Staatsbankett, gegeben vom Präsidenten des Staates Israel

Schwerpunktthema: Rede

Jerusalem/Israel, , 29. Mai 2012

Rede von Bundespräsident Joachim Gauck beim Staatsbankett am 29. Mai in Israel: "Dieser Besuch in Israel ist mein erster als Bundespräsident außerhalb Europas. Es ist zugleich mein erster Staatsbesuch überhaupt. Das sind gewiss wichtige Zeichen. Doch auch ohne sie wissen wir, wie untrennbar unser Land mit Israel verbunden ist."

Bundespräsident Joachim Gauck am Rednerpult

Zwei Monate nach meiner Wahl zum Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland stehe ich hier bei Ihnen, in Israel. Bewegt, dankbar und demütig. Ich danke Ihnen herzlich für die Aufnahme an diesem Tag. Es ist mir wahrlich eine Ehre hier zu sein und mein Herz ist erfüllt von Dankbarkeit. Und heute Abend könnte ich mir kaum eine schönere Umgebung wünschen, als diesen wunderbaren Garten hinter Beit Hanassi!

Mein Dank für die großzügige Einladung zum Staatsbesuch gilt allen voran Ihnen, hochverehrter Herr Präsident Peres: Wir Deutsche bewundern Sie als einen ganz außergewöhnlichen Vertreter Israels in der Welt. Wir danken Gott, dass es Sie gibt. Und wir schätzen Sie als großen Freund Deutschlands.

Ihre persönlichen Worte am 27. Januar 2010 vor dem Deutschen Bundestag haben mich ebenso wie sehr viele Deutsche berührt. Da war das Bild Ihres Großvaters, Rabbi Zwi Meltzer, das Sie uns damals so plastisch vor Augen geführt haben. Ich kann das nicht mehr vergessen: Ihr Lehrer und Mentor, ein würdiger Mann mit weißem Bart und braunen Augenbrauen, den sie verehrt, ja geliebt haben. Auf Befehl der Nazis zog er, eingehüllt in seinen Gebetsmantel, seiner Familie und seiner Gemeinde voran, in die Synagoge Ihrer Geburtsstadt Wiszniewo. Die Deutschen verriegelten die Türen und zündeten das hölzerne Gebäude an. Was blieb, waren Asche und Rauch. Niemand überlebte.

Die Gräueltaten, die Deutsche an Ihrer Familie und Ihrem Volk verübt haben, erschüttern mich. Sie aber, Herr Präsident, reichen unserem Land Ihre Hand zur Versöhnung. Das wurde nicht nur im Ton Ihrer Berliner Rede deutlich. Ihr ganzes politisches Leben steht im Geist der Versöhnung und ist der auf immer besonderen deutsch-israelischen Freundschaft gewidmet.

Lieber Herr Präsident, als junger Mann, der ich einst war, gerade erwachsen geworden, habe ich versucht, einen Zugang zur Schoah zu finden. Ich musste ihn mir selbst suchen. Die Gesellschaft, in der ich lebte, im Osten Deutschlands, und auch meine Eltern haben ihn mir nicht eröffnet. Völlig fassungslos stand ich da mit den Büchern, die ich mit 17, 18 gelesen habe: „Der gelbe Stern“ und viele andere Bücher über den Nationalsozialismus, über den Mord an den Juden. Für all die Dinge fand ich kaum einen Gesprächspartner. Und ich fand auch keine verständnisvollen Worte für mein Entsetzen. Heute noch – mit 72 Jahren – ist mir dieser Schmerz und dieses Schweigen in bedrückender Erinnerung. Sie haben mein Verhältnis zu Israel und zum jüdischen Volk geprägt. Ich kann gar nicht anders als ein Freund Israels zu sein.

Heute früh in Yad Vashem wurde dieses Verhältnis zu Ihrem Land greifbar. Die Trauer um die von Nazideutschland ermordeten Juden hat alles durchdrungen. Doch zugleich, und mit Ihnen an meiner Seite, Herr Präsident, spürte ich, wie unermesslich großherzig das Geschenk des Vertrauens ist, das Deutschland erhalten hat.

Und ich spürte die Kraft, die uns die deutsch-israelische Partnerschaft gibt. Eine Stärke, die uns hilft, wenn wir in die tiefsten Abgründe der deutschen Geschichte blicken. Eine Stärke, mit der Deutschland heute Israel und seinen Bürgerinnen und Bürgern verbunden ist.

Mancher von Ihnen weiß, dass ich aus Mecklenburg stamme, dem Nordosten Deutschlands. Vier Jahrzehnte meines Lebens habe ich in der DDR verbracht, die Israel übrigens bis kurz vor ihrem Ende nicht anerkannt hat. Verblendet von einer „antifaschistisch“ genannten Ideologie, haben die Machthaber in der DDR die deutsche Verantwortung für die Schoah nicht übernommen. Stattdessen verordneten sie ihren Bürgern einen staatlichen Antizionismus. Damit nahmen sie den Bürgerinnen und Bürgern der DDR nicht nur die Gelegenheit, sich mit Israel zu beschäftigen und die hier lebenden Menschen kennenzulernen. Gott sei Dank gab es aber auch andere Menschen in den Kirchen, unter sensiblen Intellektuellen und Künstlern und in den oppositionellen Milieus. Dort gab es genug Menschen, die sich eigenständig Wissen über die Vergangenheit erworben haben, unterstützt auch von Freunden und Beziehungen aus dem Westen und durch die Westmedien, die Schuld anerkannt haben und die Trauer zugelassen haben. Auch haben wir in diesen Kreisen Begegnungen organisiert, wo immer das möglich war. Ich habe zum Beispiel in den 80er-Jahren einen Israeli zum Kirchentag in meine Heimatstadt Rostock einladen können: Yaakov Zur, ein Historiker, geboren einmal als Jakob Zuckermann in meiner Heimatstadt Rostock. Als er zu uns in die DDR kam, hat er dort mit klaren Worten Israel erklärt, das war nötig dort, und gegenüber den Regierenden in der DDR verteidigt. Zur Freude der Christen und zum Verdruss der Parteikader. Derartige Begegnungen waren für uns wichtig, sie halfen uns, so etwas wie eine „Gegenkultur“ zur offiziellen Politik und zur Geschichtspolitik der DDR zu entwickeln.

