Tischrede von Bundespräsident Horst Köhler beim Abendessen für den Vorstand des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 21. Januar 2010

Der Bundespräsident spricht an einem Rednerpult. Im Vordergrund sind unscharf die Köpfe der Zuhörer zu sehen.

Traditionell fällt unsere abendliche Zusammenkunft in den Januar. Das ist gut, denn da sind die guten Vorsätze fürs neue Jahr noch frisch. Noch besser ist es, wenn man zurückblicken und sagen kann: Das mit den guten Vorsätzen vom vergangenen Jahr - das hat geklappt.

Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft kann zufrieden sein. Vor fast genau einem Jahr haben sich Ihre Mitglieder im "Berliner Appell" dazu verpflichtet, trotz der Krise weiterhin beständig in Bildung und Wissenschaft zu investieren. Und bisher sieht es so aus, als hätten die Unternehmen tatsächlich Kurs gehalten und in ihren Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht nachgelassen.

Gut so! Denn gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten braucht es Weitsicht und gewissermaßen antizyklische Kraft, müssen neue Ideen gefördert, Wissen und Kompetenzen gestärkt werden. Denn das ist der Stoff, aus dem morgen erfolgreiche neue Produkte und Dienstleistungen gemacht werden. Die Krise hat gezeigt: Es lohnt sich, über den Tag hinaus zu denken. Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich bisher im Großen und Ganzen erstaunlich gut gehalten - weil die Betriebe die Spielräume klug genutzt haben, die ihnen durch Instrumente wie die Kurzarbeit geboten wurden.

Weil vielfach die Tarifpartner den Weg freigemacht haben für maßgeschneiderte Lösungen in den Unternehmen. Und schließlich, weil die Betriebe selbst mit ihren Belegschaften Freiräume ausgehandelt haben, mit flexiblen Arbeitszeitregelungen, mit Weiterbildungsangeboten. Vielerorts gilt heute die Devise: Ziehen wir uns warm an - und stemmen das gemeinsam. Ich bin mir bewusst, dass es für beide Seiten manchmal sehr hart ist; für Betriebe, die ums Überleben kämpfen, für Beschäftigte, bei denen auch ein geringer Lohnrückgang manchmal schmerzhafte Einschnitte im Alltag mit sich bringt.

Es geht aber um mehr als um das bloße Abwettern eines Sturms. Die Zeichen stehen auf Umbruch: Durch das Aufkommen neuer ökonomischer und politischer Mächte und der notwendigen Erkenntnis für alle, dass unsere Erde von biophysikalischen Grenzen bestimmt ist. Wir stehen vor einer großen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, ja wir sind schon mitten in diesem Prozess. Je besser wir den gestalten, desto mehr Wohlergehen können wir den Menschen ermöglichen.

Fragen für die Wirtschaft sind: Wie können Produkte und Wertschöpfungsketten auf Nachhaltigkeit und Effizienz ausgerichtet werden? Was wird in Zukunft gebraucht? Wo wird in der Wissenschaft Visionäres erdacht? Wie kann der Konsument veranlasst werden, den Konsum von ressourcenintensiven Gütern durch ressourcensparende Güter zu ersetzen?

Diese und andere Fragen müssen Sie sich als Unternehmensführer stellen. Und umgekehrt können Sie fragen: Was können Wissenschaft und Politik für die Transformation tun? Müssen wir über ein neues Zusammenwirken von Markt und Staat nachdenken, brauchen wir eine Diskussion über die Notwendigkeit einer strategischen Industriepolitik für unser Land? Ich bin überzeugter Marktwirtschaftler, aber ich meine doch, dass es an der Zeit ist, diese Fragen zum Thema zu machen - zum Beispiel, um Innovationen kraftvoll voranzubringen.

Setzen wir uns gemeinsam ehrgeizige Ziele, versuchen wir, die notwendige Transformation unserer Wirtschaft gemeinsam anzupacken. Im Übergang in eine ökologische soziale Marktwirtschaft hat unser Land viele gute Chancen. Sie zu nutzen, wird nicht nur uns, sondern auch anderen zugute kommen.

Entdecken wir den Eigennutz, der darin liegt, sich in den Dienst des globalen Gemeinwohls zu stellen. Eigennutz ist eine große und kraftvolle Triebfeder. Er motiviert Menschen zu Höchstleistungen, von denen viele profitieren können. Aber maß- und rücksichtslos durchgesetzt kann er auch großen Schaden für die Gemeinschaft anrichten. Auch das ist etwas, was wir in der aktuellen Krise bitter erfahren haben.

Deshalb stehen wir vor den Fragen: In welches Verhältnis wollen wir Eigennutz zu Gemeinwohlorientierung stellen; wie steht Gewinnstreben zu Wertordnung? Solche Fragen werden am "Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik" seit längerem diskutiert. Mit Professor Dr. Andreas Suchanek haben wir heute Abend einen ausgewiesenen Wirtschaftsethiker unter uns. Ich freue mich auf seinen Vortrag und unsere Diskussion nach Tisch.

Damit schließt sich der Kreis zu Ihnen, liebe Gäste. Mit Ihrem Engagement im und für den Stifterverband übernehmen Sie ein gutes Maß an Verantwortung für Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Dafür möchte ich Ihnen danken und Sie zugleich anspornen. Viele Menschen setzen auf Sie, überzeugen Sie sie! Und was die Vorsätze angeht, hier können wir Blaise Pascal folgen, dem die Maxime zugeschrieben wird: "Die guten Vorsätze sind alle schon da, wir brauchen sie nur noch anzuwenden".