Festakt zum 50-jährigen Bestehen des Kuratoriums Deutsche Altershilfe

Schwerpunktthema: Rede

Bonn, , 5. Oktober 2012

Bundespräsident Joachim Gauck hat am
5. Oktober bei der Festveranstaltung 50 Jahre Kuratorium Deutsche Altershilfe eine Rede gehalten: "Selbstbestimmung und Selbstreflexion bedingen einander. Wir brauchen nicht nur Strukturen und Gelder, um die Zukunft zu bewältigen."

Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Rede im Haus der Geschichte

Wenn ein Mensch 50 Jahre alt wird, dann bezeichnen ihn die Werbeleute gern als Best Ager, als Kandidaten für kluge Kaufentscheidungen: noch jung genug, um große Wünsche zu haben und zugleich erfahren genug, um weise mit diesen Wünschen umzugehen. Die Beschreibung passt sehr gut zum Kuratorium Deutsche Altershilfe und seiner beeindruckenden Entwicklung seit 1962. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erfolgsgeschichte!

Das Kuratorium Deutsche Altershilfe ist jetzt also selbst ein Best Ager, wendet sich aber mit seiner Arbeit gerade an jene, die wir nach den gefälligen Kategorien von Markt und Marketing selten im Blick haben: An jene, die wegen ihres Alters nicht mehr an der Fülle des Lebens teilhaben können. An jene, die in den Fernsehspots der modernen Seniorinnen und Senioren kaum oder gar nicht vorkommen, weil sie eben nicht mehr gesund, nicht mehr rüstig, nicht mehr mittendrin sind.

Ich habe im Mai in Hamburg beim Seniorentag ein deutliches Ja zum Alter! sagen dürfen, weil es eben ganz beeindruckend ist, was wir erleben bei Menschen meines Alters. Ich bin jetzt über 70 und da geht noch sehr viel. Scherzhaft gesagt, ahnt man schon, dass irgendwann die Politik vielleicht das Rentenalter noch weiter heraufsetzt. Es heißt dann vielleicht: Der Gauck kann noch – das könnte man doch verallgemeinern. Sogar Professor Schweitzer, der kann ja auch fortwährend noch! Das sagt sich so locker, aber wir brauchen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten dieses aktiven Alters.

Als ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, musste ich feststellen, dass es eine fast unsichtbare, selten benannte Linie gibt. Sie trennt das sogenannte dritte, noch aktive, vom vierten Lebensalter. Wir sprechen viel lieber von jener dritten Jahreszeit – vom goldenen Herbst mit seinen sonnenwarmen Tagen – als von der Kälte, die wir für später befürchten: von der Anonymität in Krankenhäusern, von Pflegeheimen, vielleicht sogar von der namenlosen Stelle auf dem Friedhof.

Solche Bilder spuken meist nur kurz in unseren Köpfen, dann blenden wir sie aus, tilgen sie. Wir beantworten dann eine unserer größten menschlichen Ängste durch gedankliche Flucht. Wir sind wahre Meister dieser Form der Verdrängung.

Ich nehme mich da selbst nicht aus, schließlich bewege ich mich mit 72 schon einige Zeit in der Nähe jener Trennlinie, die plötzlich zum Einschnitt werden kann. Ich bin ein lebensbejahender Mensch. Gerade deshalb will ich heute das Menschsein mit all seiner Verletzlichkeit und seiner Endlichkeit ansprechen.

Genau an dem Tag, als ich mich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorbereitete auf diese Rede – wir saßen an einem runden Tisch zusammen und diskutierten die Schwerpunkte –, da erhielt ich eine SMS von meinem Schwiegersohn: Gruß aus dem Kreißsaal. Unser kleiner Béla ist da! – Mein elftes Enkelkind war geboren! So ist das manchmal im Leben. Meine Mitarbeiter gratulierten mir freudig und die Situation war so sinnfällig! Da saßen wir zusammen, um an die Endphase des Lebens zu denken und plötzlich erhielten wir ein Signal: Ach, eigentlich gehört ja alles zusammen. Das Geborenwerden und die Mitte des Lebens, der Tatendrang – und das Ende des Lebens, der Abschied aus der Aktivität. Eigentlich ist das ein wunderbares Ganzes. Aber die Fähigkeit, Ja zu sagen zu diesem wunderbaren Ganzen, die haben Menschen erst spät und manche haben sie gar nicht. Daran wollen – müssen – wir etwas ändern.