Herr Präsident, das Geschenk Ihres Vertrauens, von dem ich vorhin sprach, bezieht heute alle Deutschen mit ein. Alle. Und so gehört zu dem Glück, das uns mit dem Fall der Berliner Mauer widerfahren ist, auch die Freiheit, sich zu Israel, Ihrem Land, und seinen Bürgern zu bekennen!

Dieser Besuch in Israel ist mein erster als Bundespräsident außerhalb Europas. Es ist zugleich überhaupt mein erster Staatsbesuch. Das sind gewiss wichtige Zeichen. Doch auch ohne sie wissen wir, wie untrennbar unser Land mit Israel verbunden ist. Sie, Herr Präsident, haben in Ihrer Rede die Gründe dafür genannt.

Und wir wissen alle miteinander: Es ist nicht nur die Geschichte, die uns wieder miteinander verbunden hat. So, wie sie uns einst getrennt hat. Wir bekennen uns, Sie haben es ausgeführt, zu denselben Werten: zur Freiheit, zur Demokratie und zur Achtung der universellen Menschenwürde. Diese Werte verbinden uns.

Auch deshalb steht Deutschland an Israels Seite, jetzt und in Zukunft. Wir stehen an Ihrer Seite, wenn andere die Sicherheit und das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Den friedliebenden Kräften reichen wir die Hand. Jenen aber, die Sie bedrohen, treten wir entschlossen entgegen.

Wir unterstützen Sie, wenn sich Israel – Sie, Herr Präsident –, gemeinsam mit seinen Nachbarn bemüht, einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Ich teile Ihre Überzeugung, Herr Präsident: Ein solcher Frieden setzt voraus, dass Israel und ein unabhängiger, lebensfähiger palästinensischer Staat Seite an Seite in Sicherheit und in anerkannten Grenzen leben können. Das erfordert, dass beide Seiten aufeinander zugehen. Nur durch mutige Schritte wird es möglich sein, den Stillstand im Friedensprozess zu überwinden.

Herr Präsident, die derzeitige palästinensische Führung will nach Ihrer und nach meiner Überzeugung den Frieden. Sie muss diesen Kurs aber gegenüber radikalen Kräften behaupten. Deshalb wünscht sich mein Land, wünscht die EU sich und wünsche auch ich mir, dass Israel in der Siedlungspolitik ein Zeichen setzt.

Ich kenne Israel von früheren Besuchen und bin als langjähriger Freund gekommen. Ich freue mich auf die Menschen hier, darauf, die Menschen hier noch besser kennenzulernen: Überlebende der Schoah, die noch unter uns sind – wir fühlen uns in einzigartiger Weise für sie verantwortlich - oder Jeckes, die soviel für die Annäherung zwischen unseren Ländern getan haben, und Wissenschaftler, die hier in Israel hochinnovative Arbeit leisten.

Ganz besonders freue ich mich auf junge Menschen. Durch sie wird sichtbar, wie unsere Beziehungen sich wandeln, wie sie die Vergangenheit mitnehmen, aber auch wachsen und in die Zukunft greifen.

Unsere Bürgerinnen und Bürger haben noch viel miteinander vor. Viele Tausende kommen aus beiden Ländern jedes Jahr zusammen, zu unserer Freude – Schüler, Stipendiaten, Freiwillige, Wissenschaftler, Künstler, Fachkräfte und viele andere. Diesen Prozess können unsere beiden Regierungen auch befördern und kann unsere Bevölkerung noch intensiver aufnehmen. Wir beide, Herr Präsident, wissen: Wenn sich junge Leute heute für das jeweils andere Land interessieren, dann führen sie die deutsch-israelischen Beziehungen weiter, dann prägen sie die Zukunft unserer Freundschaft. Dass dieser große Schatz weiter gemehrt werden kann, dafür will ich mich gemeinsam mit Ihnen einsetzen.

Herr Präsident, am Ende Ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag, die ich vorhin erwähnte, haben Sie damals vor zwei Jahren gesagt, die Israelis gestatteten sich, von Gutem zu träumen und diesen Traum auch zu verwirklichen.

Auch die Deutschen träumen von Gutem und wir wollen mithelfen, diesen Traum wahr zu machen – den Traum von einem freien und friedlichen Leben, den Traum von menschlichem Miteinander und von gegenseitigem Respekt, im Nahen Osten und überall sonst, wo Menschen leben. Gemeinsame Träume können zu einer gemeinsamen Zukunft werden. Das wird aber nicht gehen, ohne unsere Anstrengungen.

In diesem Sinne bitte ich Sie, meine Damen und Herren, mit mir das Glas zu erheben: Auf das Wohl von Präsident Peres, auf die Freundschaft zwischen Israelis und Deutschen und auf eine friedliche Zukunft in Freiheit für unsere beiden Länder – und gerade auch heute: Le chaim!