Laudatio von Bundespräsident Horst Köhler auf Professor Joachim Kaiser aus Anlass seines 80. Geburtstages

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 20. Januar 2009

Bundespräsident Horst Köhler am Rednerpult

Sehr geehrter Herr Kaiser, Sie hatten Glück. Ein großes Glück, um das Sie mancher beneidet: Sie wurden in eine Familie hineingeboren, in der Musik, Literatur und Kultur ganz allgemein sehr geschätzt wurden. Sie haben sehr früh zu musizieren gelernt, Sie sind sehr früh großer Literatur begegnet und haben sehr früh Ihre Begeisterung dafür entdeckt. Ein Lebenszufall, eine Gnade.

Sie haben aber dieses Glück auch beim Schopf gefasst und aus Ihrer frühen Begegnung mit der Kultur und aus Ihren vielen großen Begabungen etwas gemacht. Sie waren nie ein schlampiges Genie, die es auch gibt, sondern Sie haben sich Ihr Leben lang gebildet. Sie sind immer unterwegs geblieben - nicht nur auf dem Fahrrad, wie wir wissen, sondern immer unterwegs zu neuen Entdeckungen, tieferen Einsichten, besseren Erkenntnissen - in der Musik, im Theater, in der Literatur.

Aber - Sie sind nicht für sich allein unterwegs oder nur aus Ihrer eigenen Leidenschaft heraus, sondern zu uns, und Sie nehmen uns mit, uns, die Leser, die sich für die Musik, für das Theater und für die Literatur interessieren. Ihr Freund Martin Walser hat einmal davon gesprochen, er käme sich bei der Lektüre Ihrer Musikkritiken vor wie Columbus. Sie sind ein Entdecker, der auch die Leser zu Entdeckern macht. Und das ist nun unser Glück - das Glück, dass wir Sie haben. Damit meine ich heute nicht nur die, die hier in so illustrer Runde um diesen Tisch sitzen, sondern alle, die in den letzten, ja: sechzig Jahren etwas von Ihnen gehört oder gelesen haben.

Mit Ihnen auf Entdeckungsreise zu gehen, das ist also unser Glück - und indem Sie uns dieses Glück bereiten, helfen Sie zugleich mit, ein bisschen Ungerechtigkeit zu beseitigen. Die Ungerechtigkeit nämlich, dass es viele Menschen gibt, die nicht das Glück haben, so früh und selbstverständlich in die Welt der Kultur zu finden - die aber auch ein Interesse daran entwickeln und die auch ein Recht darauf haben, an diesen Schätzen teilzuhaben.

Ich könnte jetzt viel über die Aufgaben der Schule sagen, über den Musik-, den Deutsch-, den Kunstunterricht, die alle mithelfen sollen, dass alle Kinder, auch die, denen das Elternhaus solche Chancen nicht bietet, die Schönheit der Musik und der Literatur und der Kunst für sich entdecken können. Aber das gehört an andere Orte, so wichtig dieses Thema für mich ist.

Sie jedenfalls, Herr Kaiser, haben, wie ein guter Lehrer, die Menschen neugierig gemacht und sie besser lesen und hören gelehrt. Und die Begeisterung und die Geduld, mit der Ihre Hörer und Leser zu Ihren zahllosen Vorträgen gehen und Ihre Radiosendungen hören und Ihre Artikel und Bücher lesen - diese Begeisterung zeigt: Das Interesse an der Kultur ist groß in unserem Land. Und nicht nur das Interesse, sondern auch der Wunsch, das, was man sieht und hört, immer besser zu verstehen. Und groß ist auch der Wunsch, neue Interpretationen, neue Gedanken und neue Werke kennenzulernen und erklärt zu bekommen.

Ein gutes Feuilleton führt die Leser zu den Werken, nicht zum Verfasser des Artikels. Ihre Arbeiten sind immer lesbar, sie führen zum Kern der Sache und sie bleiben bei der Sache. In Ihren Artikeln muss man nicht erst mühsam die Stelle suchen, an der es anfängt, tatsächlich um das neue Buch zu gehen und nicht zunächst einmal um die Gescheitheit oder die Befindlichkeit des Rezensenten. Gute Kulturjournalisten dürfen eitel sein - vielleicht müssen sie es sogar, weil sie ihr sehr subjektives Urteil ganz allein verantworten müssen - aber ihre Artikel sollten es nicht sein.

Sie, Herr Kaiser, beherrschen die hohe Kunst, dass Ihr enormes Kunstverständnis und Ihre herausragende Urteilskraft niemanden erschreckt oder einschüchtert, sondern im Gegenteil die Hörer und Leser erfreut und mit Ihrer Begeisterung ansteckt. Sie brauchen Ihre hohe Bildung nicht in falscher Bescheidenheit zu verstecken, weil Sie sie für das Publikum nutzbar machen wollen. Das spüren die Leser - und darum verehren sie Sie.

Und noch etwas spüren die Leser bei Ihnen: Sie lieben die Kunst, Sie respektieren die Künstler, auch dann, wenn Sie sie kritisieren, Sie erwecken nicht den Eindruck, im Grunde selber alles besser zu können oder zu wissen. So ist Ihre Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes ein Dienst an unserer Kultur geworden.

Jürgen Habermas, ebenfalls Ihr Freund, hat auf die Bedeutung von Qualitätszeitungen für die Kultur einer Nation hingewiesen. Weil in ihnen - jedenfalls in der Regel - seriöse und umfassende Information geboten wird, weil in ihnen eine gesellschaftliche Auseinandersetzung auf hohem Niveau stattfindet, und weil in ihnen auf selbstbewusste und kenntnisreiche, ja, sagen wir ruhig: gebildete Weise Kritik geübt wird. Sie, Herr Kaiser, haben in den vielen Jahren Ihrer journalistischen Arbeit mit dazu beigetragen, dass Ihre Zeitung, dass Ihr Feuilleton in diesem Sinne gewirkt hat und wirkt.

Deswegen möchte ich Sie heute ganz dezidiert als Bundespräsident ehren. Sie haben sich um die Kultur dieses Landes verdient gemacht.

Meine Damen und Herren, erheben Sie mit mir das Glas auf den Jubilar, der auch in seinem einundachtzigsten Jahr schreibt und wirkt und Vorträge hält, auf dass wir noch lange sagen können: Zum Glück haben wir Joachim Kaiser.