Interview mit der Tageszeitung "Norddeutsche Neueste Nachrichten"

Schwerpunktthema: Interview

8. August 2012

Bundespräsident Joachim Gauck hat den "Norddeutschen Neuesten Nachrichten" vor seinem Besuch in der Hansestadt Rostock ein Interview gegeben.

Bundespräsident Joachim Gauck in der St.-Marien-Kirche


Herr Präsident, die Rostocker Bürgerschaft hat beschlossen, Sie zum Ehrenbürger der Hansestadt zu ernennen. Welche Gedanken verbinden Sie mit dieser Würdigung?

Ehrenbürger meiner Heimatstadt zu werden ist für mich ein bewegender Moment. Vieles zieht in den Gedanken noch einmal vorbei, die Arbeit in der Kirchgemeinde in Elvershagen, die Friedliche Revolution, die Kirchentage 1983 und 1988, die Predigten in der Marienkirche. Ich denke, dass ich diese Ehrung auch stellvertretend für so viele Rostockerinnen und Rostocker bekomme, die 1989 aktiv waren in Rostock.

Rostock ist über viele Jahre, auch in der ehemaligen DDR, immer wieder Bezugspunkt für Sie gewesen. Was verbinden Sie mit dieser Stadt?

Rostock ist meine Heimatstadt, hier bin ich geboren, hier bin ich seit dem Kriegsende aufgewachsen, hier lebt ein Teil meiner Familie, hier leben Freunde. An der Universität habe ich mit mäßigem Eifer studiert und später, 1999, die Ehrendoktorwürde verliehen bekommen. Rostock war im Herbst 1989 vielleicht nicht die erste Stadt in der die Menschen aufstanden. Aber dann hat auch der Mut der Rostocker dazu beigetragen, die SED-Diktatur zu beenden. Seitdem ist in Rostock viel passiert, die Stadt erstrahlt in einem neuen Glanz, vergisst darüber aber auch die Probleme der Menschen hier nicht.

Die Hansa Sail 2012 zu eröffnet ist deshalb für Sie mehr als nur ein „normaler Termin“?

Was ist schon ein normaler Termin. Die Hanse Sail war mir ein persönliches Anliegen. Die große Ausfahrt der Schiffe und Boote kündet von soviel Optimismus, dass es mich jedes Mal neu beeindruckt. Außerdem bin ich der Sohn eines Kapitäns, der viele Jahre Lotse im Rostocker Hafen war. Wenn ich recht informiert bin, habe ich als erster Bundespräsident die Ehre, die Hanse Sail zu eröffnen. Und das soll ein normaler Termin sein?! Nein, das ist auch für mich eine besondere Sache.

Gibt es Lieblingsplätze in der Hansestadt, an denen Sie bei einem Besuch auf jeden Fall Station machen?

Die Gegend um St. Nikolai und St. Petri in der Altstadt, der Klosterhof, Brinckmannsdorf, wo ich aufwuchs. Es gäb´ einige weitere, aber der Zeitplan ist meist viel zu eng geschnitten für Abstecher. Aber einen Platz besuche ich in jedem Fall noch im August, nämlich das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen. Das Erinnern an die furchtbaren Angriffe auf die ehemalige Asylbewerberunterkunft ist mir sehr wichtig und ich will dort ein Zeichen setzen für ein friedliches Miteinander in unserer Gesellschaft. Im Angesicht der Untaten dieser NSU-Verbrecher ist es wichtig, dass aus der Mitte unserer Gesellschaft ein klares Signal gesetzt wird: Wir lassen euch nicht gewähren. Der Besuch in Rostock-Lichtenhagen ist mir ein wichtiges Anliegen.

Wie intensiv und auf welche Art ist Ihnen der Stolz der Rostocker begegnet, dass ein Mann aus ihrer Stadt zum Bundespräsidenten gewählt wurde?

Viele Menschen sprechen mich an wenn sie mich sehen und ich bekomme viele Briefe von Menschen aus der Region, die mir schreiben, wie sie meine Arbeit einschätzen. Manche schreiben über ihr Leben, über ihre Vergangenheit. Das sind mitunter sehr bewegende Schreiben.

Haben Sie auch gegenteilige Reaktionen erfahren, weil Ihre Positionen im Umgang mit der DDR-Vergangenheit bisweilen auf Ablehnung stoßen?

Dass es neben Zustimmung auch Ablehnung für diesen Bundespräsidenten gibt – auch aus den von Ihnen erwähnten Gründen – halte ich für vollkommen normal. Zum Glück haben wir heute die Freiheit, auch ablehnende Haltungen offen zu zeigen, ohne dafür ins Gefängnis zu kommen oder jahrelange Benachteiligungen in Beruf und Ausbildung zu erfahren. Das war auch in Rostock nicht immer so und das wollen wir nie vergessen.

Sie sind als Mann von klaren Zielen bekannt. Was möchten Sie im Verlauf Ihres Wirkens als Bundespräsident auf jeden Fall erreicht haben?

Ich hatte es ja in meiner Rede zur Vereidigung schon gesagt: ich möchte die Menschen ermutigen, ihre Kraft und ihre Ideen für unser Land, für unsere Bürgergesellschaft und für die europäische Idee einzubringen. Ob wir alles erreichen, was wir wollen, kann niemand garantieren. Aber wir sollten uns alle – in unseren unterschiedlichen Funktionen und mit unseren unterschiedlichen Möglichkeiten – etwa indem wir uns regelmäßig an den Wahlen beteiligen - einmischen, denn es ist unser Land.