Tischrede von Bundespräsident Horst Köhler beim Staatsbankett zu Ehren des Präsidenten der Föderativen Republik Brasilien, Herrn Luiz Inácio Lula da Silva

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 3. Dezember 2009

Der Bundespräsident steht am Rednerpult, davor sitzen die Gäste

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Frau und ich heißen Sie in Deutschland herzlich willkommen! Wir freuen uns, dass Sie uns heute besuchen! Dies gibt mir die schöne Gelegenheit, die liebenswürdige Gastfreundschaft zu erwidern, die Sie uns bei unserem Besuch in Ihrem Land vor nunmehr fast drei Jahren erwiesen haben.
Neben den vielen guten Gesprächen, die wir geführt haben, war ein Höhepunkt dieser Reise für mich die Fahrt auf dem Amazonas. An das grandiose Schauspiel, wenn der schwarze auf den weißen Amazonas trifft und beide in einen breiten Strom münden, erinnere ich mich gerne. Die atemberaubende Schönheit und Einzigartigkeit der brasilianischen Natur haben meine Frau und mich tief beeindruckt. Und wir haben gespürt: Auch die Weltgemeinschaft trägt Verantwortung dafür, dieses einmalige Ökosystem der Schöpfung zu schützen.

Brasilien und Deutschland verbindet eine über die Jahrhunderte reichende tiefe und enge Freundschaft. Unsere bilateralen Beziehungen sind intensiv und vielfältig. Schon früh zog es Deutsche nach Südamerika, etwa 300.000 haben sich seit der Staatsgründung Brasiliens 1822 dort niedergelassen.

2010 werden wir auf 40 Jahre wissenschaftliche Zusammenarbeit zurückblicken können - ein sehr guter Grund für ein deutsch-brasilianisches Wissenschaftsjahr! Unsere Forscher und Wissenschaftler schauen dabei nach vorne, in die Zukunft, und widmen sich gemeinsam den großen Themen Klima und Energie. Unsere Hochschulen kooperieren eng miteinander, und mit 10.000 - überwiegend brasilianischen - Schülern ist das Colegio Vizconde de Porto Seguro in Sao Paulo die größte deutsche Begegnungsschule weltweit. Damit steht unsere künftige Zusammenarbeit auf einem festen Fundament.

Im Wirtschaftsbereich ist Brasilien unser wichtigster Partner in Südamerika. Auf die Beschäftigungszahl bezogen kann man den Großraum Sao Paulo als "größte deutsche Industriestadt außerhalb Deutschlands" bezeichnen. Auch in Brasilien ist VW mittlerweile ein Volkswagen geworden. Fast 1.300 deutsche Unternehmen in Brasilien geben 250.000 Menschen Arbeit. Und die deutsch-brasilianische Außenhandelskammer engagiert sich in vorbildlicher Weise für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen. In unserer globalisierten Welt gewinnt "Corporate Social Responsibility" immer mehr an Bedeutung.

Brasilien ist uns in der Welt ein guter Freund. Ein Freund, der die weitere Entwicklung auf unserem Planeten maßgeblich mitbestimmen wird.

Kaum etwas symbolisiert den Aufstieg Brasiliens besser als die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2014 dort und der Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro. Ich gratuliere Ihnen und Ihrem Land dazu noch einmal herzlich!

Ich bin froh, dass sich Ihre Anstrengungen gelohnt haben. Und ich setze unverändert meine Anstrengungen fort, für die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2018 in München und Garmisch-Partenkirchen zu werben.

Brasilien übernimmt Verantwortung. Verantwortung zunächst in Südamerika, wo es Stabilitätsanker ist und die treibende Kraft der regionalen Integration. Sie, Präsident Lula, haben erkannt, dass nachhaltiges Wachstum und Entwicklung in Ihrem Land einhergehen müssen mit Wachstum und Entwicklung in der gesamten Region. Dass die ärmeren Länder nicht abgehängt werden dürfen. In diesem Zusammenhang freue ich mich über Ihr erklärtes Interesse an den Strukturen und dem Geist der Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Ich glaube in der Tat, dass wir Europäer der Welt hier etwas vorzeigen können.

Verantwortung und politische Tatkraft beweist Brasilien auch gegenüber den großen gemeinsamen Herausforderungen für unsere Eine Welt. Der Kampf gegen den Klimawandel steht dabei an erster Stelle.

Brasilien ist das artenreichste Land unserer Erde, der tropische Regenwald im Amazonasbecken das größte zusammenhängende Waldgebiet der Welt. Auch dank Ihres persönlichen Einsatzes, Präsident Lula, sind in den letzten Jahren große Fortschritte beim Schutz des Amazonasgebiets gelungen. Deutschland hat dabei nach Kräften geholfen und wird das auch weiterhin tun. Aber wir dürfen uns nicht täuschen - der Amazonaswald und der Tropenwald weltweit bleiben bedroht. Und die Abholzung von Tropenwald setzt Treibhausgase frei. In Kopenhagen wollen Sie, Herr Präsident, eine Absenkung der Emissionen aus Entwaldung um 80 Prozent bis 2020 ankündigen. Damit setzt Brasilien Maßstäbe!

