Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland

Schwerpunktthema: Interview

3. Februar 2017

Der Bundespräsident hat dem RedaktionsNetzwerk Deutschland ein Interview gegeben, das am 3. Februar veröffentlicht wurde. Darin heißt es: "Wir müssen uns intensiv mit den Ursachen für den Erfolg des Populismus auseinandersetzen. Die Angst vor der Globalisierung, die Angst vor Fremden, die Angst vor einer als unübersichtlich empfundenen Welt: Das alles spielt hierbei eine Rolle."

Bundespräsident Joachim Gauck bei einem Interview mit Dieter Wonka und Wolfgang Büchner vom RedaktionsNetzwerk Deutschland im Amtszimmer von Schloss Bellevue

Bundespräsident Joachim Gauck hat dem RedaktionsNetzwerk Deutschland ein Interview gegeben, das am 3. Februar veröffentlicht wurde.

Was sollte man Ihnen als Bundespräsident eigentlich mal nachsagen?

Ich würde mir gerne bei Willy Brandt etwas abgucken: Man hat sich bemüht.

Unser Vorschlag wäre: Er ging, als die politische Zeitenwende hereinbrach!

Ich sehe keine Zeitenwende, wohl aber eine schwierige Zeit der Verunsicherung. Das Lebensgefühl vieler Menschen hat sich verändert. Dafür zeugt unter anderem der Brexit, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und der Zulauf nationalistischer und populistischer Bewegungen, die unser politisches System verachten und Ängste schüren.

Und das ist die richtige Zeit, um aus dem Amt zu gehen?

Wäre ich ein paar Jahre jünger, hätte ich mich angesichts dieser Situation wohl noch einmal zur Wahl gestellt. Und als die Debatten über die Flüchtlingspolitik heftig wurden und unser Land phasenweise ein wenig auseinander driftete, gab es durchaus Momente, in denen ich dachte: Vielleicht sollte ich trotz meines Alters für weitere fünf Jahre kandidieren und mich bemühen, der Unaufgeregtheit und der Zuversicht eine Stimme zu geben. Allerdings bin ich damals zu dem Schluss gekommen, dass der Wechsel im Amt des Bundespräsidenten diesem stabilen Land nun wirklich nichts wird anhaben können. Wir leben in keiner bedrohlichen Situation.

Kann die mit Donald Trump noch auf uns zukommen?

Das sehe ich für Deutschland bis auf weiteres nicht. Trotzdem müssen wir uns intensiv mit den Ursachen für den Erfolg des Populismus auseinandersetzen. Die Angst vor der Globalisierung, die Angst vor Fremden, die Angst vor einer als unübersichtlich empfundenen Welt: Das alles spielt hierbei eine Rolle. Hinzu kommt aber auch die Sprache in der Politik und in den Medien. Sie ist zwar nicht immer, aber zu oft ziemlich trocken und kompliziert. Dementsprechend erreicht ein Teil der politischen Debatten weniger Bürger als es wünschenswert wäre. Dabei sollten sich doch möglichst viele Menschen ermutigt fühlen mitzureden.

Im Oktober 2015 haben Sie in Philadelphia in den USA ganz gerührt die dortige Freiheitsglocke berührt. Jetzt, anderthalb Jahre später, hat Donald Trump ein wahlloses Einreiseverbot für viele Muslime verordnet. Reicht ein Mann aus, um einen großen Freiheitstraum zu zertrümmern? Werden am Ende auch Sie noch zum Anti-Amerikaner?

Ich werde zwar nie zu den Anti-Amerikanern gehören. Aber ich bin schon befremdet und auch besorgt. Amerika war in den Augen vieler Menschen, war auch in meinen Augen immer ein Leuchtturm der Freiheit und ein sicherer Hafen für persönliche und politische Hoffnungen. Für dieses Amerika steht eine Maßnahme wie das Einreiseverbot ganz sicher nicht. Es widerspricht dem großen Traum von Freiheit und von der Gleichheit aller Menschen, ungeachtet ihrer Religion oder ihrer Herkunft. Anders ausgedrückt: Das Einreiseverbot ist der USA nicht würdig.

Würden Sie in den USA auf die Straße gehen, wenn Sie dürften?

Ich kann verstehen, dass viele US-Bürger Entscheidungen wie das Einreiseverbot nicht einfach hinnehmen wollen. Und ich bin sicher, die Mehrheit der Amerikaner wird es nicht zulassen, dass ihr Land sich so massiv verändert. Die vielfachen Reaktionen von Bürgern, Politikern und die Entscheidungen einzelner Gerichte auf das Einreiseverbot zeigen ja auch, dass Justiz und Zivilgesellschaft in den USA wachsam sind – zum Glück! Außerdem hat es in der langen Geschichte der Vereinigten Staaten noch keine Diktatur gegeben, und es ist dort immer wieder zum Ausgleich gekommen. Trotzdem räume ich ein: Wie derzeit mit der politischen Kultur dieses Landes umgegangen wird, finde ich sehr problematisch.

Weshalb haben Sie es in Ihrer Amtszeit nicht vermocht, sich mit den Reform-Linken, mit den Gysis und Wagenknechts, wirklich auszusöhnen?

