Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler bei der Vorstellung des Buches "Der aufrechte Gang"

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 26. März 2009

Bundespräsident Horst Köhler am Rednerpult

Seien Sie herzlich willkommen in Schloss Bellevue. Ich freue mich, dass Sie gekommen sind, um dabei zu sein, wenn heute unsere Veranstaltungsreihe "Für Freiheit und Demokratie" nach nun zwei Jahren ihren Abschluss findet. Einige von Ihnen haben tatkräftig mitgewirkt an diesen fünf Gesprächsrunden - und damit auch an dem Buch, das wir jetzt vorstellen. Dafür schon jetzt meinen herzlichen Dank!

Vor zwei Jahren kamen Herr Eppelmann und ich auf die Idee, Jugendlichen die Gelegenheit zu bieten, mit Zeitzeugen aus der DDR ins Gespräch zu kommen. Wir haben deshalb eine Reihe von Podiumsdiskussionen hier in Schloss Bellevue durchgeführt, bei der Opfer und Gegner des SED-Regimes sich mit Schülerinnen und Schülern aus allen Teilen der Republik austauschen konnten. Ich freue mich, heute auch viele Teilnehmer der Gesprächsrunden wiederzusehen. Diese Gesprächsrunden waren durchweg spannend, informativ - und oft auch sehr bewegend. Was gesagt wurde, können Sie ab sofort in diesem Buch nachlesen.

Dieses Buch ist nicht bloß eine Dokumentation. Herr Eppelmann und ich wollten mit dieser Gesprächsreihe ein Zeichen setzen: Uns ist es wichtig, dass die Erinnerungen der Opfer des SED-Regimes ernst genommen und festgehalten werden und dass wir daraus lernen. Das ist der Sinn jeder Beschäftigung mit Geschichte - vor allem, wenn sie zeitlich so nahe liegt. Die Regimekritiker in der damaligen DDR sind trotz Unterdrückung und unter hohem persönlichem Risiko für Freiheit, für Demokratie und Menschlichkeit eingetreten. Es ist wichtig, dass wir an ihren Mut und ihre Leiden erinnern - und auch an die Perfidie des Regimes. Und es ist wichtig, dass wir den Opfern die Gewissheit vermitteln: Ihr Einsatz war nicht vergebens. Sie werden nicht vergessen. Deshalb sind die Gesprächsreihe und das Buch, das daraus erwachsen ist, mir wichtig.

Mir ist bewusst, dass viele Opfer des SED-Regimes sich mit ihrem Leid alleingelassen fühlen. Ich weiß, dass manche von ihnen sich auch heute noch von ihren einstigen Unterdrückern verhöhnt fühlen. Und ich weiß, dass viele von jenen, die für mehr Freiheit gekämpft haben, sich heute fragen, ob sich ihr Einsatz überhaupt gelohnt habe. Fast zwei Jahrzehnte nach der friedlichen Revolution in der DDR müssen wir deshalb dem Eindruck entgegentreten, dass die Bundesrepublik ihren Frieden mit den Tätern gemacht habe. Wir werden nicht vergessen, wieviel Unrecht damals geschehen ist, wie gemein sich manche verhalten haben.

Erlittenes Unrecht wiedergutzumachen, das ist eine schwere - oft eine unlösbare Aufgabe. Vor allem dann, wenn die Verletzungen tief sitzen und die Täter sich uneinsichtig zeigen. Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir alles tun, um die Folgen für die Betroffenen abzumildern. Und dass wir dafür sorgen, dass weder das Unrecht in Vergessenheit gerät noch das Leid und die Größe derjenigen, die sich mit diesem Unrecht nicht abgefunden haben.

Wichtig ist mir die Erinnerung außerdem, weil wir für uns selber und für die Zukunft aus der Geschichte der DDR viel lernen können: Zivilcourage zum Beispiel - den Mut, seinem Gewissen zu folgen, auch wenn der "Mainstream" anders denkt. Zu den Lehren der DDR-Geschichte gehört auch die Erfahrung, dass es selbst in einem totalitären System nicht nur Schwarz und Weiß gibt und dass die Handlungsspielräume für den Einzelnen oft größer sind, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Und schließlich sind die Regimegegner in der DDR auch ein Vorbild für politisches Engagement. Von ihrem Mut können viele, die heute bei uns einen bequemen "Ohne-Mich-Standpunkt" pflegen, sich eine dicke Scheibe abschneiden!

"Unglücklich das Land, das Helden nötig hat", lässt Bert Brecht seinen Galileo ausrufen. Die DDR hatte Helden bitter nötig. Und es ist ein großes Glück, dass ihr Mut am Ende siegreich war.

Ich möchte mich zum Abschluss unserer gemeinsamen Veranstaltungsreihe noch einmal ganz herzlich bei Herrn Eppelmann und den Mitarbeitern der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur bedanken. Es war eine schöne Zusammenarbeit, Herr Eppelmann. Die Stiftung fördert seit fast zehn Jahren verdienstvoll diese notwendige Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und ihren Folgewirkungen für das vereinigte Deutschland. Das hat sie auch im Rahmen unserer gemeinsamen Veranstaltungsreihe getan, und die Zusammenarbeit war ertragreich und menschlich bereichernd. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist dieses Buch, das Sie alle im Anschluss an diese Veranstaltung erhalten werden.

Mein ganz besonderer Dank gilt den Zeitzeugen, die sich den Fragen der Schülerinnen und Schüler im Rahmen dieser Gesprächsreihe gestellt haben. Ich bitte Sie: Tun Sie das auch in Zukunft. Gehen Sie in Schulen und Jugendgruppen und tragen Sie dazu bei, dass die Erinnerung an das, was in der DDR geschehen ist, lebendig bleibt.
Ich freue mich, dass nun ein Zeitzeuge zu uns sprechen wird, dessen Worte - die gesprochenen und die gesungenen - vielen in der DDR Mut gemacht haben und der deshalb vom Regime verfolgt und ausgebürgert wurde. Dass er ein freier Geist ist, das hat er dann auch in der Bundesrepublik bewiesen. Lieber Wolf Biermann, seien Sie uns herzlich willkommen!

(Zur Rede von Wolf Biermann)