Ansprache von Bundespräsident Horst Köhler bei der Veranstaltung "60 Jahre Bundespressekonferenz"

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 8. Oktober 2009

Bundespräsident Horst Köhler steht an einem Rednerpult vor einer blauen Wand mit dem Schriftzug "Bundespressekonferenz"

Als Werner Gößling mich vor einem halben Jahr für den heutigen Abend einlud, habe ich mich gewundert: Warum will sich die Bundespressekonferenz zu ihrem 60. Geburtstag ausgerechnet von dem einen Bundespolitiker gratulieren lassen, der von Amts wegen am wenigsten mit ihr zu tun hat?

Aber dann fiel mein Blick auf den Kalender. Schon richtig: Ihre Stammkundschaft ist in diesen Tagen anderweitig beschäftigt. Der Vorstand hat in weiser Vorausschau eingeladen; ich bin gern gekommen, herzlichen Glückwunsch.

Zur Sache: "Wenn das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Presse dahingekommen ist, wo es heute steht, so ist dies (...) auf die Ungeeignetheit der Mehrzahl der Korrespondenten zurückzuführen."

Keine Sorge, das war bloß ein Zitat. Allerdings ist es immerhin das Zitat eines Mitglieds der Bundespressekonferenz, und es ist fast so alt wie die BPK selbst. Es stammt aus dem November 1950, und der Autor war Hans Georg von Studnitz. Steckte also von Anfang an der Wurm drin?

Ich will so weit nicht gehen. Im Gegenteil. In einem Land, in dem das Verhältnis zwischen Politik und Presse immer gut ist, möchte ich nicht leben, geschweige denn als Staatsoberhaupt. Denn ein solches Land ist mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Demokratie, jedenfalls keine lebendige. Und die Eignung eines Journalisten für seinen Beruf wird sich im demokratischen Staat auch nicht daran messen lassen, wie brav er für ein gutes Verhältnis zwischen Regierung und Presse sorgt.

Eher schon daran, wie sehr er oder sie für ein gutes Verhältnis zwischen Presse und Publikum sorgen kann. Und auch da hat Studnitz einiges zu bieten - lassen Sie mich zitieren:

"Das Ende der schweren Krise, in der sich die deutsche Presse etwa seit Jahresfrist befindet, ist noch immer nicht abzusehen. Eine ganze Reihe von Tageszeitungen und Zeitschriften steht weiter in einem verzweifelten Kampf um ihre Existenz. Sehr viele deutsche Zeitungen und Zeitschriften werden niemals auf einen grünen Zweig kommen, solange sie weiter von falschen Leuten gemacht werden. Heute gibt es keine Rechtfertigung mehr für einen Zustand, unter dem bei vielen Zeitungen Ignoranten für Verlag und Redaktion verantwortlich sind. Stattdessen erleben wir, dass Nichtskönner, die mit unsäglichen Anstrengungen aus Zeitungsunternehmen hinauskomplimentiert werden, riesige Abfindungen erhalten, damit sie überhaupt gehen und die Fachleute ans Ruder lassen."

Zitat Ende, 59 Jahre alt, ich mache es mir natürlich ausdrücklich nicht zu eigen, und am Rande bemerkt: Als Bundespräsident darf man zuweilen ja gar nicht so sprechen, wie man zitieren kann.

Aber, meine Damen und Herren, ich bin nicht hergekommen, um mit Ihnen gemeinsam über die Zentrale zu schimpfen. Es gibt eine Verantwortung der hier versammelten bundespolitischen Korrespondenten für die Qualität des politischen Diskurses in Deutschland, auch wenn Sie beileibe nicht die einzigen sind, die diese Verantwortung tragen. Und seien wir ehrlich: Die Qualität des politischen Diskurses in Deutschland lässt bisweilen Raum für Verbesserung.

Ich weiß, viele fragen sich, ob die Branche überhaupt noch die Rahmenbedingungen für Qualitätsjournalismus bieten kann. Sie starren gebannt auf sinkende Auflagen und einbrechende Werbebuchungen, und alles, was ihnen zur Abwehr einfällt, sind noch mehr Drama, noch mehr Personalisierung, noch mehr zur Schau gestellte Distanzierung von der Welt der Politik. Ich glaube, es gibt einen anderen Weg, und ich bin froh, dass er aufgezeigt wird von Leuten aus der Branche selbst. Hören Sie mal, was der Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung neulich zu sagen hatte: "Bei der Besinnung auf den eigentlichen Auftrag hilft uns das, was viele als Nachteil eines Verlags sehen: Zeitungen sind Wirtschaftsunternehmen, wenn auch besondere. Dies ist ein Vorteil: Wir müssen uns um unsere Leser kümmern, müssen ihre Bedürfnisse spüren und befriedigen - was wenig mit Populismus zu tun hat."

