Laudatio von Bundespräsident Horst Köhler auf Bundesminister a. D. Dr. Theo Waigel aus Anlass seines 70. Geburtstages

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 5. Mai 2009

Der Bundespräsident und Theo Waigel begrüßen die anderen Gäste

Lieber Theo Waigel, verehrte Gäste, herzlich willkommen in Schloss Bellevue. Meine Frau und ich, wir freuen uns darüber, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind, gemeinsam den 70. Geburtstag von Theo Waigel zu feiern. Lieber Theo, nachträglich nochmals alles Gute!

Unsere frohe Runde hat sich an einem 5. Mai zusammengefunden - das ist ein schöner Zufall und vielleicht sogar eine wohlgelungene Fügung. Denn am 5. Mai 1990 begann in Bonn die erste Runde jener Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, die zur Wiedervereinigung geführt haben. Knapp zwei Wochen später, am 18. Mai, unterzeichneten die beiden damaligen Finanzminister Theo Waigel und Walter Romberg den Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion der beiden deutschen Staaten. Allen verständigen Beobachtern war klar: Dieser Vertrag bedeutete den entscheidenden Schritt hin zur staatlichen Wiedervereinigung.

Es waren aufregende, ereignisreiche, auch stressige Monate damals. Die Verhandlungen mit der DDR und mit der UdSSR waren für alle Beteiligten politisches und fachliches Neuland. Eine Blaupause für die Wiedervereinigung gab es erst recht nicht. Zudem hattest Du als Finanzminister den unpopulären Aspekt der Einheit Deutschlands, die Kosten, zu vertreten. Dennoch hast Du nie gezaudert. Du sahst Dich in der Pflicht, die historische Chance zu nutzen: unserem Land nach über vier Jahrzehnten der Teilung den Weg zur Einheit in Freiheit zu bahnen. Du bist einer der wirklichen Väter der deutschen Einheit.

Wichtige Ämter setzen eine gehörige Lebens- und Berufserfahrung voraus. Du, lieber Theo, warst gut darauf vorbereitet, das Amt des Bundesministers der Finanzen in für Deutschland besonders wichtiger Zeit auszufüllen. Ich kann hier nur skizzieren: die sechs Jahre im Kreistag Krumbach zum Beispiel, die nur deshalb nicht zu dem von Dir angestrebten Landratsposten führten, weil es nach einer Gebietsreform den Landkreis und den Landratsposten plötzlich nicht mehr gab. Erwähnt seien die Jahre als Referent von Anton Jaumann im bayerischen Finanz- und im Wirtschaftsministerium, die Jahre im Bundestag im Bildungsausschuss, im Haushaltsausschuss, im Wirtschaftsausschuss und als wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Schon diese Stationen zeigen: Erfolgreiche Finanzminister fallen nicht vom Himmel, sie werden geschmiedet und geraten dabei auch mehr als einmal zwischen Hammer und Amboss.

Damit bin ich auch schon bei Deinen sieben Jahren als Vorsitzender der CSU-Landesgruppe angekommen. Du warst Brückenbauer zwischen den zwei politischen Urgesteinen Franz Josef Strauß und Helmut Kohl. Eine Herausforderung, die nicht unbedingt viel Dank einheimste, aber doch so unendlich wichtig war.

FJS, auf der einen Seite, war nicht gerade für Geduld berühmt - er verlangte geistig mindestens den Oktangehalt von Flugbenzin und gelegentlich auch Widerworte. Bundeskanzler Helmut Kohl wiederum hatte, wie Du selbst berichtet hast, als Frühaufsteher meist schon morgens um halb acht von Eduard Ackermann en detail berichtet bekommen, welche Pfeile nun schon wieder aus München herangeschwirrt kamen, und rief dann entsprechend aufgeräumt den Landesgruppenchef Waigel an. Die CSU hat damals im Bundestag eine verlässlich konstruktive Rolle gespielt und an der wirtschafts- und finanzpolitischen Konsolidierung mitgewirkt, die eine entscheidende Voraussetzung für die erfolgreiche Politik der Wiedervereinigung und des Aufbaus Ost war - für die Jahre, die dann Du als Finanzminister wesentlich mitgestaltet hast.

Manche Entscheidung auf dem Weg zur Wiedervereinigung würden wir mit dem heutigen Wissen vielleicht anders treffen. Aber dieses Wissen hatte damals niemand. Meist wird auch vergessen, unter welchem Zeitdruck alle politisch Handelnden standen. Das Tor zur Einheit stand nicht beliebig lange offen.

Lieber Theo, an einer solchen Weichenstellung mitzuarbeiten - das ist nur wenigen Politikern vergönnt. Und Du warst ein Jahr später an einer zweiten Entscheidung von historischer Tragweite beteiligt: der Einführung des Euro. Auch bei dieser Weichenstellung hast Du große Weitsicht bewiesen. Die gemeinsame europäische Währung war für Dich nicht bloß ein Mittel, um Europa in Zeiten der Globalisierung wettbewerbsfähiger zu machen und Währungsrisiken zu reduzieren. Eine gemeinsame europäische Währung war für Dich immer auch Symbol für die gemeinsamen kulturellen Wurzeln Europas und dafür, dass seine Völker die Lehren aus der europäischen Geschichte gezogen haben.

