Interview mit der Tageszeitung Sächsische Zeitung

Schwerpunktthema: Interview

Schloss Bellevue, , 12. Dezember 2015

Der Bundespräsident hat der Sächsischen Zeitung ein Interview gegeben, das am 12. Dezember erschienen ist. Darin sagte er: "Auch liberale Journalistinnen, weltoffene Studienräte oder sozial engagierte Krankenschwestern fragen sich, ob und wie wir diese Herausforderung bewältigen. Und da kann ich nur sagen: Ja, raus mit der Sprache! Benennt, was euch bedrückt, überlasst das Sorgenpotenzial nicht dem rechten Rand."

Bundespräsident Joachim Gauck gibt der Sächsischen Zeitung ein Interview im Amtszimmer

Bundespräsident Joachim Gauck hat der Sächsischen Zeitung ein Interview gegeben, das am 12. Dezember erschienen ist.

Herr Bundespräsident, was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie in diesen Tagen an Dresden denken?

Böse Frage!

Überhaupt nicht!

Also, dann sage ich: Eine schöne Stadt mit wunderbaren Menschen und jetzt, in der Weihnachtszeit auch: Christstollen! Ich muss dabei aber eine weitere Antwort unterdrücken…

Wir vermuten mal, die andere Antwort hätte Pegida heißen können.

Sie sind sehr gut im Vermuten.

1989, während der friedlichen Revolution in der DDR waren Sie ein wichtiger Akteur. Was empfinden Sie, wenn auf den Pegida-Demos nun wieder Wir sind das Volk! gerufen wird?

Das ist schwer in präsidiale Worte zu fassen. Wenn ich es versuche, muss ich zwei Mal tief durchatmen. Der Satz hat seit langem eine Prägung: Unterdrückte Menschen haben sich damals gegenüber ihren Unterdrückern mit diesem Ruf neu definiert: Wir sind Bürger, und wir sind das Zentrum der Gesellschaft. Es ist ein emanzipatorischer Anspruch, der mit diesem Satz daherkommt.

...eine Unabhängigkeitserklärung...

Hier waren Menschen, die irgendwann einen gesellschaftlichen Anspruch – auf Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat – eingefordert haben. Wir sind das Volk ist damit ein ganz wesentlicher Satz der deutschen Politik- und Freiheitsgeschichte geworden. Jetzt schauen Sie, etwa montags in Dresden, wer sich diese Aussage zu eigen macht und vergleichen die Situationen – 1989 und heute – dann haben Sie eine Antwort auf die Frage, was mir durch den Kopf geht, wenn der Satz bei den Kundgebungen fällt.

Sind Sie ärgerlich oder wütend?

Ich bin ärgerlich, manchmal auch wütend. Mit diesem Satz werden noch in hundert Jahren Schüler in Deutschland über ihre Demokratiegeschichte unterrichtet werden. Dass seit einiger Zeit auch Menschen Wir sind das Volk skandieren, die fremdenfeindlich sind, das vereinte Europa ablehnen, mit dem Rechtsstaat hadern, die Demokratie verachten, empfinde ich als eine Art Missbrauch. Und deswegen ist da in mir nicht nur präsidiale Gelassenheit.

Wie viel DDR steckt in Pegida?

So Einiges – und das sage ich nicht mit Häme oder Zynismus, sondern mit einer großen Traurigkeit. Ich habe früher nicht geahnt, dass die Diktatur so lange Schatten wirft- und zwar auch auf die Seelen der Menschen. Es gibt bei vielen Ostdeutschen eine nachwirkende Prägung aus Zeiten der Diktatur. Wir Älteren sind nicht dazu erzogen worden, eigenständige und eigenverantwortliche Bürger zu sein.

Und das bedeutet?

Wenn man von Kindesbeinen an nicht gelernt hat, seine Meinung zu sagen, einen Klassensprecher zu wählen statt eines FDJ-Sekretärs, eine Schülerzeitung zu machen, statt einer Wandzeitung; wenn man als Lehrling in einen Betrieb kommt, in dem es keinen Betriebsrat gibt, keine echte Gewerkschaft, sondern eine Agentur der Staatsmacht; wenn man keine vielfältige Medienlandschaft hat – wenn man all diese entmächtigenden Erfahrungen macht, dann lernt man: Ich bin kein Bürger, ich lebe in dem Gefühl, nur ein Objekt des Herrschaftswillens derer zu sein, die über mir sind.