Meine Damen und Herren, ich glaube, das stimmt. Wer sagt, kommerzielle Zwänge führen zwangsläufig zu Qualitätseinbußen, der sagt im Umkehrschluss: Geld bestimmt die Qualität der Presse. So einfach sollte man es sich nicht machen. Der Bedarf Ihrer Leserinnen und Leser, Ihrer Zuschauerinnen und Zuschauer an Aufklärung ist riesig, und wer diese Ware in hoher und haltbarer Qualität anbietet, der liefert mehr als Bildung und Mündigkeit und Urteilsfähigkeit für den einzelnen, so wichtig die auch sind; der bietet die praktische Gebrauchsanweisung zum Demokratisch-Sein, der macht den Leuten klar, was sie gemeinsam stemmen können, und wie viel Kraft und Kreativität entsteht, wenn freie Menschen ihre Möglichkeiten entdecken und gemeinsam nutzen.

Die Welt, in der wir leben, will erklärt sein, damit sie gestaltet werden kann. Sie war noch nie so kompliziert wie heute. Aber dafür hat sie auch noch nie so viele Gelegenheiten zum Dazulernen, so viele Möglichkeiten zum friedlichen Ausgleich, so viele Chancen der Zusammenarbeit und so viele neue Perspektiven auf alte Gewissheiten geboten. Es sollte eine tolle Zeit sein für Leute, die ihr Geld mit Neugierde verdienen.

Hier geht es gar nicht um Verheißung; hier geht es schlicht um Selbstbestimmung. Und die beginnt mit der Erkenntnis, dass man seinem eigenen Denken die Durchdringung von Tatsachen selbst dann zumuten sollte, wenn sie einem unangenehm sind. Das ist gerade für Anhänger gefestigter Weltanschauung mitunter eine Herausforderung, aber Journalisten sollten sich ihr nicht entziehen. Was soll man davon halten, wenn viele von Ihnen gern ein Urteil über die Dienstwagennutzung der Gesundheitsministerin zum Besten geben, aber die wenigsten ein kompetentes Urteil über die Gesundheitspolitik der Ministerin abgeben können?

Ich glaube, Sie liegen schief, wenn Sie denken, das wollen die Leute gar nicht wissen. Ich glaube, sehr viele Menschen da draußen beschleicht beim Gedanken an die Zukunft unseres Gesundheitswesens ein unbehagliches Gefühl, weil sie merken, dieses System werden wir nachhaltig nur aufrechterhalten können, wenn es auch dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit genügt. Gesundheit ist das wertvollste Gut, aber wir ahnen, dass wir es uns auch nicht leisten können, jeden Preis dafür zu zahlen. Wir tasten uns also heran an die Frage: Was ist der Höchstpreis für Gesundheit? Was wollen wir dafür gemeinsam maximal pro Monat aufwenden? Ich glaube, die Leute sind bereit, sich der Spannung zu stellen, die in solchen Abwägungen steckt. Aber es fehlt ihnen an Aufklärung.

Warum wird sie nicht geboten? Weil es mühsam ist, sich die Urteilsfähigkeit zu erarbeiten, die nötig ist, um glaubwürdig Aufklärung zu betreiben? Weil es auch für Mitglieder der Bundespressekonferenz die Versuchung gibt, Kompetenz lediglich zu suggerieren? Vielleicht lässt sich auf Bundesebene auch leichter schummeln als zum Beispiel im Lokaljournalismus. Lokaljournalisten haben es schwerer: Ihr Urteil steht immer gegen das eigene Urteil der Leser. Fehler und mangelnde Sorgfalt fallen auf. Lokaljournalisten müssen kompetent sein, sonst wird ihre Arbeit vor Ort angefochten. Bundespolitische Korrespondenten dagegen können Sachverstand vortäuschen und fehlende Urteilskraft verstecken im Herdenverhalten.
Mir fiel zum Beispiel auf, wie viele von Ihnen sich einig waren in der Beurteilung des zurückliegenden Wahlkampfs. Ich hege da einen schlimmen Verdacht: Ich glaube, vielen von denen in den Medien, die vorgeblich im Namen der Demokratie und im Kampf gegen die Politikverdrossenheit nach mehr Schärfe, mehr Ideologie, mehr Angriff verlangten, denen ging es gar nicht um die Demokratie: Bestenfalls hatten sie Langeweile, und schlimmstenfalls vermissten sie etwas, womit sie ihre Quoten und Auflagen steigern wollten. Und wissen Sie was? Ich glaube, viele Leute da draußen haben das durchschaut.

