Ansprache von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich eines Mittagessens, gegeben von den koreanischen Wirtschaftsverbänden, beim Staatsbesuch in der Republik Korea

Schwerpunktthema: Rede

Seoul, Korea, , 9. Februar 2010

Bundespräsident Köhler an einem Rednerpult, neben ihm steht die koreanische Flagge. Im Vordergrund sind Zuhörer zu erkennen.

In Deutschland erinnern sich die Menschen noch sehr gut an die beiden sportlichen Großereignisse in Korea, die Olympischen Spiele 1988 und die Fußball-Weltmeisterschaft 2002. Korea wird dieses Jahr wieder im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit stehen. Mit der Präsidentschaft der G-20 hat das Land eine große Verantwortung in turbulenten Zeiten übernommen. Es geht darum, neue Regeln für ein globales Miteinander zu finden. Dies beginnt bei der dringenden Neugestaltung der internationalen Finanzmarktordnung. Die Welt darf nicht noch einmal durch verantwortungsloses Handeln an den Finanzmärkten an den Rand des Abgrunds gebracht werden. Es geht aber weit darüber hinaus: Bei der globalen Armutsbekämpfung, der Klimapolitik und im Welthandel sind globale Regeln unerlässlich. Denn das Wohlergehen der Welt ist unteilbar.

Korea wird als G-20-Präsidentschaft seine ganz eigene Geschichte und unterschiedlichen Erfahrungen im Umgang mit der "Außenwelt" einbringen: Wie in China und Japan gab es im 19. Jahrhundert in Korea heftige Debatten darüber, wie man am besten mit dem Westen umgehen sollte. Das "Einsiedler Königreich" weigerte sich lange, Forderungen nach Öffnungen des Landes nachzugeben. Auf die gewaltsame Kolonialisierung durch Japan folgte die Teilung des Landes, das durch den bitteren Bürgerkrieg plötzlich ins Zentrum des Ost-West Konfliktes katapultiert wurde.

Der Schriftsteller und Germanist Yi Chongjun hat dieser wechselvollen Geschichte Koreas in seiner Kurzgeschichte "Die Narben" ein literarisches Denkmal gesetzt. Darin zeigt ein Großvater seinem Enkel mit Stolz und Wehmut seine vielen Narben von der Arbeit und dem Krieg. Er ist stolz auf seine Leistung, glücklich, überlebt zu haben. Aber er ist auch etwas wehmütig, dass die Narben langsam verschwinden, da sie ihn zu dem gemacht haben, was er ist. Der Enkel kann viel von seinem Großvater lernen - ebenso wie die Welt von Koreas Erfahrungen.

Zum Beispiel von der Freiheitsliebe eines Volkes, das seine bürgerlichen Rechte unter großen Opfern erkämpft hat. Korea zeigt, wie konfuzianische Traditionen und Menschenrechte miteinander verbunden werden können. Und es zeigt, dass auch asiatische Bürger darüber bestimmen wollen, wie und von wem sie regiert werden und welche Werte ihre Regierungen vertreten.

Dazu gehört auch eine phänomenale wirtschaftliche Entwicklung. Korea hatte 1950 ungefähr das gleiche Pro-Kopf-Einkommen wie viele afrikanische Länder. Heute ist es eines der reichsten Länder der Welt. Gerade in den heutigen entwicklungspolitischen Diskussionen lohnt sich ein genauerer Blick auf Korea: Die Offenheit für technologische Innovation und ein starker Fokus auf Bildung und Erziehung haben sicherlich eine wichtige Rolle bei der Entwicklung vom Agrarland zum Hochtechnologie-Standort gespielt. Ebenso bemerkenswert ist aber auch die staatliche Planung, die sich um das nötige Kapital zum Aufbau des Landes bemüht hat. Für die Planer war dabei klar, dass die Finanzwirtschaft der Realwirtschaft dienen sollte und nicht umgekehrt. Eine einfache Erkenntnis, deren Bedeutung gerade angesichts der Finanzkrise nicht oft genug betont werden kann.

Zu all dem kamen Fleiß und Leistungsbereitschaft der Menschen. Wir Deutschen konnten uns persönlich schon früh davon überzeugen. Die Bergarbeiter und Krankenschwestern, die seit den 60er Jahren aus Korea zu uns kamen, haben mit ihrem enormen Einsatz einen wichtigen Beitrag zum deutschen Wiederaufbau geleistet. Wir werden dies in Deutschland nicht vergessen. Gleichzeitig hat ihre Arbeit Kapital nach Korea gebracht und damit zur Entwicklung des Landes beigetragen. Ein Gewinn für unsere beiden Länder.

Heute ist Korea selber Zielland für Arbeitsmigration. Wer, wie Korea, dieses Phänomen von beiden Seiten kennt, kann seine Erfahrungen mit hoher Glaubwürdigkeit in die internationalen Diskussionen einbringen. Die Welt ist gut beraten, auch die Vorteile von Migration zu erkennen und vernünftige Regeln für sie zu vereinbaren.

Korea kann in den globalen Debatten zur Armutsbekämpfung mit mehr Nachruck auftreten: Nachdem das Land selbst viel internationale Solidarität erfahren hat, hat es mit seiner erreichten Stärke nun selber Gelegenheit, mehr Solidarität mit anderen zu üben. Wenn Korea den Weg in das "Development Assistance Committee" der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, findet, setzt dies weltweit zwei wichtige Zeichen: Erstens, es ist möglich, aus einem armen und zerstörten Land innerhalb von knapp zwei Generationen in den Kreis der reichsten Volkswirtschaften der Welt vorzudringen. Und zweitens: Korea beteiligt sich an den internationalen Abstimmungen, die zu mehr Transparenz und Effizienz führen sollen und erteilt damit denen eine Absage, die Entwicklungszusammenarbeit ausschließlich als verlängerten Arm der jeweils eigenen Wirtschaftsinteressen sehen.

