Staatsbankett zu Ehren von Großherzog Henri von Luxemburg

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 23. April 2012

Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Rede beim Staatsbankett zu Ehren von Großherzog Henri von Luxemburg

Es ist mir und meiner Lebensgefährtin eine große Ehre, Sie, Königliche Hoheiten, gemeinsam mit dem Erbgroßherzog heute Abend in Schloss Bellevue willkommen zu heißen. Wir freuen uns, dass Sie gekommen sind. Luxemburg und Deutschland sind gute Nachbarn und enge Partner: Das unterstreicht auch die Anwesenheit des Vizepremiers und mehrerer Minister sowie vieler weiterer Gäste, die unsere beiden Länder besonders gut kennen. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich!

Ihre Familie, Königliche Hoheit, ist Deutschland auf besondere Weise verbunden. Das Haus Nassau-Weilburg stammt aus dem jetzt hessischen Weilburg. Vier römisch-deutsche Kaiser und Könige hat Luxemburg im 14. und 15. Jahrhundert gestellt. Darunter war auch Karl IV., der mit der Goldenen Bulle das einzig wirklich bedeutende Verfassungsdokument des Heiligen Römischen Reiches schuf.

Später dann wurde Luxemburg auf dem Wiener Kongress Mitglied des Deutschen Bundes. Es begann eine wechselvolle und im 20. Jahrhundert auch tragische Phase unserer gemeinsamen Geschichte. In beiden Weltkriegen haben deutsche Truppen Ihr Land besetzt, im Zweiten Weltkrieg wurde es de facto annektiert. Wir können Ihnen und dem luxemburgischen Volk nicht hoch genug anrechnen, dass sie uns nach den leidvollen Erfahrungen dieser Jahre die Hand zur Freundschaft gereicht haben.

1958 begann unser gemeinsamer Weg in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die beide Länder mitbegründeten. Seite an Seite sind wir auf diesem Weg weitergegangen und haben unsere Vision einer Europäischen Union in die Tat umgesetzt. Gemeinsam strebten wir nach einem Europa des Friedens, der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Nicht zuletzt dank des Engagements Luxemburgs ist Europa zum weltweit größten Raum der Freiheit geworden.

Luxemburg, am Schnittpunkt zwischen romanischer und germanischer Kultursphäre gelegen, ist aus tiefer Überzeugung europäisch. Diese Überzeugung wünsche ich uns allen – zumal in einer Zeit, da viele in Europa mehr über die Krise Europas als über seine Errungenschaften sprechen. Aber wir dürfen nicht zulassen, Europa auf die derzeitige Staatsschuldenkrise zu verengen. Wer das tut, verkennt den Wert des europäischen Projekts. Die Europäische Union ist die größte politische Erfolgsgeschichte unseres Kontinents. Die Luxemburger waren sich, früher und tiefer als manch andere, bewusst: Europa ist die Lösung, nicht das Problem.

Luxemburger hatten und haben zum Aufbau Europas maßgeblich beigetragen. Ich nenne Joseph Bech, den Mitbegründer der Montanunion, Pierre Werner, den Vordenker einer Währungsunion, Gaston Thorn, Jacques Santer und Jean-Claude Juncker. Sie alle sind den Weg zur Europäischen Union mit uns gegangen, haben uns angeführt und ihre unverwechselbaren Spuren hinterlassen.

Aus gutem Grund wurden dreimal Luxemburger mit dem Karlspreis der Stadt Aachen – zu dessen Schirmherren Sie, Königliche Hoheit, und ich ja beide gehören – ausgezeichnet: 1960 Joseph Bech. Er sagte bei der Preisverleihung: „Die europäische Idee erobert die Herzen unserer Völker.“ Was kann es Befriedigenderes geben, als dass eine Idee nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Herzen der Menschen Wurzeln schlägt? 1986 nahm Ihr Vater, Großherzog Jean, den Preis für das Volk von Luxemburg „als Vorbild und für Beharrlichkeit auf dem Weg zur Einheit Europas“ entgegen. Im Jahr 2006 war es Premierminister Jean-Claude Juncker, dem die Auszeichnung „als Motor für Europa“ verliehen wurde.

Deutschland und Luxemburg verspüren über ihr Eintreten für Europa hinaus globale Verantwortung. Seite an Seite bemühen sich deutsche und luxemburgische Soldaten zum Beispiel im Kosovo und in Afghanistan um Frieden in der Welt.

Von der Wirtschaftskraft Ihres Landes und Ihrer Unternehmen profitiert auch mein Land. Besonders eng sind die Beziehungen Luxemburgs zu den Nachbarländern Rheinland-Pfalz und Saarland. Luxemburg versteht sich als Gravitationszentrum der Großregion, zu der auch die benachbarten Regionen in Frankreich und Belgien gehören. Diese Großregion ist Keimzelle Europas. Gerade wenn es manchmal in Europa auf den höheren Ebenen schwierig wird, ist es umso wichtiger, dass das Miteinander der Menschen vor Ort funktioniert.

Ein Beispiel, wie gut Derartiges gelingen kann, ist das Deutsch-Luxemburgische Schengen-Lyzeum. In Perl lernen deutsche und luxemburgische Kinder miteinander und können die Schulabschlüsse unserer beiden Länder erwerben. Für sie und viele andere junge Leute ist Europa eine Normalität, in der sie aufwachsen, ganz anders als für meine Generation.

Deutsch ist eine der drei Sprachen Ihres Landes. Bei Ihrem Besuch, Königliche Hoheiten, kommt dies durch ein besonderes Programm zum Ausdruck: Ich denke an die Vorstellung deutschsprachiger Luxemburger Literatur übermorgen in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. Ich sehe darin auch eine bedeutsame Geste der Versöhnung nach der Zwangsgermanisierung im Zweiten Weltkrieg an diesem für das Deutsche so berühmten Ort.

Dass Sie Thüringen und Brandenburg in Ihr Programm einbezogen haben, freut mich sehr. Das Rheinland und der Schwarzwald sind in Luxemburg gut bekannt, aber auch im Osten Deutschlands gibt es vieles zu entdecken und Beeindruckendes wahrzunehmen. Weimar und Potsdam etwa sind kulturelle Perlen. Darüber hinaus haben sich wirtschaftliche und wissenschaftliche Exzellenzzentren entwickelt. Eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen Luxemburg und den neuen Bundesländern wäre für beide Seiten sicher lohnend.

Ich bin mir ganz sicher: Sie werden einen interessanten und anregenden Aufenthalt bei uns in Deutschland haben.

In diesem Sinne bitte ich Sie nun, meine Damen und Herren, mit mir das Glas zu erheben und einen Toast auszubringen: auf die Gesundheit Ihrer Königlichen Hoheiten und des Erbgroßherzogs, auf das Wohl des luxemburgischen Volkes und auf die Freundschaft zwischen den eng verbundenen Nachbarn Deutschland und Luxemburg.