Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich der Welturaufführung des Filmes "Buddenbrooks"

Schwerpunktthema: Rede

Essen, , 16. Dezember 2008

Der Bundespräsident am Rednerpult auf einer Bühne, im Hintergrund ein roter Vorhang

Ich freue mich auf ein großes Ereignis: die Welturaufführung des "Buddenbrook"-Films von Heinrich Breloer hier in der Essener "Lichtburg". Meine Frau und ich gehen gern ins Kino - meistens privat und zu unserem eigenen Vergnügen. Wenn aber einer der berühmtesten Romane Deutschlands verfilmt und dieser Film zum ersten Mal öffentlich gezeigt wird, dann möchte ich auch in meiner Eigenschaft als Bundespräsident dabei sein.

Dabei weiß ich natürlich genauso wenig wie alle anderen, die den Film heute zum ersten Mal sehen, ob er gut ist und ob wir uns gleich darüber freuen werden. Aber allein, dass dieses Werk, das für unsere Kultur eine so bedeutende Rolle spielt, Gegenstand einer neuen künstlerischen Auseinandersetzung wird, ist ein wichtiges Ereignis für unsere Kulturnation.

Thomas Mann hat mit den "Buddenbrooks" einen Welterfolg geschrieben. Für uns Deutsche ist dieses Buch immer noch wie ein Spiegel unseres Wesens und unserer Kultur - wenn auch aus einer vergangenen Zeit.

Viele Generationen hat dieser Roman inzwischen begleitet. Immer wieder neu haben die Leser gestaunt über die unvergleichlich detaillierte Erzählkunst, über die Themenvielfalt - von der wirtschaftlichen Entwicklung, von Künstlertum, Unternehmertum, der Bildung von Persönlichkeit, alles im Spiegel der Stadt Lübeck und der Familiengeschichte der Buddenbrooks - vom Aufstieg zum Niedergang.

Das Staunen wird jedes Mal umso größer, wenn wir uns vor Augen halten, dass der Autor diesen Roman zwischen seinem zweiundzwanzigsten und seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr geschrieben hat. Ich habe es nicht überprüft, aber ich nehme an, dass keiner von denen, die für die Verfilmung verantwortlich sind, so jung ist, wie es Thomas Mann beim Schreiben der Buddenbrooks war - einige Schauspieler einmal ausgenommen.

Im Gegensatz zum literarischen Schreiben, das sich nur in der Einsamkeit am Schreibtisch vollziehen kann, hängt der Erfolg eines Filmes von sehr vielen ab. Das Filmbuch zu den "Buddenbrooks", in dem ich ein bisschen blättern und lesen konnte, verrät auf anschauliche und immer wieder überraschende Weise, wie viele kreative, hochmotivierte und professionelle Menschen zusammenkommen müssen, damit ein solches Film-Kunstwerk entstehen kann.

Zu diesem Gemeinschaftswerk gehören aber noch mehr als die direkt am Film beteiligten Akteure: ein engagierter Verleih, eine gute Werbung und Vermarktung, ansprechende Kinos mit hervorragender Projektionsqualität in Bild und Ton - und mit vernünftigen Sitzen.

Wer einen Roman schreiben will, der braucht nur einen Schreibcomputer, zur Not einen Stapel Papier und Stift - und genügend Zeit. Wer einen Film produzieren will, der braucht nicht nur eine ganze Mannschaft - der braucht vor allem auch Geld. Und bei großen Produktionen entsprechend viel Geld. Dieses Geld gibt es oft erst nach langer Überzeugungsarbeit. Ich freue mich, auch in meiner Eigenschaft als Schirmherr von "Vision Kino", dass in Deutschland immer wieder anspruchsvolle und mutige Filme gefördert werden, dass man immer wieder auch Wagnisse eingeht und auf die künstlerische Bedeutung schaut, nicht nur auf die zu erwartenden Zuschauerzahlen.

Die "Buddenbrooks" sind nicht nur vom Deutschen Film-Förder-Fonds und der Filmförderungsanstalt, sondern auch von Film-Stiftungen der Länder und von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gefördert worden. Das heißt für mich: Wenn es gut geht, dann gilt beim Film und bei der Filmförderung, dass viele Köche den Brei eben nicht verderben, sondern ihn nur gemeinsam zum Kochen bringen können.

Nun braucht auch die beste Mannschaft einen Kapitän, beim Film ist das der Regisseur. Heinrich Breloer verdanken wir in den letzten Jahrzehnten eine ganze Reihe von Fernseh-Erlebnissen, die sich vor allem mit der Zeitgeschichte befassen. Er hat mit seiner speziellen Erfindung des Doku-Dramas das Bild, das wir von der politischen und kulturellen Geschichte der Nachkriegszeit haben, wesentlich mitbestimmt. Ob mit seiner frühen Produktion über sein eigenes Internat, "Die geschlossene Gesellschaft", ob mit seinem Film über Herbert Wehner oder mit seinem unvergesslichen "Todesspiel" über den deutschen Terrorismus des Jahres 1977. Stets sind es die große Genauigkeit der Spielszenen und die einfühlsame Gesprächsführung mit den Zeitzeugen, die seine Produktionen auszeichnen.

Als er sich erstmals der Familie Mann zuwandte, in seinem Dreiteiler "Die Manns", hatte er einen Riesenerfolg beim Publikum. Wenn sie gut gemacht ist, interessiert Kulturgeschichte offenbar doch viel mehr Menschen, als gewöhnlich unterstellt wird. Man muss sich nur trauen, etwas Interessantes anspruchsvoll und zugänglich zugleich zu erzählen.

Nun traute sich Heinrich Breloer zum ersten Mal an einen richtigen Spielfilm. Er wird später auch ins Fernsehen kommen. Es ist aber richtig, dass er zuerst im Kino zu sehen ist: Eine große Geschichte mit großen Bildern gehört auf die große Leinwand.

Ich finde es gut, dass diese Premiere hier in Essen stattfindet, in der wunderbaren Lichtburg, die schon viel Kinogeschichte erlebt hat. Essen wird in zwei Jahren zusammen mit dem Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas sein. Die Buddenbrooks zeigen gewiss eine ganz andere Kultur und Lebenskultur, als sie dann hier im Ruhrgebiet präsentiert werden wird. Aber letztlich erzählen doch auch die Buddenbrooks eine Geschichte vom Wandel der Zeit, von "Strukturwandel", wenn Sie so wollen, und damit haben auch wir es hautnah zu tun. Wenn wir nur genau hinsehen, können uns auch alte Geschichten etwas über uns selber erzählen.

Ich wünsche uns allen jetzt viel Freude mit den Buddenbrooks - und Ihnen, Herr Breloer, Herr Mueller-Stahl, Frau Berben, Herr Waschke, Frau Schwarz und allen anderen Mitwirkenden, viel Erfolg!