Bei der Verfolgung des Ziels der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hattest Du wiederum keinen durchweg populären Part übernommen. Schließlich war die D-Mark eines der wichtigsten Identifikationssymbole der Deutschen für die Wiedergewinnung von Wohlstand und politischem Ansehen. Du musstest also auch bei dieser historischen Entscheidung eine Menge Gegenwind aushalten: Eine Mehrheit der Deutschen sprach sich 1999 und 2000 in Umfragen gegen die Einführung des Euro aus. In Deiner politischen Heimat, der CSU, sprach man von Esperantogeld. Und Einwände von wissenschaftlicher Seite gab es natürlich auch. Doch Du standest. Dein Motto lautete ja: "Non degenerabo". Du bist ihm auch in dieser schwierigen Phase treu geblieben. Nicht indem Du die vorgetragenen Bedenken ignoriert hättest, sondern indem Du die Kritik als Aufforderung angenommen hast, die Einwände zu entkräften; als Ansporn, für einen möglichst guten und stabilen Euro zu kämpfen. Das war die Geburtsstunde für den zusätzlichen "Wachstums- und Stabilitätspakt".

Bei den oft schwierigen Verhandlungen kam Dir zugute, dass Du Politik immer als die Kunst des Möglichen verstanden hast. Du warst entschlossen, alle Chancen zu nutzen. Aber - im Sinne des von Dir geschätzten und gerne zitierten Robert Spaemann - Du warst auch bereit, das, was Du nicht ändern konntest, als sinnvolle Grenze Deines Handelns in Dein Wollen aufzunehmen. Diese Mischung aus Entschlossenheit und Gelassenheit habe ich immer an Dir bewundert.

Vielleicht ist das Geheimnis Deines Erfolgs Dein Humor. Schon in einem Deiner Schulzeugnisse soll es dazu heißen: "Macht wie sein Vater bisweilen Späße, bisweilen auch zur Unzeit." Und eine Kostprobe solcher Fähigkeit, selbst Widrigkeiten komisch zu finden, hat der "Focus" überliefert: "Theo Waigel erzählt seinen Lieblingswitz: Der Bundesfinanzminister geht aufs Eis und bricht ein. Dem jungen Burschen, der ihn rettet, gewährt er einen Wunsch. Der erbittet ein Staatsbegräbnis: Wenn mein Vater erfährt, wen ich gerettet habe, schlägt er mich tot."

Lieber Theo, wer wie Du auf einem festen, im christlichen Glauben verankerten Fundament steht, wer wie Du daraus für sein Leben ein hohes Maß an Sicherheit gewinnt, der kann sich eben auch manches an Freiheit leisten. Vor allem die Freiheit, den Dingen immer auch ihre humorige Seite abzugewinnen. Vielen von uns ist in bleibender Erinnerung, wie Du auch schwierigste Situationen mit viel Humor entschärft und gelöst hast. Die vielen freundschaftlichen Kontakte, die Du auch heute noch zu ehemaligen Finanzministerkollegen in aller Welt hast, sind nicht zuletzt auf Deine "gute Art" zurückzuführen. Und bei den oft schwierigen Verhandlungen über den Euro war Deine Fähigkeit, in der Sache fest zu bleiben, im Stil aber freundlich-verbindlich, wirklich Gold wert.

Gerade in der aktuellen Krise hat sich die gemeinsame europäische Währung als ein Stabilitätsanker im Weltfinanzsystem erwiesen. Die aktuellen Spannungen im Euroraum zeigen aber auch, dass der Euro kein Ersatz für längst fällige Strukturreformen ist.

Das Thema "solide Fiskalpolitik" ist auch aus einem zweiten Grund so aktuell wie eh und je. Die Konjunkturpakete, die derzeit weltweit aufgelegt werden - was im Kern richtig ist- führen in vielen Ländern zu einem deutlichen Anstieg der Neuverschuldung. Umso wichtiger ist es, dass wir bereits jetzt darüber nachdenken, wie die Neuverschuldung nach der Krise zurückgeführt werden kann.

Von Dir, lieber Theo, stammt die Strategie der so genannten symmetrischen Finanzpolitik. Der Ansatz, die Haushaltskonsolidierung mit einer systematischen, leistungsfreundlichen Steuerpolitik zu verbinden, mag schwerer umzusetzen sein. Er ist heute aber aktueller als je zuvor.

Lieber Theo, auch wenn Du nun nicht mehr direkt im politischen Geschehen stehst: Vieles von dem, was Du auf den Weg gebracht hast, wirkt nach, zum Guten. Dein Rat wird weiterhin hoch geschätzt - nicht nur als Anti-Korruptions-Beauftragter für die SEC bei Siemens. Du engagierst Dich noch immer in vielfältiger Weise für unser Gemeinwesen. Ich wünsche mir, Dir und vor allem unserem Land, dass das noch lange so bleibt. Ich weiß, dass Du dafür beste Voraussetzungen mitbringst. Denn die Stärke, die man für so viel Tatkraft und Gestaltungsfreude braucht, findest Du - heute wie damals - im Glauben, im heimischen Allgäu und in der Familie.

Liebe Gäste, bitte erheben Sie Ihr Glas mit mir auf Theo Waigel. Wir wollen einen Mann ehren, der sich um unser Vaterland verdient gemacht hat. Theo: Ad multos annos!