Mittagessen zu Ehren des Präsidenten der Tschechischen Republik

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 9. Januar 2013

Der Bundespräsident hat am 9. Januar den tschechischen Präsidenten Václav Klaus und dessen Frau Livia Klausová mit militärischen Ehren in Schloss Bellevue empfangen. Beim anschließenden Mittagessen sagte der Bundespräsident: "Sie haben das Gesicht Ihres Landes im Innern wie nach außen geprägt – und auch die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern."

Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Ansprache beim Mittagessen zu Ehren des Präsidenten der Tschechischen Republik, Václav Klaus

Es ist gerade mal drei Monate her, dass ich von Ihnen mit großer Gastfreundschaft auf der Prager Burg empfangen wurde. Heute freut es mich sehr, Sie als meine Gäste in Schloss Bellevue zu begrüßen.

Bei einem Abschiedsbesuch liegt es nahe zurückzublicken. Ich will das nicht allzu ausführlich tun. Zum einen bin ich mir sicher, dass wir weiterhin von Ihnen hören werden. Zum anderen vermute ich: Das Vorwärtsschauen liegt Ihnen mehr. Ich habe noch Ihr schönes Bild vor Augen: ohne Rückspiegel sollte man kein Auto fahren, aber der Rückspiegel darf auch nicht größer sein als die Frontscheibe, durch die man nach vorne schaut. Wir werden also nur kurz in den Rückspiegel schauen. Aber tun müssen wir es! Dafür waren Ihre letzten 20 Jahre zu wichtig – die Jahre seit dem Sturz des kommunistischen Regimes.

Welch ein Glück ist es gewesen, nach fünf Jahrzehnten in einer unfreien Gesellschaftsordnung endlich Verantwortung für die neu gewonnene Freiheit übernehmen und als Bürger existieren zu können! Dass aus Freiheit Verantwortung erwächst, diese Freiheit zu sichern und eine freiheitliche Gesellschaft zu gestalten – daran haben Sie nie einen Zweifel gelassen. Und darin fühle ich mich Ihnen sehr verbunden.

An allen wichtigen politischen Richtungsentscheidungen Ihres Landes haben Sie in den letzten zwei Jahrzehnten mitgewirkt: an der Transformation von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft, an der friedlichen Auflösung der Tschechoslowakei in zwei sich weiterhin freundschaftlich verbundene Staaten, am Beitritt Tschechiens zur Nato und zur Europäischen Union. Sie waren Parteivorsitzender, Finanzminister, Premierminister, Parlamentspräsident und in den letzten zehn Jahren Präsident der Tschechischen Republik – und in all diesen Ämtern haben Sie die Ordnung der Freiheit mitgestaltet.

Sie haben das Gesicht Ihres Landes im Innern wie nach außen geprägt – und auch die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Ich erinnere mich gut daran, wie Sie – vor fast genau 16 Jahren – mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl im Liechtenstein-Palais die Deutsch-Tschechische Erklärung unterzeichneten.  

Angehörige unserer Generation empfinden ganz besonders: Das war nicht selbstverständlich, nach der Grausamkeit der deutschen Besatzung und den schmerzhaften Folgen, für die Angehörigen unserer beiden Völker. Ein zentraler Satz aus diesem Dokument lautete denn auch: „Der gemeinsame Weg in die Zukunft erfordert ein klares Wort zur Vergangenheit.“ Also auch dort: Rückschau, um den Weg nach vorne besser zu finden.

Heute sind die Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen auf allen Ebenen und in allen Bereichen eng und vertrauensvoll. Gott und den Menschen sei Dank. Vieles ist wieder lebendig geworden, was einst abgeschnitten war. Dieses Vertrauen, das Grundkapital der Beziehungen zwischen unseren Ländern, konnten wir in den vergangenen beiden Jahrzehnten kontinuierlich aufstocken. Mir liegt viel daran, dass es weiter gemehrt wird.

