, die heute hier sind, etwas bewegen und wo es auf dieses Miteinander ankommt.

Unser Gemeinwesen ist auf Ihren Einsatz angewiesen. Dabei darf bürgerschaftliches Engagement allerdings nicht als eine Art Ausfallbürge für staatliche Daseinsvorsorge und auch für gute staatliche Sozialpolitik verstanden werden. Wir brauchen auch eine Balance zwischen Ehrenamt und Hauptamt, denn ohne das eine würde es das andere oft nicht geben. Und wir müssen in die soziale Infrastruktur unseres Landes investieren - Hilfen zum Beispiel für Bürgerstiftungen - auch wenn es sich dabei nicht um schöne, broschürentaugliche Vorzeigeprojekte handelt.

Jüngst wurde in einer Studie errechnet, dass die Ehrenamtlichen in unserem Land weit über viereinhalb Milliarden Stunden pro Jahr an Arbeit investieren.

Die Autoren haben dann mit einem durchschnittlichen Stundenlohn von 7,50 Euro die Wertschöpfung dieses Engagements mit knapp 35 Milliarden Euro errechnet.

Das ist eine gewaltige Summe. Aber natürlich darf man solche Berechnungen nicht überbewerten. Ehrenamtliche engagieren sich nicht, weil man ihre Arbeit in Stundenlöhne und Wertschöpfung umrechnen kann. Sie tun das, weil sie in der Regel auch persönlich etwas gewinnen für ein erfülltes Leben. Aber Werte schaffen sie, und die gewaltigen Zahlen geben eine Ahnung von dem Geleisteten.

Dabei wissen wir: Es gibt große Verdienste, die unerkannt bleiben, oder Tätigkeiten, die für diejenigen, die sie erbringen, absolut selbstverständlich sind. Und wir wissen auch: Den allermeisten Ehrenamtlichen ist Lautsprecherei fremd. Wir sprechen zu Recht von stillen Helden. Diese heute zu ehren, ist mir eine Ehre. Ich freue mich, dass ich Sie heute - auch stellvertretend für viele andere, die zum Teil mit Ihnen arbeiten, - mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland auszeichnen kann.

Liebe Ehrengäste, heute sagt Ihnen unser ganzes Land symbolisch "Danke". Heute ist ein Tag, an dem "die Geschichte gerecht ist und lächelt". Und weil das so ist, bitte ich Sie: Tragen Sie Ihre Auszeichnung, wann immer es geht und angemessen ist, denn Sie machen auf diese Weise Werbung für Engagement und Bürgersinn - und auch für die freiheitliche Gesellschaft, in der wir alle leben wollen. Herzlichen Dank!