Interview mit der Tageszeitung Westfalenpost

Schwerpunktthema: Interview

11. März 2015

Bundespräsident Joachim Gauck in Schloss Bellevue (Archiv)

Deutschland wird immer älter. Die Kosten für die Jungen steigen, die Älteren sollen länger arbeiten. Ist der Generationenvertrag in Gefahr?

Die Sorge um den Generationenvertrag ist wahrscheinlich so alt wie der Generationenvertrag selbst. Zunächst: Darüber, dass wir alle länger leben als noch vor zwei oder drei Jahrzehnten, dürfen wir uns auch freuen, statt nur die Probleme zu sehen. Entscheidend ist doch, wie wir mit dem Alter und den gewonnenen Jahren umgehen. Eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen immer länger und auch immer gesünder leben, muss ihre Perspektive ändern. Sie sollte sich erst recht um die Anliegen der Jüngeren kümmern, etwa: Gute Bildung. Aus meinen Gesprächen mit unterschiedlichen Experten habe ich auch die Überzeugung gewonnen, dass wir für diesen Perspektivenwechsel nicht mehr viel Zeit haben, sondern jetzt konkrete Schritte gehen müssen. Ich bin überzeugt: Wenn wir klug handeln, dann wird am Ende nicht weniger, sondern mehr Lebensqualität für alle Lebensalter möglich sein.

Die Basis der generationenübergreifenden Projekte in Arnsberg ist bürgerschaftliches Engagement. Ist der Staat mit dieser Aufgabe überfordert?

Nein, unser demokratischer und sozialer Rechtsstaat erfüllt seine Aufgaben recht gut. Aber es entspricht der Idee einer freien, demokratischen Gesellschaft, wenn Bürgerinnen und Bürger dort, wo es möglich ist, ihre Belange selbst in die Hand nehmen, eigene Ideen entwickeln und diese umsetzen. Sei es in spontaner Selbsthilfe, in Vereinen oder auch in Stiftungen. Arnsberg mit seinem Dialog der Generationen, der Nachbarschaftshilfe, den kommunalen Netzwerken und vielen Einzelprojekten scheint mir hierfür ein gutes Beispiel zu sein. Allerdings kann bürgerschaftliches Engagement den Beitrag des Staates auch nicht ersetzen. Der Staat setzt gesetzliche Rahmenbedingungen, die für alle gleichermaßen gelten. Er organisiert die Daseinsvorsorge – etwa in der Rentenversicherung. Er kümmert sich um gute Bildung und investiert erhebliche Mittel dafür. Er definiert Regeln für die Arbeitswelt. Sie sehen: Es bleibt für beide Seiten genug zu tun, für den demokratisch verfassten Staat genauso wie für eine lebendige Bürgergesellschaft.

Wie können solche Projekte bundesweit mehr Wirkung erzielen, vor allem in Kommunen, die sich das nicht leisten können?

Die Frage, was ich mir leisten kann, hängt immer auch davon ab, welche Prioritäten ich setze. Arnsberg hat seine Priorität auf die Gestaltung des demographischen Wandels gesetzt und dabei bürgerschaftliches Engagement mit einbezogen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich Kommunen wie Arnsberg besuche. Ich komme hierher, weil ich selbst etwas lernen will, weil ich die guten Ideen und positiven Beispiele noch bekannter machen möchte und auch weil ich allen Engagierten Danke sagen will.

Senioren sehen ihr Leben heute ganz anders als noch vor 30 Jahren. Müssen wir unser Bild vom Alt sein neu definieren?

Ich denke schon. Die Vorstellung vom Alter und vom Altern entspricht zumeist nicht mehr der Realität. Die Menschen leben in der Regel länger, und die meisten bleiben auch länger gesund und aktiv. Wenn wir heute auf das Alter schauen, sollten wir unseren Blick daher viel mehr auf die gewachsenen Möglichkeiten eines aktiven Lebens richten.

Sind Sie eigentlich alt?

Meine Urenkel würden ziemlich sicher sagen: Ja! Aus meinen Gesprächen mit Wissenschaftlern habe ich aber gelernt, dass wir während unseres gesamten Lebens Einfluss darauf haben, wie wir altern; das gilt insbesondere auch für unser geistig-seelisches Alter. Ich habe ein Amt, das mich fordert und erfüllt, ich gehe neugierig durch die Welt und ich kann mich immer noch begeistern. Ob mich das eher jung oder alt macht, das müssen andere entscheiden.