Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2012

Schwerpunktthema: Rede

Leipzig, , 28. Oktober 2012

Der Bundespräsident hat am 28. Oktober bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2012 in Leipzig eine Rede gehalten: "Hier sind wir bei denen, die genau wissen, dass das Wünschenswerte allein noch nicht das Entscheidende ist. Es muss ins Machbare verwandelt werden – in überzeugende Produkte und Innovationen!"

Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Ansprache

Ich freue mich sehr, zum zweiten Mal in diesem Jahr – nach der Woche der Umwelt in Schloss Bellevue – mit Ihnen zusammen zu sein und diesem wichtigen Thema die Präsenz, die Zustimmung und den Respekt des Staatsoberhauptes zukommen zu lassen.

Die Preisverleihung geht ins Finale, und das ist – so will es das Drehbuch dieser Veranstaltung – der Moment des Bundespräsidenten. Das freut mich, denn Sie, liebe Preisträger, stehen stellvertretend für etwas, das mich auch stolz auf unser Land macht: Erfindungsreichtum und Unternehmergeist. Hier sind wir bei denen, die genau wissen, dass das Wünschenswerte allein noch nicht das Entscheidende ist. Es muss ins Machbare verwandelt werden – in überzeugende Produkte und Innovationen! Es reicht nicht aus, die großen Worte zu wählen und – politisch korrekt – „mehr Nachhaltigkeit“ zu wünschen. Nachhaltigkeit muss politisch gewollt, sie muss unternehmerisch gestaltet und gesellschaftlich akzeptiert werden! Liebe Preisträger, danke dafür, dass Sie daran mitwirken und uns Tempo verschaffen, aber auch Bewusstsein.

Ich staune – nicht nur heute –, was möglich wird, wenn Menschen Ideen haben und sie durchsetzen, auch gegen Widerstände. Innovationen und Diskussionen: Beides brauchen wir, um zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben und was auch nötig ist an großen Veränderungen – bei unserer Energieversorgung, aber auch in vielen anderen Bereichen unseres täglichen Lebens.

Dass wir auf eine Zukunft mit erneuerbaren Energien setzen, ist sicherlich eines der ehrgeizigsten Vorhaben in unserem Land. Und gerade wenn wir skeptisch sind, dürfen wir uns diesen Ehrgeiz auch zutrauen!

In solchen Begegnungen, wie wir sie seit Jahr und Tag mit unseren Preisträgern haben, zeigt sich: Da ist etwas in Gang gekommen bei einem der ganz wichtigen Themen unserer Zeit – bei der Versöhnung von Ökologie und Ökonomie. Da wird nicht nur gemahnt, geklagt und gestritten, sondern erforscht, erfunden und angewendet. Mit Ingenieurskunst und gesellschaftspolitischem Weitblick können wir Vorreiter bleiben in Zukunftstechnologien, können uns unabhängiger machen von Ressourcen, die wir in Deutschland nicht haben. Und die Unternehmen können Arbeitsplätze schaffen, können weltweit gutes Geld verdienen. Das ist für ein Industrieland von bleibender Bedeutung. Deutschland als „Land der Ideen“ begibt sich damit zwar auf einen ehrgeizigen Weg, will sich aber auch nicht von seinen industriellen Traditionen – Stahl, Automobilindustrie, Chemie oder Elektroenergie – trennen.

Im Ausland wird die Energiewende mit Spannung verfolgt. Im Inneren erzeugt sie manchmal Spannung. Ich spreche über die Debatten, die es bei solchen ehrgeizigen Vorhaben zweifellos gibt. Wir dürfen dabei auch ruhig über Kritik sprechen. Wir dürfen auch über Streit sprechen. Denn Streit ist normal, gemessen daran, was auf dem Spiel steht, was es kostet, was alles erfunden, geplant und – ja auch das – in die Landschaft gesetzt werden muss.

Aber wir gewinnen nichts in ideologischen Debatten. Wir gewinnen nur im Ringen um die richtigen Lösungen, technisch, politisch und gesellschaftlich. Also: Kritik ja, Debatte unbedingt, Streit, wenn nötig. Und wenn, dann sollte es ein Streit sein, der nicht nur die Belastungen und Mühen des eingeschlagenen Weges behandelt, sondern auch seine Chancen sieht. Und übrigens auch die Probleme und Belastungen, die wir hätten, wenn wir diesen Weg nicht gingen.