Wollen sich die Dresdner Demonstranten nicht gerade gegen einen Herrschaftswillen auflehnen?

In vielen Demonstranten spiegeln sich der Frust und die Unzufriedenheit derer wider, die sich als Beherrschte fühlen. Diese Gefühle kommen von ganz früher und sie richten sich jetzt gegen etwas, das sie als eine neue Art von Herrschaft empfinden. Nur: Diese neue Art von Herrschaft, die Demokratie nämlich, haben die Menschen, zum Teil ja auch die Demonstranten mitgestaltet. Sie haben sie mitgewählt oder sie haben es unterlassen, sie zu wählen, gar überhaupt zu wählen. Sie machen sich aber nicht klar, dass es keine Verurteilung zur Ohnmacht gibt und dass Enthaltung auch Folgen hat.

Das heißt: Nicht grölen, sondern gestalten!

Man kann doch – und das ist nur eine Möglichkeit unter ganz vielen, eine Möglichkeit übrigens, die an vielen Orten ja auch genutzt wird – eine Initiative gründen, sich den Bürgermeister einladen, den Schuldirektor, das Jugendamt, den Abgeordneten… Mit all diesen Menschen kann man dann ganz konkret darüber sprechen, was einem nicht passt, wovor man sich fürchtet oder was man vielleicht schon als Missstand ansieht.

Das entscheidende Wort heißt: konkret...

Genau. Da, wo Menschen nur auf die Straße gehen um Ihren Frust herauszurufen, sind oft vor allem Ängste im Spiel, Ängste, die aber nicht selten im Diffusen bleiben.

Meine Erfahrung aus DDR-Zeiten ist: Wir hatten total gut gelernt, Angst zu haben. Denn aus der Angst heraus resultierte damals, in der Diktatur, unser Sicherungsverhalten. Wir hatten lange nach der Devise gelebt, fürchte dich rechtzeitig, wage nichts, dann wirst du keine Fehler machen.

Und wie kommen die furchtsamen Radebeuler, Dresdner oder Riesaer da nun raus?

Indem sie eben ganz konkret benennen, was ihnen Angst macht. Indem sie eine Antwort auf die Frage geben: Wo genau geht Euch eigentlich das Abendland verloren? Und dann werden wir erleben, dass viele Menschen beispielsweise beklagen, dass Turnhallen oder andere Gebäude mit Flüchtlingen belegt sind. Also müssen etwa die Bürgermeister oder Abgeordneten die Frage beantworten, wie lange das wohl anhalten wird. Und sie werden zurückfragen: Wie könnt ihr Bürger euch fürs Erste anders behelfen? Daraus ergibt sich in der Regel ein Gespräch, ein Gespräch, bei dem man sich gemeinsam auf die Suche nach Lösungen begibt.

Zu diesem Gespräch gehören zwei Seiten...

Ja. Und auch und gerade wir Repräsentanten des Staates und Politiker müssen diejenigen sein, die die Sorgen der Menschen benennen. Wir dürfen sie nicht verschweigen, weil wir fürchten, dies könnte die Rechtsradikalen stärken.

Aus dem Wir sind das Volk spricht doch auch der Glaube, in der Mehrheit zu sein. Dabei ist Pegida doch nur eine radikale Minderheit, oder glauben Sie, es geht tiefer?

Ja, es ist eine Minderheit. Um beim Beispiel Flüchtlinge zu bleiben: Zum Glück schauen sehr viele Menschen in diesem Land viel differenzierter auf dieses Thema. Und es gibt eine wunderbar große Bereitschaft ungezählter Bürger, den Schutzsuchenden zu helfen. Allerdings dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass auch in der aufgeklärten Mitte der Gesellschaft die Sorgen wachsen. Diese Menschen sagen nicht Nein zur Aufnahme von Flüchtlingen. Aber sie spüren, dass ihre Möglichkeiten, zu helfen, an Grenzen stoßen. Auch liberale Journalistinnen, weltoffene Studienräte oder sozial engagierte Krankenschwestern fragen sich, ob und wie wir diese Herausforderung bewältigen. Und da kann ich nur sagen: Ja, raus mit der Sprache! Benennt, was euch bedrückt, überlasst das Sorgenpotenzial nicht dem rechten Rand. Die Solidarischen sollen auch die Problembewussten sein, sollen das Gespräch suchen und führen.