Wenn das Ende eines Lebens naht, erstarren wir fast, schieben auf, was dringend geklärt werden müsste, und spalten ab, was wir als Gewissheit einfach nicht zu akzeptieren vermögen. Wir kommen an der Wahrheit jedoch nicht vorbei: Unser Dasein hat beides – Anfang und Ende. Altern und Sterben sind Teil dieses Lebens, das wir rühmen dürfen – trotz dieser Endlichkeit, vielleicht sogar gerade wegen seiner Endlichkeit? Es geht darum, diesen Zusammenhang klar zu machen. Er gilt genauso wie die Einsicht, dass der demografische Wandel Teil unserer gesellschaftlichen Entwicklung ist.

Bundespräsident Johannes Rau hat vor zehn Jahren, als er dem KDA zum 40. gratulierte, über den demografischen Wandel und die nötige öffentliche Auseinandersetzung gesprochen. Er hat Fakten und Forderungen vorgetragen, die man heute fast wortgleich wiederholen könnte.

Ich will das nicht wiederholen, aber ich will gern genau dort anknüpfen. Nach der Einsicht in den demografischen Wandel als gesellschaftlicher Perspektive muss jetzt eine stärkere Auseinandersetzung mit den individuellen Perspektiven folgen: mit der Freude über die geschenkten Jahre, aber eben auch mit Krankheit, mit Pflegebedürftigkeit, mit dem Sterben. Selbstbestimmung und Selbstreflexion bedingen einander. Wir brauchen nicht nur Strukturen und Gelder, um die Zukunft zu bewältigen. Wir brauchen vor allem Menschen, die mit den existentiellen Fragen umgehen können, weil diese Fragen stärker als früher unser Zusammensein prägen werden.

Für mich ist diese emotionale und soziale Kompetenz der größte Engpass und damit die größte Schwachstelle in unserer älter werdenden Gesellschaft. Summen lassen sich mit gutem Willen von heute auf morgen umschichten. Seelen müssen dagegen reifen. Das passiert nicht über Nacht. Es erfordert Zeit, Erfahrung, Übung. Vorbilder brauchen wir dafür. Unser ganzes Leben bietet viele Gelegenheiten, uns bewusst zu machen, wie wir alt werden und wie wir sterben wollen.

Gelingt uns ein Alter in Würde? Können wir uns gegenseitigen Respekt bis zum Schluss erhalten und dann erfüllt Abschied nehmen oder scheuen wir uns vor der Konfrontation mit der Endlichkeit? Ich erinnere nur an den Kinofilm Liebe. Er bewegt uns nicht deshalb, weil sein Thema so selten wäre, aber selten sind die inneren und äußeren Kämpfe, die Verwundbarkeit im Alter so schonungslos gezeigt worden. Filmemacher und Publikum haben einen alten Schmerz neu entdeckt. Er sitzt genau dort, wo vorher der blinde Fleck in unserer Wahrnehmung von Alter und Sterben war.

Die Conditio Humana wird wohl nie vollständig beschrieben sein, aber ich glaube, wir stehen gesellschaftlich an einem Punkt, wo wir Frist und Finale unseres Menschseins nicht weiterhin kollektiv ausblenden können. Weil wir heute einen Geburtstag feiern, möchte ich es positiv ausdrücken: Wenn es uns gelingt, mit dem Alter und all unseren Ängsten reifer umzugehen – ja, sie letztlich zu akzeptieren als Teil des Lebens, statt gedanklich zu flüchten –, dann wird die Gesellschaft eine humanere sein.