Viele Bürgerinnen und Bürger fragen – übrigens sehr informiert und sehr anspruchsvoll – nach Kosten und Nutzen, nach gerechter Lastenverteilung, nach anderen Möglichkeiten. Sie wollen beteiligt werden, nicht nur am Ende betroffen sein. Daran muss sich ja Politik immer messen lassen. Daran müssen sich aber auch all diejenigen messen lassen, die sich ein umweltfreundliches Deutschland wünschen, sich aber dann, nach dem Floriansprinzip gegen nötige Veränderungen vor Ort wehren.

Einsicht in die Notwendigkeit ist deshalb ein weiteres wichtiges Stichwort. Wir Deutsche loben uns ja gern für unser Umweltbewusstsein, für unsere „grünen Technologien“. Und sicher, unsere Unternehmen produzieren heute schon viel umweltverträglicher und viel effizienter. Aber wir müssen uns gemeinsam fragen, reicht das? Ihnen hier im Saal sage ich nichts Neues, vielen anderen vielleicht doch: Wenn die Menschen überall auf der Welt so konsumieren würden wie wir, dann wäre das eigentlich die größte Umweltbelastung! Das zeigen uns Konzepte wie der „ökologische Fußabdruck“: Sie lassen uns erahnen, wie breit wir uns auf unserer begrenzten Erde eigentlich machen, wie viel Fläche wir indirekt für unseren gewohnten Lebensstil beanspruchen – für das Auto, die beheizte Wohnung mit all den schönen Elektrogeräten, für das schöne Essen, das wir gewohnt sind, vielleicht auch die eine oder andere Fernreise. Das heißt: Wir müssen uns entwickeln, wir müssen uns verändern.

So macht mir diese Preisverleihung Mut: Wir können uns entwickeln und wir können uns verändern! Wir können heute den „Umweltpreis“ im wahrsten Wortsinn immer genauer beziffern – also den Gegenwert dessen, was Ökosysteme leisten. Wir wissen auch immer mehr über den Preis, die Kosten des Nicht-Handelns. Defizite in öffentlichen Haushalten und Löcher in den Bankbilanzen kann man kurzfristig zu stopfen versuchen – nachhaltig ist auch das nicht. Sauberes Wasser oder fruchtbare Böden und viele andere Ressourcen aber lassen sich nicht beliebig vermehren oder gar aus dem Nichts zaubern. Wir erhalten dieses Kapital – das wertvollste auf unserem Planeten – und damit auch unseren Wohlstand wohl nur, wenn wir unsere Ökosysteme erhalten, wenn wir die Ausbeutung der Natur und die Zerstörung der Umwelt unterbinden, wo immer das möglich ist. Gerade wenn wir unsere Freiheit als Verantwortung verstehen, müssen wir uns dieser Aufgabe stellen. Das schulden wir uns und unseren Kindern und Enkeln.

Wenn ich mich hier so umschaue, ist heute Vormittag meine Zuversicht wieder gewachsen, dass das gelingen kann. Weil hier eben das Wünschenswerte in das Machbare verwandelt ist. Und ich glaube an etwas, was wir nie außer Acht lassen dürfen bei unseren Sorgen: Ich glaube daran, dass Menschen weiter erfinderisch sein werden. Wir leben in einer freien, lernbereiten und lernfähigen Gesellschaft. Und ich weiß wohl, wie viel Bewegung in einer Gesellschaft entstehen kann, wenn einige losgehen und andere mitziehen.

Ich spreche diese Worte zu Ihnen in Leipzig. Hier im Gewandhaus. Und mit meiner Vergangenheit kann ich bei der Formulierung „einige aufstehen und losgehen“ nicht anders als an das denken, was in dieser Stadt Leipzig damals möglich war. 1989, als aus so vielen Ängstlichen und Mutlosen die Bewegung derer entstand, die einfach losgehen wollten. Die Menschen haben damals diskutiert, gestritten. Und vor allem haben sie sich ermächtigt, ihre Zukunft zu gestalten.

Und genau dies beschreibt die Haltung, die wir angesichts der ökologischen Katastrophen, angesichts des Klimawandels, angesichts all dieser Angst machenden Themen zu bewahren haben. Diese Haltung der Ermächtigten. Wir müssen das vor uns Liegende nicht nur fürchten, sondern uns sind die Potentiale in Herz und Hirn gegeben, unsere Zukunft zu gestalten. Wir werden sie so an unsere Kindern und Enkel übergeben, wie wir es wagen, zu verantworten.