Interview mit der rumänischen Tageszeitung Adevarul

Schwerpunktthema: Interview

20. Juni 2016

Der Bundespräsident hat der rumänischen Tageszeitung "Adevarul" ein schriftliches Interview gegeben, das am 20. Juni erschienen ist. Darin heißt es: "Deutschland ist ein enger Freund, Partner und Verbündeter Rumäniens in der Europäischen Union und der NATO. Uns, Rumänien und Deutschland, leitet eine pro-europäische Grundhaltung und das Bewusstsein, dass wir den Krisen und Herausforderungen unserer Zeit einzig durch gemeinschaftliches Handeln in der EU begegnen können."

Bundespräsident Joachim Gauck in Schloss Bellevue (Archiv)

Bundespräsident Joachim Gauck hat der rumänischen Tageszeitung "Adevarul" ein schriftliches Interview gegeben, das am 20. Juni erschienen ist.

Herr Bundespräsident, wie sehen Sie die Bedeutung der Beziehung zwischen Deutschland und Rumänien, insbesondere im Kontext der Krisen, denen sich die EU derzeit gegenübersieht?

Deutschland ist ein enger Freund, Partner und Verbündeter Rumäniens in der Europäischen Union und der NATO. Uns, Rumänien und Deutschland, leitet eine pro-europäische Grundhaltung und das Bewusstsein, dass wir den Krisen und Herausforderungen unserer Zeit einzig durch gemeinschaftliches Handeln in der EU begegnen können. Vor allem die gegenwärtigen Krisen bestärken uns darin, unsere Beziehungen intensiv zu pflegen und zu vertiefen. Das ist auch ein Grund für meinen Besuch in Ihrem Land.

Was sind die wichtigsten Themen, über die Sie mit Staatspräsident Johannis und den rumänischen Behörden/Gesprächspartnern sprechen werden?

Die vielfältigen und engen bilateralen Beziehungen werden im Mittelpunkt meiner Gespräche stehen. Diese zeigen sich nicht nur in der umfassenden wirtschaftlichen Kooperation unserer Länder, sondern im politischen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich. Daneben wird es auch um die Fragen gehen, die unsere Länder und die Europäische Union als Ganzes betreffen und mit denen wir uns gemeinsam befassen müssen: die Lage in der Ukraine, der Umgang mit Flüchtlingen und mit den Fluchtursachen, aber auch das sinkende Vertrauen in die Europäische Union als solcher. Nicht zuletzt interessiere ich mich sehr dafür, von meinen Gesprächspartnern einiges über die Reformen von Justiz und Verwaltung in Rumänien und insbesondere über die jüngsten Anstrengungen bei der Korruptionsbekämpfung zu erfahren.

Wie können Deutschland und Rumänien sich für die Zukunft der EU einsetzen?

Was wir in der EU brauchen ist eine neue Wertschätzung dessen, was wir bis heute gemeinsam mit dem Projekt der europäischen Einigung erreicht haben – und das ist sehr viel. Gerade aufgrund der vielen Krisen, auf die Europa gleichzeitig Antworten finden muss, gibt es aber verständlicherweise Zweifel bei den Bürgerinnen und Bürgern, ob die EU diese Herausforderungen meistern kann.

Gemeinsam müssen die Mitgliedstaaten – auch Rumänien und Deutschland – die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger und Fragen, die sie an die Union haben, ernst nehmen und darauf reagieren. Wir müssen die Europäische Union – ihre Geschichte, ihre Errungenschaften, ihre Regeln, ihr Wirken und ihre Perspektiven – noch besser sichtbar machen.

Wichtig ist aber auch, gemeinsam und im konstruktiven, lösungsorientierten Dialog aller Mitglieder der Europäischen Union solidarische Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu erreichen.

Wenn wir über die Flüchtlingskrise sprechen: Die Politik Deutschlands, die Flüchtlinge mit offenen Armen zu empfangen, hat sowohl innenpolitisch als auch auf europäischer Ebene eine Welle der Kritik ausgelöst. Gleichzeitig hat Deutschland die fehlende Solidarität auf europäischer Ebene verurteilt. Wer hat in dieser Auseinandersetzung Recht?

Es gibt unverrückbare Prinzipien und Werte, für die wir uns gemeinsam entschieden haben und die uns in der Europäischen Union verbinden. Zwar geht es in der Flüchtlingsfrage nicht um Recht oder Unrecht des einen oder des anderen. Offensichtlich gibt es aber unterschiedliche Blickwinkel auf die Problematik, auch aufgrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen und davon geprägten Mentalitäten. Die gegenwärtigen Diskussionen zeigen, dass wir uns gegenseitig noch nicht ausreichend gut kennen, um die Beweggründe des jeweils anderen nachvollziehen und verstehen zu können. Diese Erfahrung – vor allem der letzten Monate – lehrt uns, wie wichtig der offene und auch kritische Dialog untereinander ist, um auf der Basis eines besseren gegenseitigen Verständnisses am Ende für alle akzeptable Lösungen zu finden.

Rumänien hat sich, wie auch andere Staaten, gegen eine Politik der Verteilung der Flüchtlinge auf Grundlage verpflichtender Quoten ausgesprochen. Glauben Sie, dass es einer größeren Solidarität Rumäniens bei der Behandlung dieses Problems bedarf?

Auch in Zukunft werden Flüchtlinge Zuflucht in den Mitgliedsstaaten der EU suchen. Darauf müssen wir uns einstellen. Unterschiedliche Einstellungen innerhalb der Union – auch in so wichtigen Fragen wie dieser – gehören zu unserer demokratischen Union gleichberechtigter Mitgliedstaaten dazu. Umso wichtiger ist es, im konstruktiven Austausch zu bleiben und die Beschlüsse umzusetzen, die in der EU rechtmäßig zustande gekommen sind. Ich bin daher dankbar für die Bereitschaft der rumänischen Regierung, die europäischen Beschlüsse über die Aufnahme von Flüchtlingen mitzutragen, gerade weil ich die grundsätzlichen Einwände kenne, die sie in dieser Frage hat.

Sie haben eine Institution geschaffen, die auch Vorbild für die früheren kommunistischen Länder im Umgang mit dem schwierigen Thema der kommunistischen Geheimpolizeien und dem Einfluss dieser Dossiers in unserer heutigen Gesellschaft ist. Bedauern Sie etwas in diesem Prozess der Öffnung der Geheimpolizeiakten?

Für unsere Aufgabe gab es keine Vorbilder. Weltweit waren zum damaligen Zeitpunkt noch nie Akten einer Geheimpolizei, die das entscheidende Unterdrückungsinstrument einer Diktatur war, für die Opfer zugänglich gemacht worden. Bei uns ist es nach der Friedlichen Revolution im Jahr 1989 gelungen, die Anliegen und Bedürfnisse der Opfer bei der Öffnung der Akten in den Mittelpunkt zu stellen und eine historische, politische und juristische Aufarbeitung der Vergangenheit zu ermöglichen.