Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler aus Anlass der Eröffnung des Erweiterungsbaus des Museums Stiftung Moritzburg

Schwerpunktthema: Rede

Halle/Saale, , 10. Dezember 2008

Bundespräsident Horst Köhler am Mikrofon

Das nenne ich einen Kontrast: Da fahre ich vor an einer mittelalterlichen Burg mit Graben, Brücke und Torbogen, gehe durch einen mit Fackeln beleuchteten Burghof - und nun stehe ich in einem hochmodernen Gebäude aus Aluminium, Beton und Glas. Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, mit Ihnen zusammen den Erweiterungsbau der Moritzburg in Halle einzuweihen!

Den größeren Teil des neuen Ausstellungsbereichs werde ich erst nachher in Augenschein nehmen können. Ich bin gespannt. Das, was ich bis hierher gesehen habe, gefällt mir sehr gut. Mein Kompliment und Dank an alle, die diesen Erweiterungsbau möglich gemacht haben: an die Architekten, an die Mitglieder der Auswahlkommission und auch an die, die dieses Projekt politisch und finanziell unterstützt haben.

Die Moritzburg, so wie sie jetzt ist, verbindet in beeindruckender Weise ein halbes Jahrtausend deutscher Kultur und führt sie fort ins 21. Jahrhundert. Die Moritzburg ist ja nicht erst seit heute ein Ort der Kunst, und auch nicht erst seit 1904, als das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe hier Einzug hielt. Sie ist es schon seit Anbeginn, als sie noch Residenz der Magdeburger Erzbischöfe war - wenn auch in ganz anderer Weise, als wir es heute verstehen. Denn als 1484, im späten Mittelalter also, der Grundstein für die Moritzburg gelegt wurde, war Kunst etwas, was im Grunde dem Klerus und dem Adel vorbehalten war. Sie konnten sich, im Unterschied zu dem "gemeinen Volk", Kunst und Kunsthandwerk, Pracht und Prunk leisten - als Statussymbol und allzu oft auch auf Kosten des Volkes.

Ironie der Geschichte: Heute kommt uns allen zugute, dass damals den Auftraggebern der Künstler kaum etwas zu teuer war und sie viel Geld in wertvollste Materialien und aufwändigste Fertigungstechniken steckten. So stehen wir staunend vor Schätzen wie denen der kunsthandwerklichen Sammlung hier in der Moritzburg.

Damals wie heute gilt: Kunst hat ihren Preis. Nach wie vor wollen Künstler von ihrer Arbeit leben. Nach wie vor braucht es Geld für den Kauf und den Erhalt von Kunstwerken und für die Stätten ihrer Präsentation. Und ebenso wie früher zahlt auch jetzt noch vor allem die Allgemeinheit für Kunst. Doch anders als damals geschieht das nun in einem demokratischen Prozess der politischen Willensbildung und im permanenten Wettstreit mit anderen Interessen. Die Aufgaben des Staates sind heute auch ganz andere und deutlich mehr geworden. Ein staatliches, für jedermann zugängliches Bildungs- und Gesundheitswesen zum Beispiel - das sind Errungenschaften der Neuzeit.

Und doch ist es richtig und gut, dass wir als Gemeinwesen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Geld für Kunst und Kultur ausgeben. Im Unterschied zu früheren Zeiten geht es nämlich nicht mehr um die Statussymbole der Mächtigen. Es geht um unser aller gemeinsames Erbe. Es geht um unsere kulturelle Selbstvergewisserung.

Museen gehören unverzichtbar dazu, und ihre Arbeit ist alles andere als "museal". Ihre Aufgabe besteht eben nicht mehr bloß im Sammeln, im Bewahren und in der Präsentation von Kunstwerken. Ihre Aufgabe ist es heute auch, die Zeugnisse unserer Kulturgeschichte im Lichte der Gegenwart lebendig und Kunst erfahrbar zu machen. Indem wir in die Vergangenheit blicken, erfassen wir besser die Gegenwart und machen Zukunft möglich. "Zukunft braucht Herkunft" sagt der Philosoph Odo Marquard.

Das Engagement der öffentlichen Hand ist dabei oft aber nur eine Säule des modernen Museumswesens. Eine zweite, tragende Säule sind die Mäzene. So sind in der Moritzburg Bilder aus den Privatsammlungen von Hermann Gerlinger und der Familie Kracht zu sehen; darüber hinaus die Bilder aus dem Nachlass von Einar Schleef. Und Johanna Leistner hat ihr Vermögen dem Kunstmuseum Moritzburg für Aufgaben der Sammlungspflege und der Museumspädagogik zugedacht.

Man mag sich gar nicht ausmalen, was allein in der bildenden Kunst nicht zu bestaunen wäre, wenn es die zahlreichen Sammler und Mäzene nicht gäbe: in Berlin zum Beispiel kein Museum Berggruen und keine Sammlung Scharf-Gerstenberg, im bayerischen Bernried kein Museum Buchheim, in Baden-Baden kein Museum Frieder Burda und in Chemnitz keine Sammlung Gunzenhauser.

All diese Beispiele stammen aus der jüngsten Vergangenheit und machen deutlich: Es gibt eine Renaissance des Stiftungswesens in Deutschland. Ich bin sehr froh darüber, dass diese traditionelle Form des bürgerschaftlichen Engagements wieder erstarkt. Denn Mäzene nehmen sich insbesondere solcher Bereiche an, in denen der Staat das Notwendige tut, das Wünschenswerte aber oft nicht zu tun vermag. Seit Jahrhunderten prägen sie das geistige, das kulturelle und das soziale Leben in unserem Land. Um wie viel ärmer wäre allein Halle, gäbe es die Franckeschen Stiftungen nicht mit ihren pädagogischen, sozialen, wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen?

Die eben genannten Beispiele machen auch deutlich: Das kulturelle Leben in unserem Land wird nicht allein bestimmt durch die auch international bekannten Glanzlichter wie die Berliner Museumsinsel, die Bayreuther Festspiele oder den Dresdener Kreuzchor. Es lebt auch und sehr stark von all den vielen regionalen Festivals und Festspielen, von den Theatern und Bibliotheken, von den Konzert- und Opernhäusern und natürlich von den Museen mit ihren so unterschiedlichen Ausrichtungen. Wir täten der Kunst und der Kultur in unserem Land Unrecht, wollten wir sie begrenzen auf einige wenige Kulturhauptstädte.

Aber wenn wir schon Kulturhauptstädte ausmachen wollten, dann zählt Halle mit seiner reichen Museums-, Theater- und Orchesterlandschaft unbedingt dazu. Und ich bin mir sicher: Das, was wir hier heute feiern, die Einweihung des Erweiterungsbaus der Moritzburg, ist ein weiterer Meilenstein für Halle als Ort der Kunst. Es ist eine Bereicherung für die deutsche Kulturnation.