Denn den Klimawandel können wir nur in den Griff bekommen, wenn wir die Regenwälder als "Lunge unseres Planeten" erhalten, wenn wir mit unseren Rohstoffen sorgsam umgehen und Energie umweltschonend erzeugen und nutzen.

Ich freue mich, dass Sie Brasilien persönlich auf der Klimakonferenz in Kopenhagen vertreten.

Die Industrieländer tragen dabei sicherlich eine besondere Verantwortung. Der Hauptteil der von Menschen verursachten Treibhausgase geht immer noch auf ihr Konto. Sie sind deshalb gefordert zu zeigen, dass Wachstum mit dem Wohlergehen von Mensch und Schöpfung einhergehen kann. Das ist gerade wichtig für die Entwicklungs- und Schwellenländer, die im Kampf gegen Armut auf Wirtschaftswachstum angewiesen sind. Deutschland und die EU stehen zu ihrer Zusage, diese Länder bei einer klimaverträglichen, nachhaltigen Entwicklung finanziell und technologisch zu unterstützen.

Neben der globalen ökologischen Frage stellt sich den Menschen die globale soziale Frage, der Kampf für mehr Gerechtigkeit und gegen Hunger und Armut in der Welt. Es ist ein gutes, ein ermutigendes Zeichen, dass Brasilien das erste Ziel der Millennium Development Goals der Vereinten Nationen, die Bekämpfung von extremer Armut und Hunger, aus eigener Kraft erreicht hat.

Eine gute Entwicklung hängt davon ab, dass alle Bevölkerungsschichten für sich Chancen sehen, am wachsenden Wohlstand teilzuhaben, und die Einkommensschere nicht zu weit auseinander klafft. Der Zugang zu Bildung spielt hier eine entscheidende Rolle. Und Transparenz im staatlichen und wirtschaftlichen Handeln bleibt Voraussetzung für eine bessere Zukunft.

Die Grundlagen hierfür zu schaffen, liegt in erster Linie in den Händen eines jeden Landes. Sicherheit, Wohlstand und Frieden kann es für uns alle dauerhaft nur dann geben, wenn die Welt gerechter wird. Wir alle müssen uns fragen - auch wir Deutschen -, was sich bei uns ändern muss, um der Welt eine gute Zukunft zu sichern.
Wir brauchen eine Entwicklungspolitik für den ganzen Planeten. Zu einer solchen Politik gehört ein entwicklungsfreundliches Handelsregime zum Nutzen aller Menschen. Ein rascher, erfolgreicher Abschluss der Doha-Welthandelsrunde ist auch eine Sache der Glaubwürdigkeit, der Vertrauensbildung.

Wir brauchen mehr Ordnung in der Globalisierung, bessere Regeln und effektive Institutionen. Zur Bewältigung der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise spielen die G20 eine wichtige Rolle. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie aufstrebende Nationen wie Brasilien, Indien und China in internationale Verantwortung wachsen können und wie ihrer zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung angemessen Rechnung getragen werden kann. Und uns alle verbindet die Verantwortung für die Menschen, die in Afrika Not leiden, ebenso wie wir alle ein gemeinsames Interesse haben, die Chancen dieses Kontinents zu entwickeln.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat unser Bewusstsein dafür geschärft, wie sehr wir weltweit miteinander vernetzt und aufeinander angewiesen sind. Die globalen Herausforderungen können wir daher nur gemeinsam mit einer kooperativen Weltpolitik bewältigen. Der zentrale Ort dafür sind die Vereinten Nationen. Brasilien und Deutschland sind davon überzeugt, dass es in unser aller Interesse liegt, die Vereinten Nationen zu stärken und effizienter zu machen. Sie sind bereit, hierbei an entscheidender Stelle mitzuwirken und Verantwortung zu übernehmen.

Brasilien ist Deutschland ein guter Freund und wichtiger Partner. Besser als viele andere Nationen hat Brasilien in der Wirtschafts- und Finanzkrise seine Stärke und Solidität gezeigt. Herr Präsident, Sie sind mit Recht stolz auf das, was Ihr Volk schon erreicht hat. Brasilien will Teil der Lösung der anstehenden Fragen sein und will mitarbeiten an der Gestaltung einer besseren Welt. Wir in Deutschland freuen uns darüber, und ich weiß aus eigener Erfahrung der Zusammenarbeit mit Ihnen, dass Ihr Wort verlässlich ist.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, mit mir das Glas zu erheben auf das Wohl von Präsident Lula und auf das Wohl des brasilianischen Volkes und die Freundschaft zwischen unseren Völkern.