Das kann am besten gelingen in einem geeinten Europa. Die europäische Integration war für unsere Generation eine große Verheißung – für unsere Enkel ist sie selbstverständliche, grenzüberschreitende Lebenswirklichkeit, mit allen Freiheiten und Chancen. Sie haben ganz andere Sorgen und Ängste, als wie sie hatten. Derzeit überwiegen bei vielen Bürgerinnen und Bürgern vor allem die Sorgen und die Ängste. In manchem hat die EU tatsächlich nicht alle Hoffnungen erfüllt, die wir in sie gesetzt haben. Aus Finanzkrisen wurden Staatsschuldenkrisen. Freiheit und Verantwortung, Ansprüche und Anstrengungen, Markt und Staat – all das wieder in eine gute Balance zu setzen, muss unser Ziel in Europa sein.

Sie, Herr Präsident, haben einmal Milan Kundera zitiert. In seiner Adaption von Diderots Roman „Jacques der Fatalist und sein Herr“ lässt er eben jenen Herrn angstvoll fragen: „Wohin gehen wir?“ Die Antwort: „Vorwärts.“ Nur: Wo ist vorwärts? Diese Antwort bekommt der Herr nicht. Und auch wir wissen es nicht immer. Wir werden darüber streiten müssen, offen und verantwortungsbewusst, im Bewusstsein der schrecklichen wie auch der großartigen Geschichte dieses Kontinents, im Vertrauen auf unsere Kreativität, unsere ökonomischen Fähigkeiten, unsere politische Kultur des produktiven Streits und der Solidarität. Wir können nicht sicher sein, wie es ausgeht. Aber ich bin sicher, dass es einen Sinn hat zu versuchen, die Krisen gemeinsam zu überwinden und Europa als großen Freiheitsraum zu sichern.

Ihre Passion galt und gilt der Freiheit. Darin fühle ich mich Ihnen verbunden. Wer die Unfreiheit hautnah erfahren hat, und das haben wir, wird mit ungleich größerem Engagement für die Freiheit eintreten als derjenige, für den sie selbstverständlich ist. Sie verabscheuen alle „-ismen“, die Ihnen Synonym sind für Gängelung und Bevormundung.

Ihr politisches Bemühen vor allem auch um die wirtschaftliche Freiheit und die freie Marktwirtschaft ist vielfach hervorgehoben und ausgezeichnet worden. Ich vermute, der renommierte Friedrich-August-von-Hayek-Preis wird Sie besonders gefreut haben. In Deutschland haben wir die Marktwirtschaft nicht nur um das Attribut „sozial“ ergänzt – wir haben das Sozialstaatsprinzip sogar in unserem Grundgesetz verankert. Idealerweise ist dieses Sozialstaatsprinzip Leitsatz einer Politik, die den Menschen durch soziale Gerechtigkeit ermöglicht, ihre Freiheit verantwortlich zu nutzen. Ich habe gehört, dass ein solcher Sozialstaatsbegriff bei Ihnen die Warnung vor einem neuen Paternalismus hervorgebracht hat. In Deutschland sehe ich diese Gefahr zurzeit nicht, aber ich verstehe Sie. Weil wir beide aus einer Tradition kommen, in der dem Einzelnen von oben gesagt wurde, was zu tun sei. Aber ich teile Ihre Kritik nicht, weil Deutschland gut gefahren ist.  

Herr Präsident, Sie haben sich in Ihrer mehr als 20-jährigen politischen Karriere den Ruf eines Mannes erworben, der seine Politik engagiert vertritt – nicht immer bequem, aber stets respektiert. Ich bin mir sicher, dass Sie uns als kritischer Geist, als scharfer Kommentator des politischen und wirtschaftlichen Geschehens erhalten bleiben. Streiten Sie weiter für die Freiheit, als Buchautor, als Vortragender. Genießen Sie Ihre Talente und Fähigkeiten als Sportler und Jazzfreund. Und nicht zuletzt: Bleiben Sie Deutschland gewogen!

Ich erhebe mein Glas auf Ihr Wohl und das von Frau Livia Klausová.