Zunächst einmal: Zwischen den von Ihnen genannten Politikern gibt es poIitisch deutliche Unterschiede. Und dann: Ich bin froh, dass unser Land eine offene, demokratische Gesellschaft ist, die für konkrete Probleme im Diskurs konkrete Lösungen sucht – statt von einem Endzustand der Geschichte zu träumen wie im Kommunismus. Aus dieser Illusion sind die meisten Menschen aufgewacht, auch auf der politischen Linken. Sie wissen, dass nirgendwo mehr Rechte und ein breiterer Wohlstand für Arbeitnehmer erreicht werden, als in unserer Sozialen Marktwirtschaft, so verbesserungswürdig sie im Einzelnen auch sein mag. Mit den Linken, die das wissen, bin ich im guten Gespräch. Zu den anderen, denen, die heute noch nachhaltig kommunistische Ideen vertreten, gibt es einen politischen Dissens. Und was mir fremd bleiben wird, ist, wenn manche Menschen es bis heute nicht fertig bringen, von der DDR als Diktatur zu sprechen.

Die Sowjetunion von Michail Gorbatschow hat die Deutsche Einheit ermöglicht. Ist Putins Russland von heute dabei, Europa zu spalten?

Ich hoffe es zwar nicht. Aber wir müssen wachsam sein. Und ich sehe mit Sorge, dass Staatspräsidenten in Osteuropa genau das fürchten und uns auch immer wieder darauf hinweisen. Ich bin übrigens unglaublich traurig darüber, welchen Weg die Eliten in Russland nach dem Ende des Kommunismus eingeschlagen haben, wie sie beispielsweise die Bürgerrechte beschränken, wie sie vor allem auf die nationale Karte setzen. Das Volk hat etwas Besseres, es hat vor allem mehr Recht und mehr Teilhabe verdient.

Ihre Amtszeit ist fast vorbei. Sind Sie zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Bundespräsident mehr Macht braucht, um zu wirken? Und: Wäre es besser, wenn das Staatsoberhaupt direkt von den Bürgern gewählt würde?

Ich leide nicht unter zu wenig Macht in diesem Amt. Man hat hier wichtige Aufgaben zu erfüllen. Man repräsentiert das Land nach außen und nach innen. Und man kann wichtige Debatten anstoßen oder sie befördern. Eine Direktwahl des Bundespräsidenten halte ich nicht für sinnvoll. Denn dann hätten die Bürger möglicherweise das Gefühl, es gäbe da eine Instanz, die politisch umsteuern könnte, sollte die Regierung etwas ihrer Auffassung nach nicht richtig machen. Der Bundespräsident ist aber keine Ersatzregierung – und zwar zu recht. Die politische Verantwortung liegt beim Parlament und bei der Regierung.

Wer oder was verhindert, dass man sich als Bundespräsident zu wichtig nimmt?

Das muss man vor allem selber schaffen. Aber seien Sie gewiss, in diesem Amt lernt man Demut. Und man bekommt oft hautnah mit, warum die operative Politik Respekt verdient. Sie hat immer wieder über hochkomplexe, zuweilen auch sehr heikle Fragen zu entscheiden. Darum beneidet man sie manchmal nicht – vor allem dann, wenn keine Ideallösung existiert.

Wie in der Flüchtlingsdebatte?

Zum Beispiel. Da gibt es kein Schwarz und kein Weiß, sondern nur eine Art Alltagsgrau – also den Versuch, zwischen dieser und jener Abzweigung einen Mittelweg zu gehen. Dann fehlt manchen Bürgern zwar die Eindeutigkeit. Aber Politik bedeutet eben oft, Kompromisse zu schließen, in denen keiner sich zu hundert Prozent wiederfindet. Der Bundespräsident vollzieht diese Dinge nach. Er begibt sich in viele Debatten hinein, ohne dass er Teilnehmer des politischen Entscheidungsprozesses ist. Auch das lehrt Demut. Übrigens: Ein gesundes Selbstbewusstsein mit dem Wissen zu verbinden, nicht für alles politisch verantwortlich zu sein, gibt einem auch die Freiheit hier und da ein offenes Wort gelassen auszusprechen.

Das klingt alles sehr leidenschaftlich und kein bisschen amtsmüde.

Das ist genau der Zustand, in dem ich mich befinde. Ich freue mich wirklich auf Erholung, auf Entspannung und auf eine lange Zeit, in der ich nicht zu allen Dingen meine Meinung sagen muss. Gleichzeitig bin ich noch voller Leidenschaft.

Von Scheel bleibt der gelbe Wagen, von Herzog der Ruck, von Rau Versöhnen statt spalten, von Wulff der Islam gehört zu Deutschland. Welcher Satz sollte von Ihnen bleiben?

Die Freiheit der Erwachsenen heißt Verantwortung.

Wo wird denn Ihr Lebensmittelpunkt sein, wenn die Schlosszeit vorbei ist?

Ich werde in Berlin wohnen bleiben, möchte aber auch immer wieder Zeit in meiner Heimat, an der Ostsee verbringen. Ich kann ja nicht anders. Ich bin und bleibe tief in meinem Herzen ein Mecklenburger – egal wo ich lebe. Die Rostocker und die Fischländer werden mich also häufiger zu sehen bekommen als in den vergangenen fünf Jahren.

Auch wieder als Prediger?

Ich bin seit 1990 laisiert und zwar im guten Einvernehmen mit der Kirche. Die Pastorenzeit war sehr ernsthaft und sehr schön. Aber sie gehört der Vergangenheit an. Und was in Zukunft vielleicht auf mich zukommt? Das möchte ich jetzt noch gar nicht alles wissen; da lasse ich mich gerne überraschen.

Die Fragen stellten: Dieter Wonka und Wolfgang Büchner.