Glauben Sie, dass sich die Pegida-Demonstranten überhaupt noch mit solchen Gesprächen erreichen lassen?

Wer sich von Vorurteilen nicht lösen will, wer so gründlich und ausdauernd seinen Frust pflegt, dass er nicht mehr zuhört, den erreicht man auch mit noch so vielen Angeboten für Gespräche nicht. Solche Gespräche machen aber dort Sinn, wo er oder sie wirklich kommunizieren und verstehen will, am Arbeitsplatz, im Sportverein, in der Kirche… Diese Kommunikation der Bürger untereinander ist wichtig. Aber wichtig ist, besonders jetzt, auch eine intensive Kommunikation zwischen Bürgern und Politikern.

Damit verbindet sich doch der Vorwurf an die Politik, dass sie diesen Dialog auch verweigert hat, oder?

Ich halte nichts von Pauschal-Vorwürfen an die Politik. Politiker und auch der Bundespräsident sollten den Dialog mit den Bürgern beständig suchen und sehr ernsthaft führen. Es versteht sich ja nicht von selbst, was wir machen. Und vielen Menschen reicht es etwa auch nicht, Bundestagsdebatten zu verfolgen. Sie haben Fragen und wir müssen uns bemühen, diese Fragen zu beantworten. Hinzu kommt: Nicht alle Bürger, die beispielsweise montagabends auf dem Theaterplatz in Dresden stehen, sind Rechtsradikale. Ein Teil von ihnen ist bereit zum Gespräch über das, was ihnen politisch nicht passt. Und deswegen freue ich mich über Menschen, die sich bemühen, solche Gespräche zu organisieren.

Angela Merkel hat 2009 ihre Wiederwahl gesichert, indem sie die Wähler der SPD möglichst wenig gereizt hat. Asymmetrische Demobilisierung nannten das die Politikwissenschaftler. Sachsen hat seinen Landtag 2014 an einem Feriensonntag wählen dürfen. Die Wahlbeteiligung lag bei 49 Prozent. Haben Regierende vielleicht ein Interesse daran, dass sich die Bürger nicht so stark beteiligen?

Sie fragen mich, ob die Politik will, dass möglichst wenige Leute sich beteiligen? Da kann ich nur sagen: Nein. Auch wenn nicht alle Politiker gleich gut und leidenschaftlich gerne kommunizieren, so sagt doch keiner von ihnen: Bitte, liebes Volk, lass uns in Ruhe beim Regieren. Aber dass das Ziel der Politik sein sollte, die Menschen zum Wählengehen zu ermutigen, das würde ich schon sagen.

Unser Herz ist weit, unsere Möglichkeiten sind endlich, haben Sie in einer Rede zur Flüchtlingsproblematik gesagt. War das eigentlich eine Gegenposition zu Angela Merkels Wir schaffen das?

Ich weiß, einige Medien haben diesen Satz so gedeutet. Aber das ist falsch. Mir ging es darum, die Wirklichkeit in den Blick zu nehmen und da sehe ich keinen Unterschied zur Kanzlerin. Ganz grundsätzlich gilt: Nicht alles, was wir moralisch und ethisch richtig und wichtig finden, lässt sich eins zu eins in Politik umsetzen. Das musste übrigens auch ich selbst lernen.

Was heißt das konkret: Ist die Grenze unserer Möglichkeiten erreicht? Und was würde daraus folgen?

Ich finde es richtig, dass Politik und Gesellschaft auszuloten versuchen, was Deutschland bei der Aufnahme von Flüchtlingen leisten kann, wo es aber auch an seine Grenzen stößt. Und wir reden ja nicht nur darüber, wir handeln auch – in beide Richtungen. Deutschland ist solidarisch, bietet sehr vielen Menschen in Not Zuflucht. Gleichzeitig arbeitet es daran, den Zuzug zu begrenzen: mit den jüngsten Gesetzesänderungen etwa, in intensiven Verhandlungen mit unseren europäischen Partnern, mit der Debatte über Kontingente oder indem man überlegt, wie sich die Verhältnisse in den Herkunftsländern von Schutzsuchenden so verbessern lassen, dass die Menschen erst gar nicht fliehen.