Das KDA widmet sich der Aufgabe, eine humanere Gesellschaft zu schaffen, seit inzwischen fünf Jahrzehnten! Wir haben es gerade im Film gesehen, ich habe noch manches neu dazu gelernt. Herr Dr. Gohde wird gleich noch einmal auf die Anfänge zurückblicken, als Essen auf Rädern ein Novum war und mehr als satt und sauber als Illusion galt. Die Qualitätssprünge in Betreuung und Pflege sind eng mit der Geschichte und mit dem segensreichen Wirken des KDA verbunden. Experten sagen: Proportional zum Drängen des KDA steigerten sich Professionalität und Standards vieler Angebote im Pflegebereich. Das gibt Anlass zu großer Freude und Dankbarkeit am heutigen Tag. Gut so. Wenn wir uns über Errungenes und Erschaffenes nicht freuen können, dann erlahmen wir auch in unserem Gestaltungswillen und in unseren Potentialen. Deshalb gehören Freudentage und Dankbarkeit zum menschlichen Leben wie die dunklen Seiten, über die wir uns heute hier unterhalten. Ich komme gerne zu Ihnen, weil wir greifbare Ergebnisse Ihrer Arbeit feiern können in unserer Gesellschaft. So empfinde ich Freude und Dankbarkeit doppelt: einmal als älterer Bürger und zum andern als Bundespräsident.

Allerdings mahnt das KDA zu Recht in seinem Jubiläumsjahr, dass bei aller Optimierung und Ökonomisierung die Schattenseiten der modernen Pflegeindustrie nicht kleingeredet werden dürfen. Der Begriff an sich ist schon entlarvend: Pflegeindustrie. Ich will nicht in Fachdebatten der Pflegepolitik eingreifen – das kann ich auch gar nicht –, aber ich will doch darauf hinweisen, dass Versorgung und Zuwendung völlig verschiedene Kategorien sind – und zugleich untrennbar. Das spricht das KDA in seinen aktuellen Äußerungen immer wieder an. Und es findet für seine Reformvorschläge engagierte Partner. In einem Papier des Netzwerkes Song steht zum Beispiel die Forderung, den Pflegebegriff um Leistungen zur sozialen Begleitung und Teilhabe zu erweitern. Das klingt für mich durchaus nach hoffnungsvoller Zukunft!

Es ist kein Zufall, dass wir das Wort Selbstbestimmung im Titel der heutigen Festveranstaltung zu stehen haben. Ein selbstbestimmter Mensch ist Subjekt seines Lebens. Ein selbstbestimmter Mensch hat die Möglichkeit – und dazu gehört übrigens auch die finanzielle Möglichkeit – zwischen verschiedenen Lebensentwürfen zu wählen. Und ein selbstbestimmter Mensch hat eine eigene Stimme. Ich danke dem KDA ganz ausdrücklich für diese Maximalforderung, gerade weil wir wissen, wie schwer Selbstbestimmung unter Bedingungen der Pflegebedürftigkeit, bei Krankheiten wie Demenz zu gestalten ist. Wir haben oft sogar den Eindruck, dass Selbstbestimmung in der allerletzten Phase vor dem Abschied überhaupt nicht mehr möglich ist. Dass hier ein Wechsel, eine neue Art zu denken, spürbar wird in unserer Gesellschaft, verdanken wir dem engagierten Tun von Ihnen allen, die Sie hier heute versammelt sind, all denen, die Sie repräsentieren oder die Sie unterstützen.

Dieses Wissen um Selbstbestimmtheit als menschliches Programm und das gleichzeitige Betrachten der Defizite in unserer Gesellschaft, sie zwingen uns, das Ziel der Selbstbestimmung immer neu zu definieren, für jeden einzelnen Betroffenen und mit großer Ausdauer.

