Interview mit der koreanischen Tageszeitung JoongAng Ilbo

Schwerpunktthema: Interview

12. Oktober 2015

Bundespräsident Joachim Gauck hat der koreanischen Tageszeitung JoongAng Ilbo anlässlich des Staatsbesuchs in der Republik Korea ein Interview gegeben, das am 12. Oktober erschienen ist. Darin heißt es: "Einen vertieften Austausch halten wir für die bessere Option als eine sich durch Sprachlosigkeit verfestigende Konfrontation und würden uns eine verstärkte Bereitschaft Nordkoreas zu einem solchen Dialog wünschen."

Bundespräsident Joachim Gauck in Schloss Bellevue (Archiv)

Bundespräsident Joachim Gauck hat der koreanischen Tageszeitung JoongAng Ilbo anlässlich des Staatsbesuchs in der Republik Korea ein schriftliches Interview gegeben, das am 12. Oktober erschienen ist.

Was ist der Zweck Ihres Staatsbesuchs in Südkorea? Welche Erwartungen haben Sie?

Mit meinem Besuch möchte ich in erster Linie die hervorragenden Beziehungen zwischen Deutschland und Südkorea würdigen – und auch stärken. Präsidentin Park war im vergangenen Jahr in Deutschland. An diesen Besuch erinnere ich mich gerne, und sehr gern habe ich auch ihre herzliche Einladung angenommen. Dass ich während meines Besuchs eine Rede vor der koreanischen Nationalversammlung halte, ist für mich eine ganz besondere Ehre.

Unsere Länder verbindet viel, unsere vielfältige Zusammenarbeit – vor allem in Wirtschaft, Forschung, Bildung und Wissenschaft – ist hochinnovativ und zukunftsorientiert. Dabei haben wir durchaus verschiedene Konzepte für weitere Entwicklungen, zum Beispiel im Bildungsbereich. Unsere Partnerschaft wollen wir weiter stärken. Und wir sollten den für beide Seiten wichtigen Informationsaustausch weiter intensivieren.

Das ähnliche Schicksal unserer Staaten gibt meinem Besuch im 25. Jahr der deutschen Wiedervereinigung und im 70. Jahr der Teilung Koreas aber auch eine symbolische Bedeutung. Ich selbst stamme aus Ostdeutschland, aus der DDR – dem Teil unseres Landes, der bis 1989 kommunistisch regiert, also nicht frei und nicht demokratisch war. Ich war vor 1989 in der DDR-Bürgerrechtsbewegung aktiv und nach der Wiedervereinigung Deutschlands für die Aufarbeitung der Akten der Staatssicherheit, dem Geheimdienst des DDR-Regimes, verantwortlich. Insofern sind der Besuch in Ihrem Land, mein Aufenthalt an der innerkoreanischen Grenze, die Begegnungen und Gespräche mit politisch Verantwortlichen, mit Vertretern der Zivilgesellschaft und Flüchtlingen aus Nordkorea etwas Besonderes, auch für mich persönlich. Und natürlich freue ich mich auf meine erste Reise in ein Land mit einer so reichen und vielfältigen Kultur und Tradition wie sie Korea hat.

Es gibt immer wieder Berichte von einem wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewicht zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland. Mir selbst haben junge Ostdeutsche berichtet, sie seien gegenüber ihren westdeutschen Altersgenossen benachteiligt. Wie bewerten Sie die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen seit 1990? Ist Deutschland wirklich wiedervereint?

Natürlich gibt es nach wie vor wirtschaftliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, aber die Erfolge des Wandels sind doch mittlerweile weithin sichtbar und spürbar: Die Infrastruktur im Osten ist gut, die Innenstädte sind saniert und die Umweltqualität hat sich seit der Einheit durchgreifend verbessert. Vergleichen wir die Wirtschaftskraft von Ost- und Westdeutschland haben sich die entscheidenden Faktoren – Wirtschaftsleistung, Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Löhne – im Osten denen im Westen ein gutes Stück angenähert. Es gibt auch in Ostdeutschland international erfolgreiche Mittelständler. Einige von ihnen werden mich nach Korea begleiten. Die Menschen im Osten Deutschlands nutzen die Chancen, die sich ihnen eröffnen. Das veranlasst mich zu sagen, die Einheit Deutschlands ist auch wirtschaftlich und auch sozial gut vorangekommen.

Der Wegzug der Jungen, unter dem manche ländliche Gegenden sehr gelitten haben und immer noch leiden, bleibt allerdings für die Dagebliebenen und für die Politik weiter eine Herausforderung: politisch, sozial und gesellschaftlich.

Welchen Anteil hatte die deutsche Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr für die spätere Wiedervereinigung Deutschlands? Wie bewerten Sie persönlich die Ostpolitik?

Wandel durch Annäherung – das war der Leitspruch der neuen Ostpolitik, die ab Mitte der 1960er Jahr, also schon kurz nach dem Bau der Berliner Mauer, von Willy Brandt und anderen erdacht und vorangetrieben wurde. Damals war das eine hochinnovative Idee, die zum Ziel hatte, die schreckliche Grenze durchlässiger zu machen. Etwa mit einem Passierscheinabkommen wurden deutsch-deutsche Austauschmöglichkeiten geschaffen. So konnten zum Beispiel Verwandte miteinander in Kontakt bleiben – und letztlich auch beide Teile des Landes. Willy Brandt hat als Bundeskanzler für diese Politik und für die Versöhnung mit den Nachbarn im Osten den Friedensnobelpreis bekommen. Seine Politik war zunächst hoch umstritten, aber alle späteren Bundesregierungen haben die Linie, die er als Bundeskanzler vorgegeben hat, weitergeführt und weiterentwickelt. So gab es trotz jahrzehntelanger Teilung immer auch enge menschliche Kontakte zwischen Ost und West. Deutschland blieb, trotz der Teilung, immer eine Nation. Das war – übrigens gemeinsam mit dem beherzten Wirken des späteren Bundeskanzlers Helmut Kohl – eine der Bedingungen dafür, dass die Wiedervereinigung später in Frieden und Freiheit gelang.