Übrigens: Die Bundeskanzlerin hat gesagt: Wir schaffen das!. Ich habe gesagt: Wir sind die, die sich etwas zutrauen. Gleichzeitig wissen wir beide – ebenso wie viele andere Menschen hierzulande -, dass unsere Aufnahmefähigkeit nicht unbegrenzt ist. Und ich fände es falsch, wenn wir alle, also Politik, Medien, Gesellschaft, das nicht besprechen würden!

Schön. Aber was heißt das?

Das heißt, Deutschland bietet zu recht vielen Menschen in Not Zuflucht. Und ich freue mich außerordentlich darüber. Gleichzeitig muss und will ich zur Kenntnis nehmen, was ich bei meinen Treffen mit Bürgermeistern, Landräten, haupt- und ehrenamtlichen Helfern höre: dass diese beeindruckende Bereitschaft zur Aufnahme, Unterbringung und Integration von Schutzsuchenden eben auch eine sehr große Kraftanstrengung bedeutet.

Zum Beispiel neulich, bei meinem Besuch in Bergisch-Gladbach nahe Köln: Da habe ich mir genau anschauen können, wie viel großartige Hilfe für Flüchtlinge unsere Kommunen und ihre Bürger derzeit leisten. Und ich habe mir sehr konkret schildern lassen, was sie bedrückt.

In solchen Gesprächen spüre ich, dass es die Helfer belastet, wenn sie aufgrund der großen Zahl der Flüchtlinge und angesichts begrenzter Mittel und Möglichkeiten hinter ihrem eigenen humanitären Anspruch zurückbleiben. Die Fähigkeit zu Hilfe und Solidarität ist ein unendlich kostbares Gut. Man muss sorgfältig damit umgehen.

Die Bundesregierung setzt jetzt ihre Hoffnung auf die Türkei.

Tja...

Wir erwarten, dass die Türken für uns – auf eine nicht näher erörterte Weise – die Grenzen zur EU undurchlässiger macht. Ziehen wir nicht am Ende doch Zäune hoch gegen Not und Elend der Welt?

Die Europäische Union schützt ihre Außengrenzen doch schon jetzt, und ich halte es für richtig, dass wir darüber diskutieren, wie wir diesen Schutz verbessern können. Ich kann das aber nur dann akzeptieren, wenn wir Europäer auch Möglichkeiten des legalen Zugangs zu unserem Kontinent schaffen und wenn wir das fundamentale Recht auf Asyl nicht zur Disposition stellen.

Ganz grundsätzlich müssen wir einsehen: Politische Entscheidungen führen in aller Regel nicht zu idealen Lösungen. Aber es lohnt sich, die am wenigsten schlechte anzustreben.

Und die am wenigsten schlechte ist, dass die Türkei unsere Grenzen dicht macht?

Im Einzelnen möchte ich als Bundespräsident mich dazu nicht äußern. Aber grundsätzlich gilt, dass Europa ja durchaus auch eigene Mittel hätte, seine Grenzen stärker zu sichern. Allerdings können wir Europäer das ethisch nur vertreten, wenn eine solche Entscheidung mit unseren Werten in Übereinstimmung zu bringen ist.

Es geht aber nicht nur um Flucht vor Krieg oder Verfolgung. An der EU-Außengrenze geht es auch um Arm und Reich. Was gibt uns die moralische Legitimation zu sagen, wir verteidigen unsere Insel des Wohlstands gegen den Kosovaren, der sein Glück sucht?

Ich verstehe sehr gut, dass Menschen auch vor Armut nach Europa fliehen. Aber alle aufnehmen zu wollen, die kommen, das wäre ein gewagter Kurs in Richtung der reinen Moral. Und es würde schlicht nicht funktionieren. Auf eine Überforderung der Hilfsbereiten würde zu häufig Abwehr, Entsolidarisierung und Aggression folgen. Und es könnte eine bedrohliche Entwicklung verstärken, die wir schon jetzt beobachten: dass der rechte Rand an Zulauf gewinnt.

Nach den Anschlägen von Paris haben Sie gesagt: Wir leben in Zeiten, in denen wir Opfer einer neuen Art von Krieg beklagen. Leben wir in einem Krieg? Beteiligt sich Deutschland an dieser neuen Art von Krieg?

Ich habe in meiner Rede zum Volkstrauertag kurz nach den Anschlägen ganz allgemein die seit einigen Jahren laufende, sehr grundsätzliche Diskussion über neue Formen von Krieg –etwa in Gestalt von Terrorismus, der auf verschiedenen Erdteilen wütet – aufgegriffen und unsere Verteidigungsbereitschaft betont.