Immerhin, Sie haben sich die Fähigkeit zur Selbstreflexion nicht abkaufen lassen. Günter Bannas zum Beispiel hat dem Gewerbe vor wenigen Wochen den Spiegel vorgehalten. Was wäre wohl, so fragte er, wenn wie gewünscht Rabatz im Wahlkampf geboten worden wäre? Seine Antwort: "Jene Fernsehmoderatoren und Politik-Kritiker, die derzeit vom langweiligen, ja einer Demokratie nicht angemessenen Wahlkampf sprechen, würden noch tiefere Furchen ins Gesicht legen. Unter Niveau sei das, das vermehre die Parteienverdrossenheit, die Wähler sollten sich abwenden, würden sie sagen und schreiben. Mahnend würde der Bundespräsident eingreifen und vor einem Niedergang der politischen Kultur warnen."

Ich bin nicht sicher mit dem Schluss, aber das davor ist sicher richtig. Es ist nur schade, dass man sich bis Seite 42 der Samstags-FAZ durchkämpfen musste, um diese Erkenntnis teilen zu können.

Ich weiß nicht, ob Sie in den vergangenen Wochen Zeit hatten für Jürgen Leinemann. Mich hat das angefasst, was ich da las. Auch das, was er Ihnen und Ihren Kollegen auf den Weg gibt: "Ich vermisse bei vielen Journalisten eine Haltung. Damit meine ich: Ernsthaftigkeit. Für irgendetwas Besonderes einzutreten, es wichtig zu finden. Ich vermisse Leidenschaft."

Haltung haben. Es ist ein ziemlich altes Wort. Aber ich finde, es könnte mal wieder in Mode kommen. Genau wie ein anderes, viel schlichteres Wort: Ahnung haben. Zusammen sind sie stark, meine ich.

Unterhaltung ist wichtig, auch in Ihrem Metier. Aber als Mittel der Information. Nicht zu ihrem Ersatz. Schon jetzt haben viel zu viele Menschen den falschen Eindruck, der Zweck von Politik sei Unterhaltung. Diese Entwicklung ist ungut. Für die Demokratie. Und auch für die, die über sie berichten. Komisch: Auch das hatte damals schon Studnitz im Sinn: "Die Absatzkrise der deutsche Tagespresse ist in Wirklichkeit eine Revolte des Zeitungslesers gegen Zeitungen, die seine geistigen Bedürfnisse nicht mehr kennen, weil sie ihn für dümmer halten, als er tatsächlich ist. Das Publikum will heute unterhalten oder gebildet, in jedem Fall aber informiert werden.

Verleger und Redaktionen sollten innere Einkehr halten. Und sie werden verstehen, dass am Anfang der deutschen Pressekrise die Qualitätskrise steht; die sinkende Leistung so vieler Zeitungen, die es zuwege gebracht haben, dass das Publikum sich mit ihnen langweilt, statt anzuregen. Die Zeit für eine innere Reform der deutschen Presse, einen Prozess der Selbstreinigung, ist überreif."

Meine Damen und Herren, ich kenne da so einen Pressesprecher, der hat mir erzählt, die Bundespressekonferenz, das sei der einzige Verein, in dem er war, auf den er stolz gewesen sei. Wenn man ihn fragt, warum, dann kann er nach Journalistenart nicht ganz präzise antworten. Aber er rückt auch nicht ab von seinem Urteil. Irgendetwas an Ihnen ist besonders, sagt er. Ruhen Sie sich darauf bitte nicht aus. Fangen Sie damit etwas an. Es gibt viel zu entdecken für alle, die Fragen stellen können. Und es dürfen auch Fragen an sich selbst sein. Nochmals: Herzlichen Glückwunsch!