Es ist schwer zu erkennen: Was bleibt uns von unserer Freiheit, wenn wir körperlich hinfällig, vielleicht auch geistig nicht mehr rege oder wenn wir arm sind? Ich will in die Armutsdebatte nicht einsteigen. Der Bundespräsident debattiert nicht konkrete Vorschläge, die die Politik miteinander debattiert. Aber ich kann doch nur empfinden, dass eine Debatte überfällig ist. Ich kann hier nur hoffen, dass wir Lösungen finden, dass diese schwerreiche Gesellschaft sich nicht mit einem Problem, in dem das Wort Armut vorkommt in einer bestimmten Lebensphase, kennzeichnen lassen muss.

Was bleibt uns, wenn wir diese Phase ansehen? Es bleibt uns im günstigen Fall nur die freie Willensbekundung. Es bleibt uns die Chance, Gehör zu finden in dem Augenblick, wo wir uns entscheiden müssen: für oder gegen häusliche Betreuung, für oder gegen ein Pflegeheim, für oder gegen künstliche Ernährung oder eine der vielen Alternativen.

Das KDA kämpft seit 50 Jahren darum, dass die Spielräume für diese Fragen möglichst groß sind und die Antworten möglichst frei und selbstbestimmt gefunden werden können. Für diesen ganz besonderen Einsatz danke ich Ihnen, den Damen und Herren im Kuratorium, im Namen von Tausenden Seniorinnen und Senioren, aber auch im Namen von Tausenden, die als Angehörige mit betroffen sind, faktisch und vor allem emotional. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe hat auch ihre Situation immer mit in den Blick genommen.

Vor allem die Belange der pflegenden Angehörigen waren und sind dem KDA wichtig. Zu Beginn waren es vor allem die Töchter und Hausfrauen, die sich um die Älteren gekümmert und sich oft – das schauen wir mit Dankbarkeit an – regelrecht aufgeopfert haben. Inzwischen gibt es eine große Vielfalt von professionellen Pflegediensten. Es gibt auch Kleinfamilien, und die Berufstätigkeit beider Geschlechter erschwert vieles. Außerdem haben wir ein anderes Bild vom individuellen Glück, als es die Generationen vor uns hatten. Dass wir zwischen verschiedenen Lebensmodellen wählen können, ist ein großes Privileg der heutigen Zeit. Dennoch sind pflegende Angehörige weiterhin auf die Unterstützung der Gesellschaft angewiesen. Ich möchte für ihre drei wichtigsten Anliegen gerne ein Verstärker sein, weil ich sie mir zu Eigen gemacht habe, und weil ich hoffe, dass der Nachhall dieser Feststunde an den richtigen Stellen ankommt. Erstens: Wir brauchen mehr Arbeitgeber in Deutschland, die ihre Mitarbeiter für die Pflege von Angehörigen freistellen, ihnen Teilzeit oder Telearbeit ermöglichen! Zweitens: Wir brauchen eine Öffentlichkeit, die diesen kulturellen Wandel genauso unterstützt, wie sie es einst getan hat beim Mutterschutz oder für die Elternzeit! Und drittens: Wir brauchen mehr Nachbarn und Freunde, die sehen, wo Not am Mann oder an der Frau ist und sich sagen: Hier springe ich ein!

Nach diesen Ausrufezeichen, die ich als Anwalt der Angehörigen gern setzen wollte, möchte ich mit genauso vielen Ausrufezeichen anerkennen, was beim Thema Pflege in unserem Land bereits geleistet wird: privat wie professionell, ambulant wie stationär, haupt- wie ehrenamtlich, am Tag und in der Nacht. All das können Sie hier im Saal am allerbesten ermessen. Bitte nehmen Sie meine große Wertschätzung für Ihre Arbeit mit in Ihre Vereine, Verbände, Institutionen, Kirchengemeinden, mit in die Kaffeeküchen und Flurgespräche, wo trotz aller Eile eine Minute Zeit bleibt, um zu erzählen: Der Bundespräsident hat sich im Namen aller Bürger bei uns bedankt! Das hätte ich gerne, dass Sie das weitersagen!