Die Koreanische Regierung erhofft sich Ihren Rat zur Nordpolitik Koreas. Welchen Rat werden Sie ihr auf Grundlage der Erfahrungen Deutschlands mit Teilung und Wiedervereinigung geben?

Vor allem möchte ich die Koreaner ermutigen, die Hoffnung nie aufzugeben. Auch die Koreaner im Norden haben ein Recht auf ein Leben in Freiheit und Menschenwürde. Einen konkreten Rat zu geben ist aber schwierig. Die Ausgangslage im geteilten Deutschland vor 1989 und im heute noch geteilten Korea ist sehr unterschiedlich – historisch, politisch, wirtschaftlich, sozial und gesellschaftlich. Beispielsweise gab es über all die Jahre der Trennung intensive Kontakte zwischen Verwandten und Freunden oder auch Kirchengemeinden von West nach Ost. Unsere deutschen Erfahrungen lassen sich insofern nur bedingt auf Ihr Land übertragen.

Und letztlich waren die Deutschen in Ost und in West selbst vom Fall der Mauer überrascht. Entscheidend für die erfolgreiche Wiedervereinigung war aber sicherlich, dass die Menschen in der DDR selbst ihre Freiheit erringen wollten, sehr viele Menschen dazu den Mut aufbrachten und aufgrund der günstigen Gesamtumstände erfolgreich damit sein konnten.

Eine besondere Motivation und die Grundlage für ihren Mut und auch für den Wunsch nach Freiheit und Demokratie war die Attraktivität der lebendigen und erfolgreichen Demokratie im Westen Deutschlands. Es waren auch die langjährigen konsequenten und geduldigen Anstrengungen der Bundesregierung, Türen zu öffnen, die zu unserer erfolgreichen Wiedervereinigung beigetragen haben. Es ist zudem der bleibende historische Verdienst der damaligen Regierungen in Ost und West sowie der europäischen Partner, der USA und der damaligen Sowjetunion, dass sie das immer drängender formulierte Empfinden der Menschen Wir sind ein Volk in kürzester Zeit in Sachpolitik, Verträge und rechtsstaatliche und demokratisch legitimierte Bahnen gelenkt haben.

Anders als während der deutsch-deutschen Teilung und während der Wiedervereinigung gibt es kein Land, das entscheidenden Einfluss nimmt auf die Korea-Frage – weder die USA, noch China, noch Russland. Ihr Einfluss und ihr Engagement werden aber für eine Lösung benötigt. Wie sollten aus Ihrer Sicht diese Länder und ihre unterschiedlichen Interessen einbezogen werden?

Die heutige Situation auf der Koreanischen Halbinsel ist mit der deutsch-deutschen Teilung wie gesagt nur schwer vergleichbar, auch in ihrer außenpolitischen Dimension. Wir haben eben über die Ostpolitik gesprochen, sie und der KSZE-Prozess haben den Boden für den späteren friedlichen Wandel bereitet. Damit wurden durch Vertrauensbildung und Dialog schon seit den 1970er Jahren die Grundlagen für die spätere Wiedervereinigung gelegt. Die entscheidende Dynamik für die Widervereinigung Deutschlands musste jedoch von den beiden deutschen Staaten selbst ausgehen. Bei einigen am sogenannten Zwei-Plus-Vier-Prozess beteiligten Partnern und Nachbarn Deutschlands war die Skepsis gegenüber der deutschen Wiedervereinigung groß. Es war daher nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine sehr schwierige Aufgabe, die außenpolitischen Rahmenbedingungen der deutschen Wiedervereinigung zu schaffen. Deutschland ist aber zum Austausch von Erfahrungen mit Korea auch in diesen Fragen sehr gern bereit. Während meines Besuchs tagt übrigens ein von unseren Außenministern angeregtes Beratergremium zu außenpolitischen Aspekten der Wiedervereinigung, mit dem ich zusammentreffen werde.

Für den Frieden auf der Koreanischen Halbinsel und eine mögliche Wiedervereinigung ist es von großer Bedeutung, Nordkorea und die internationale Gemeinschaft an einen Tisch zu bringen. Welche Rolle könnten die EU und vor allem auch Deutschland in diesem Prozess einnehmen?

Wichtig sind hier zunächst vor allem die internationalen Gesprächsmechanismen, zum Beispiel die Sechs-Parteien-Gespräche. Gegenüber allen Teilnehmern haben wir uns immer aktiv für eine Fortführung eingesetzt. Sowohl die EU, als auch Deutschland führen derzeit einen kritischen Dialog mit Nordkorea. Dabei machen wir uns keine Illusionen, auch nicht in der Nuklearfrage. Wir denken dennoch, dass Dialog auf verschiedenen Ebenen helfen kann, schrittweise Kommunikationskanäle zu öffnen und grundlegendes Vertrauen zu schaffen. Dabei kann Deutschland weiterhin eine konstruktive Rolle spielen. Dies hat sich vor allem seit der Zeit unserer Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Nordkorea im Jahr 2001 deutlich gezeigt. Einen vertieften Austausch halten wir für die bessere Option als eine sich durch Sprachlosigkeit verfestigende Konfrontation und würden uns eine verstärkte Bereitschaft Nordkoreas zu einem solchen Dialog wünschen.

Die Fragen stellte: Younghie Kim