In einer sich immer stärker vernetzenden Welt müssen wir uns alle darauf einstellen, viel enger miteinander zusammenzuarbeiten als bisher. Im Gegensatz zu einzelnen Wirtschaftsunternehmen, die durchaus im scharfen Wettbewerb miteinander stehen, können die Nationen der Welt ihre Probleme nur gemeinsam lösen.

Dies gilt in besonderer Weise für die zweite große Herausforderung der Menschheit: den Klimawandel. Auch in Korea selber ist in den letzten Jahren die Durchschnittstemperatur gestiegen. Die möglichen Folgen eines ungebremsten Klimawandels sind bekannt.

Die Enttäuschung von Kopenhagen sollte Ansporn sein, nicht nachzulassen und neue Wege im Klimaschutz zu gehen. Dies betrifft die großen Schwellenländer, die zwar niedrige Pro-Kopf-Emissionen, aber hohe Gesamtemissionen an Treibhausgasen aufweisen. Dies betrifft ebenso die reichen Industrieländer - allen voran die USA und die Europäische Union -, die ihre globale Verantwortung annehmen müssen. Meines Erachtens gehört Korea aufgrund seiner wirtschaftlichen Erfolge auch zu dieser Gruppe, selbst wenn es im Kyoto-Protokoll derzeit gemeinsam mit anderen Entwicklungsländern aufgeführt wird.

Ebenso wie die deutsche Industrie letztlich einen Wettbewerbsvorteil durch klare Rahmenbedingungen hat, die energieeffizientes Handeln belohnen, wird sich ein klares Reduktionsziel auch für Korea auszahlen. Daher bin ich zuversichtlich, dass unsere beiden Länder in der Frage des Klimaschutzes eine wichtige Rolle spielen werden. Diese Zuversicht speist sich auch aus meinem Besuch der größten Industriemesse der Welt, der Hannover-Messe, im letzten Jahr. Die beteiligten Firmen zeigten deutlich das außerordentliche Wachstumspotential der Umweltindustrie. Viele der Firmen kamen aus Korea - dem offiziellen Partnerland 2009.

In Deutschland tragen viele Unternehmer mit ihren Investitionen im Umweltbereich zur wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit des Landes bei. Heute sind deutsche Unternehmen bei erneuerbaren Energien führend. Ich bin sicher, dass deutsche und koreanische Firmen mit ihrem technologischen Wissen und langfristig ausgelegten Strategien große Möglichkeiten zur Zusammenarbeit haben. Daher freue ich mich auch darauf, heute Nachmittag ein solches Beispiel deutsch-koreanischer Kooperation zu besuchen und mehr über das geplante Pilotprojekt eines Meeresströmungskraftwerks zu erfahren.

Bessere Ressourceneffizienz und erneuerbare Energien sind Bausteine einer dringend notwendigen neuen industriellen Revolution. Staatliche Regelungen, sei es auf nationaler oder internationaler Ebene, spielen dabei eine wichtige Rolle. Ich finde es eindrucksvoll, dass die Regierung hier mit ihrer Strategie "Low Carbon, Green Growth" auf ökologisches Wachstum umsteuern will. Zur Bedeutung unternehmerischen Handelns bei der Verwirklichung dieser Ziele brauche ich hier vor Ihnen, keine langen Ausführungen zu machen. Aber zum erfolgreichen Umsteuern ist es ebenfalls erforderlich, die Bürger zu überzeugen und zu beteiligen. Es bedeutet auch, viele Konsumgewohnheiten einer Industriegesellschaft auf den Prüfstand zu stellen.

Korea ist immer noch eine geteilte Nation. Uns Deutschen sind die Leiden, Sorgen und Gefahren dieser Lage aus eigener Erfahrung sehr bewusst. Koreanische Wissenschaftler haben die deutsche Wiedervereinigung genau analysiert. Viele von ihnen haben Sorge vor den damit verbundenen hohen finanziellen Belastungen. Das ist verständlich. Aber die Kosten sollten nicht von anderen, entscheidenden Punkten ablenken: Durch die Wiedervereinigung Deutschlands konnten 17 Millionen Menschen nach Jahrzehnten der Diktatur endlich in einem wohlgegründeten demokratischen Rechtsstaat leben. Mit dem Ende der Teilung Europas in zwei feindliche Blöcke ist die Gefahr, dass aus dem Kalten Krieg ein heißer wird, gebannt. Dass wir Deutschen heute in Frieden und Freiheit im Herzen Europas leben, ist unbezahlbar.

Niemand kann vorhersagen, wie eine koreanische Wiedervereinigung aussehen wird. Aber unsere deutsche Erfahrung hat gezeigt, dass sich die Ereignisse manchmal überschlagen können. Wir Deutsche freuen uns über 20 Jahre Wiedervereinigung. Das menschliche Leid einer Teilung, die viele Familien auseinanderriss, ist bei uns nicht vergessen. Ich hoffe daher von ganzem Herzen, dass auch Korea seine nationale Teilung bald friedlich überwinden kann. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.