Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler zur Eröffnung des 2. Ökumenischen Kirchentags

Schwerpunktthema: Rede

München, , 12. Mai 2010

Bundespräsident Horst Köhler am Rednerpult

Dieser Ökumenische Kirchentag kommt zur rechten Zeit. In den letzten Jahren hatte man den Eindruck, der ökumenische Schwung hätte nachgelassen. Deswegen haben sich viele - auch ich - auf diesen Kirchentag gefreut, ja, ihn geradezu herbeigesehnt. Wir sind davon überzeugt: Nur in ökumenischer Gesinnung, nur in Zusammenarbeit und nur in einem sichtbaren und wahrhaftigen Miteinander können die Christen heutzutage der Welt ein Zeugnis ihres Glaubens geben.

Darum hoffe ich und darum wünsche ich mir, dass auf diesem Kirchentag deutlicher wird, wie viel schon erreicht worden ist, wie weit die Einheit schon gediehen ist, - und dass die Sehnsucht wieder stärker wird nach weiteren Fortschritten im ökumenischen Prozess.

Auch aus einem anderen Grund kommt der Kirchentag zur rechten Zeit. Viele dunkle Wolken haben sich in den vergangenen Monaten über der Kirche zusammengezogen. Führungsversagen, Missbrauch, Misshandlung - all das hat zu einer schweren Krise geführt. Viele haben der Kirche den Rücken gekehrt, viele klagen sie an, verspotten sie.

Viele Gläubige schämen sich, viel Vertrauen ist verloren gegangen.

Die vergangenen Untaten sind nicht ungeschehen zu machen. Jetzt kommt alles darauf an, wie wir damit umgehen. Aufklärung und Zuwendung zu den Opfern sind das Gebot der Stunde. Aber auch der Blick nach vorn, der Wille zur Selbsterforschung und zur Umkehr.

Wenn Christen zusammenkommen, ob im Gottesdienst oder auf dem Kirchentag, dann bekennen sie voreinander und vor Gott ihre Schuld, dann bitten sie um die Kraft zur Erneuerung und Umkehr, dann bitten sie um Gottes Gnade. Das ist heute wichtiger denn je.

Nur so werden Glaubwürdigkeit und Vertrauen wiedergewonnen. Und nur mit wiedergewonnener Glaubwürdigkeit und wiedergewonnenem Vertrauen werden die Botschaft des Glaubens und das Zeugnis der Kirche bei den Menschen Gehör finden.

Wir dürfen aber heute uns selbst und die, die von außen auf die Kirchen schauen, auch daran erinnern, wie viel Gutes wir durch die Gemeinschaft und durch den Glauben erlebt haben - und wie viel Gutes durch gläubige Menschen getan wird.

Ich erinnere an die vielen guten Seelsorgerinnen und Seelsorger und an die Religionslehrer, die die Menschen begleiten, die ihnen Trost und Hilfe geben, den Glauben bezeugen und erklären. Ich erinnere an die vielen Ehrenamtlichen, die in den Pfarreien und Gemeinden engagiert für ein lebendiges Gemeindeleben, für gute Gottesdienste, für tätige Nächstenliebe in Diakonie und Caritas sorgen.

Ich erinnere an die Jugendleiterinnen und Jugendleiter, ob nun bei den Pfadfindern, im CVJM, beim BdKJ oder bei den Messdienern, die Kinder und junge Menschen für den Glauben begeistern, die ihnen den Wert von Gemeinschaft und Solidarität vermitteln, die sich nicht beirren lassen durch einen Zeitgeist des Egoismus, sondern die für die Jüngeren Vorbilder sind für Dienst am Nächsten und Selbstlosigkeit.

Wir dürfen heute uns selbst und alle, die uns zuhören, daran erinnern, wie viel an gelebter Barmherzigkeit, an tatkräftiger Solidarität, an Dienst am anderen durch gläubige Menschen in dieser Gesellschaft lebendig ist. Das braucht unsere Gesellschaft. Das hat Dank und Anerkennung verdient.

Wir dürfen schließlich auch daran erinnern, dass das Wort Ökumene ursprünglich den ganzen Erdkreis meint. Die Kirchen haben viel früher als andere ihre Verantwortung für die Eine Welt entdeckt, auf der es gerecht zugehen soll. Werke wie Adveniat, Misereor oder "Brot für die Welt" sind unübersehbare Zeichen der Hilfsbereitschaft und Großherzigkeit der Christen in Deutschland.

Gebet und Nächstenliebe gehören zusammen, oder, wie Bruder Roger von Taizé, dieser Pionier der Ökumene, es ausgedrückt hat: "Kampf und Kontemplation". Wenn beides durch diesen Kirchentag gestärkt wird, dann geht sein Motto in Erfüllung: "Damit ihr Hoffnung habt".