Gut. Aber am Krieg gegen den sogenannten IS beteiligt sich Deutschland - und zwar mit kriegerischen Mitteln.

Ja, manchmal ist es unumgänglich, militärische Mittel einzusetzen. Aus Solidarität mit Menschen, die von islamistischen Terroristen und anderen Fanatikern ermordet, vergewaltigt, versklavt oder vertrieben werden, erwächst der Menschheit zuweilen die Verpflichtung, über die Diplomatie hinauszugehen.

Dass Deutschland jetzt Tornados nach Syrien schickt ist ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Ich finde es richtig, dass Deutschland sich dieser Verantwortung stellt und solidarisch an der Seite Frankreichs steht. Ich finde es richtig, dass es sich parallel um eine politische Lösung in Syrien bemüht. Und ich finde es richtig, dass wir uns sehr beharrlich dafür einsetzen auch andere Konflikte, wie etwa den in der Ukraine, mit diplomatischen Mitteln zu lösen. Deutschland engagiert sich international mit Nachdruck und gleichzeitig mit Augenmaß. Das freut mich, denn bei meinen Treffen mit manchen ausländischen Präsidenten höre ich manchmal, dass Deutschland, wenn es wirklich gefährlich wird, sich ganz gern heraushalte.

Aus bitterer Erfahrung?

Zunächst: Es trifft nicht zu, dass die Deutschen sich raushalten. Aber sie gehen, wie gesagt, zu recht mit Augenmaß an diese Fragen heran. Da lebt etwas durchaus Bewahrenswertes in der Bevölkerung fort, nämlich Friedensliebe und Abscheu vor Krieg. In Deutschland gibt es zum Glück keine Politiker und Militärs, die Waffen leichtfertig einsetzen. Unsere bewaffneten Kräfte dienen nicht, wie in früheren Kriegen, der aggressiven Durchsetzung unserer nationaler Interessen gegen andere.

Und zu den aktuellen Einsätzen: Ethisch zu handeln heißt nicht, jeden Waffeneinsatz automatisch zu verweigern. Politik steht manchmal vor der Frage: Schuldig werden durch Handeln oder schuldig werden durch Unterlassen? Meine Überzeugung ist: Reflexartiges Ja und Mitmachen oder reflexartiges Nein und sich Heraushalten – beides ist keine verantwortungsvolle Politik. Ich bin froh, dass für alle Bundesregierungen der Einsatz von Militär wirklich nur das allerletzte Mittel war und ist.

Deutschland hat gerade ein Vierteljahrhundert Einheit gefeiert. Sind Sie überrascht, dass nach 25 Jahren die Renten Ost und West noch immer nicht gleich berechnet werden? Es ist die letzte Rechtsungleichheit von erheblicher Bedeutung.

Die Situation ist nicht so einfach. Ost-Rentner, die lange gearbeitet haben und deren Einkommen für die Rente aufgewertet wurde, sind unterm Strich gut gestellt – und ernten dafür manche neidischen Blicke aus dem Westen, wo das Einkommen nicht selten deutlich höher ist als im Osten. Wahr ist aber auch, dass die Standardrente bei den Menschen im Osten, die genau so lange gearbeitet und genauso viel Beiträge gezahlt haben wie ihre Altersgenossen im Westen, immer noch niedriger liegt. Für diese Legislaturperiode hat die Bundesregierung nun angekündigt, dass sie prüfen wird, wie es sich mittlerweile mit der Lohnangleichung zwischen Ost und West verhält und dass sie sich auch anschaut, wie die – darauf basierende – Rentenberechnung aussieht.

Wäre die Renteneinheit von Vorteil?

Das ist Sache der operativen Politik.

Halten Sie es für ein Zeichen ostdeutscher Unprofessionalität, dass wir Sie gar nicht danach gefragt haben, ob Sie für alles, was noch zu tun bleibt, nicht eine zweite Amtsperiode brauchen?

(lacht) Ich finde das unglaublich souverän.

Aber Sie haben doch sicher schon sirenenhafte Klänge im Ohr, weil Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Kathrin Göring-Eckardt Sie zu einer erneuten Kandidatur bewegen möchten?

Nicht schlecht – so hat´s noch keiner versucht!

Die Fragen stellten: Annette Binninger, Peter Heimann und Sven Siebert