Ich weiß natürlich: Damit kann man nicht wettmachen, was im Alltag an Anerkennung oft fehlt. Aber ich kann doch einen Merkposten setzen. Wertschätzung ist ja nicht nur in die Vergangenheit gerichtet. Sie ist nicht nur Rückblick und Dank für bestimmte Menschen. Wertschätzung ist auch eine Zukunftsbotschaft an alle Umstehenden, an Zuhörer, Zuschauer, an die Unentschlossenen und an die Jugend! Die Botschaft lautet: Ohne emotionale und soziale Kompetenz verkümmert jede Gesellschaft, verkümmert auch unsere Gesellschaft. Mitmenschliche Solidarität darf deshalb kein Minderheitenprojekt sein – und wo sie es ist, darf das nicht so bleiben.

Ich glaube, das KDA und andere tun gut daran, auf die lokale Gestaltungskraft und auf die Kommunen zu setzen. Was wir an Spezialisierung im sozialen Sektor gewonnen haben, ist uns nämlich manchmal an Nähe durch den sehr hohen Organisationsgrad in Deutschland teilweise verloren gegangen. Wenn wir uns zurückbesinnen, dann kann es helfen, in der kommunalen Nähe Ursprungsorte des gesellschaftlichen Miteinanders zu entdecken, die Familien und Nachbarschaften neu anzuschauen, ihren Wert neu zu definieren und uns bewusst zu machen. Viele preisgekrönte Konzepte und herausragende Beispiele der vergangenen Jahre nahmen bei dieser einfachen Idee ihren Anfang: Zum Beispiel Mehrgenerationenhäuser, die waren früher schon selbstverständlich, wenn man an die alten Zeiten denkt, besonders in den ländlichen Regionen. Jetzt entdecken Junge und Menschen in der Mitte des Lebens ein uraltes Konzept in seinem Wert neu. Da hat man ja Glück! Das ist eine Brücke, ein Problem bewusst zu machen, gerade in dem Teil der Bevölkerung, die sich noch weit weg wähnt, wie wir es vorhin besprochen haben.

Dass sich das KDA mit Quartiersmanagement und altersgerechtem Wohnen befasst, gehört in meinen Augen zu seinen besonderen Stärken. Wer genau hinsieht, wird den Mehrwert dieser Angebote nicht nur für die Senioren erkennen. Menschen mit Behinderungen, Familien mit kleinen Kindern können von solchen barrierefreien Ansätzen profitieren. Auch Menschen, die – aus guten persönlichen Gründen – in einer Gemeinschaft der Verschiedenen leben wollen, dürfen sich eingeladen fühlen. Und diese Gruppe, die so etwas als Gewinn sieht, wächst! Bald werden wir eine größere Zahl von Älteren auch mit Zuwanderungsgeschichte in unserem Land haben. Wie wird es dann sein? Solange sie produzieren und uns helfen, den Wohlstand zu mehren, werden sie angenommen, mal besser und mal schlechter. Was wird sein, wenn sie zu dieser Personengruppe gehören, über die wir uns heute unterhalten? Dann wird das Miteinander im Quartier vor neue Aufgaben gestellt. Auch dafür wünsche ich mir einfühlsame Vordenker. Das KDA setzt sich ja schon seit einiger Zeit auch für eine kultursensible Altenhilfe ein.

Ich glaube daran, dass ein stabiles, aufmerksames Wohnumfeld manche Talfahrten in der Biografie auffangen kann. Zum Beispiel beim drängenden Thema Demenz. Ich weiß, weil ich es im persönlichen Umfeld erlebt habe, dass diese Krankheit gekennzeichnet ist mit dem Stigma der Hoffnungslosigkeit. In einer solchen Lebenssituation ist wichtig, was Andreas Kruse in seinen Ausführungen beim Deutschen Ethikrat einmal sehr eindrücklich beschrieben hat: Demenzpatienten werden zwar oft zu anderen Menschen als sie einmal waren. Aber sie bleiben unsere Mitmenschen und damit unsere Mitkämpfer um das Recht auf Selbstbestimmung.

Das Gleiche gilt für die allerletzten Stationen der Selbstbestimmung. Ich schaue auf den Bereich der Palliativmedizin und auf den Hospizbereich. Es fällt mir nicht leicht, hier über das Sterben zu sprechen. Wem das leichtfällt, dem ist manchmal auch nicht zu trauen. Wir müssen es zugeben, dass uns das schwerfällt. Wir müssen Ernst auch Ernst sein lassen. Und indem wir das tun, finden wir ein angemessenes Ja zu dieser Station unseres Lebens. Wir sind als Gesellschaft erst ganz bei uns, wenn wir bis zum Schluss beieinander bleiben. Wir haben andere Zeiten als früher, das kann man nicht ignorieren. Früher, als die meisten Menschen Zuhause in ihrer Familie verstorben sind – wir sagen gern: bei ihren Lieben, nun ja – da war man sich sehr nah, allerdings war man auch schnell nah an der Verzweiflung. Und die Kundigen wissen: nah an Verzweiflungstaten. Heute erleben wir das Gegenteil: Krankheit und Tod finden so weit entfernt vom familiären und gesellschaftlichen Alltag statt, dass sie oft auch im Gefühlsleben der Menschen keinen Ankerplatz mehr haben.

Um solche wichtigen Plätze anzubieten, ist die Hospizbewegung entstanden. Sie hat dem friedlichen, geordneten Abschied einen Hafen gegeben. Über 80.000 Ehrenamtliche sind im deutschen Hospizwesen tätig. Als ich ein junger Mann war, wäre diese Zahl unvorstellbar gewesen. Es ist mir ein Herzenswunsch, auch diesen Menschen und allen Organisationen, die sie stützen, Danke zu sagen!

Jede und jeder von Ihnen, liebe Gäste, ist aufgrund einer besonderen Verbindung zum KDA in diese Festveranstaltung gekommen: Entweder, weil Sie als Frauen und Männer der ersten Stunde heute den 50. feiern wollten, weil Sie in oder mit dem KDA in einem der Fachbereiche aktiv sind oder weil Sie als Pflegeschülerinnen und -schüler einen Wettbewerb des KDA gewonnen haben!

Liebe Auszubildende, Sie haben sich für einen Beruf entschieden, der bei genauem Hinsehen eine Berufung ist. So nah am Menschen zu arbeiten, das ist eine verantwortungsvolle, eine schwere, aber auch eine besonders erfüllende Aufgabe. Unser Land braucht Sie. Unser Land braucht mehr von Ihnen, das wissen alle hier im Saal besser als ich. Damit draußen, im Alltag, auf diese theoretische Erkenntnis entschlossenes Handeln folgen kann, dürfen wir es nicht beim Reden belassen. Ich möchte für das sechste Jahrzehnt des KDA eine Bitte äußern: Machen Sie Ihre Arbeitsorte zu Orten der Begegnung! Möglichst viele Menschen in Deutschland sollten einen Augenblick erleben, in denen sie gedanklich vielleicht flüchten wollen, dann aber die Realität von Alter und Abschied aushalten, kennenlernen und später mit weniger Angst dem eigenen Ende entgegen sehen. Man lernt im Leben, wie es später sein wird beim Sterben. Aktiv und zugewandt den Menschen zu begegnen wird eine besondere Art, eine gute Art des Abschieds möglich machen. Wir werden so begreifen, dass wir eine große Chance haben: Wir können solidarisch und achtsam sein und so im besten Sinne eine mitmenschliche Gemeinschaft werden. Was für ein großes Ziel! Daran arbeiten Sie – Sie, das Kuratorium Deutsche Altershilfe. Und Sie werden das im nächsten Jahrzehnt weiter tun. Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute und Gottes Segen!