Bellevue Forum: "Ich will Europa - mitgestalten"

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 20. April 2013

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 20. April zu einer Bürgerkonferenz im Rahmen des Bellevue Forums ins Schloss Bellevue eingeladen. Es waren gut 100 Frauen und Männer aus allen Teilen Deutschlands zu Gast, die sich als Bürgerbotschafter der Kampagne „Ich will Europa“ engagiert haben. Zum Auftakt sagte der Bundespräsident: "Als Hausherr auf Zeit bedanke ich mich herzlich bei Ihnen, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind und in europäischen Dingen hier arbeiten und diskutieren werden. Herzlich willkommen zum Bellevue Forum! Ganz besonders freue ich mich, Sie auch im Namen der Schwarzkopf Stiftung, der Robert-Bosch-Stiftung und der Stiftung Mercator begrüßen zu dürfen, unter deren Federführung sich elf renommierte Stiftungen zu der Initiative „Ich will Europa“ zusammengeschlossen haben."

Bundespräsident Joachim Gauck in der Arbeitsgruppen Deutschland in Europa

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Als Hausherr auf Zeit bedanke ich mich herzlich bei Ihnen, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind und in europäischen Dingen hier arbeiten und diskutieren werden. Herzlich willkommen zum Bellevue Forum! Ganz besonders freue ich mich, Sie auch im Namen der Schwarzkopf Stiftung, der Robert-Bosch-Stiftung und der Stiftung Mercator begrüßen zu dürfen, unter deren Federführung sich elf renommierte Stiftungen zu der Initiative „Ich will Europa“ zusammengeschlossen haben.

Für mich ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass heute im Schloss Bellevue noch ein paar originelle und kenntnisreiche Köpfe mehr als sonst zum Thema Europa arbeiten werden. Sie helfen uns, im Rahmen des Bellevue Forums in Fragen der gemeinsamen europäischen Zukunft voranzukommen.

Das Bellevue Forum zu verschiedenen uns alle beschäftigenden Themen soll zu Debatten führen, in denen Pro und Contra zu Wort – und zu Gehör! - kommen. Das Forum soll zeigen: Präsidiale Reden sind keine bindenden Verlautbarungen. Sie sind Teil eines öffentlichen Diskurses, den Bürger mit und ohne Amt zu Themen der Zeit führen. Ich freue mich, wenn es glückt, dass das miteinander Debattieren zu Inspiration und Veränderung, zu Aufklärung und Ermutigung führt.

Die Idee von Demokratie, Freiheit und Wohlstand in Europa ist so groß, so umfassend und so wertvoll, dass ihre Gestaltung nicht allein den Parlamenten oder Regierungen überlassen werden darf; Demokratie gestaltet sich auch in Wirtschaft und Wissenschaft und Gesellschaft. Und sie realisiert sich nicht zuletzt in den vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen, in der Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern, um die es geht, die nicht resignieren sollen, sondern sich in eigener Sache in die Debatte um die Zukunft ihres Kontinentes einmischen. Reden über das Europa, das wir wollen, das ist Einmischung in eigener Sache.

Das Bellevue Forum ist weniger der Ort, an dem es darum geht, wer am Ende recht hat und wer nicht. Es ist ein Ort, an dem die Bürgerinnen und Bürger Argumente und Sichtweisen austauschen und abwägen, – nicht mutlos oder gedankenlos, sondern nachdenklich und verbindlich, und wenn es gut geht, erhellend und ermutigend. Wo ich dazu beitragen kann, will ich das gerne tun.

Nach meiner Europarede habe ich besonders viele Mails und Briefe erhalten. Es gab Zustimmung und Kritik – für beides bin ich dankbar. Manche haben Sorge, wie es wirtschaftlich und finanziell weitergehen soll. Andere sind misstrauisch gegenüber den Institutionen in Brüssel. Gerade auch junge Menschen haben Zukunftsängste geäußert.

Arbeitslosenraten von über 50 Prozent bei Jugendlichen sind bedrückend. Zunächst dokumentieren solche Zahlen die Verantwortung der jeweiligen Staaten, für strukturelle Reformen zu sorgen. Sodann lassen sie zwei unterschiedliche Reaktionen bei den jungen Menschen erkennen. Einige von ihnen tun, was sie können, um rauszukommen: Sie gehen ins Ausland, wechseln die Berufe, improvisieren auf die eine oder andere Weise – andere resignieren. Uns kann diese hohe Arbeitslosigkeit nicht gleichgültig lassen, unabhängig davon, wo die Jugendlichen wohnen. Wir wissen aus unserer eigenen Geschichte, dass wirtschaftliche Not Demokratie bedrohen und sogar vernichten kann.

Die Europäische Union befindet sich in einer tiefen Krise, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Umso wichtiger ist es, dass wir uns noch einmal vergewissern, was dieses Projekt für uns bedeutet – wir, die Bürger der Mitgliedstaaten. Denn was Europa ist und sein wird, ist nicht eine Sache der Eliten, nicht Ergebnis abstrakter Entscheidungen in Brüssel oder sonst wo. Nein, Europa ist und wird das Ergebnis unserer politischen Entscheidungen und unseres politischen Handelns sein - gerade auch des Handelns der jungen Menschen.

Die jüngere Generation wächst längst auf ihre eigene Art in eine europäische Gemeinschaft hinein und lebt Europa auf ihre Art. Für diejenigen, die 1945 bewusst erlebt haben, war Europa gleich bedeutend mit Frieden und Werten, für die zu leben sich lohnt. Für diejenigen, die 1989 bewusst erlebt und mitgestaltet haben, wurde das Friedens-Europa zum Freiheits-Europa. Und ich bin sehr gespannt auf Sie, die, wenn ich recht sehe, ja zu einem guten Teil nach 1989 geboren sind. Was ist Europa für Sie? Das Kommunikations-Europa? Was lohnt den Einsatz für Europa? Wie gehen Sie um mit Kritik an und Skepsis gegenüber Europa?

Mit Ihnen will ich fortentwickeln, was ich aus meinen Gesprächen mit Ihrer Generation bisher mitgenommen habe: Für jüngere Menschen ist Europa eine Selbstverständlichkeit. Die vier Freiheiten der EU sind für Sie Alltag. Schon früh knüpfen Sie persönliche Kontakte mit anderen Europäern durch Austauschprogramme oder Studienreisen, couch-surfen und Internet und vieles mehr. Aus solchen persönlichen Verbindungen entwickeln sich Freundschaften, ergeben sich Entdeckungen großer und kleiner und überraschender Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen unseren Ländern. So wächst Europa einerseits selbstverständlich zusammen und es ist wunderbar, dass das so ist. Europas Sein ist im Werden – das erleben wir intensiv und auch nicht ohne Wehen.

Denn wir sehen auch: Die Fliehkräfte sind größer geworden, alte nationale Animositäten und Ressentiments werden wiederbelebt. Umso wichtiger wird die öffentliche Auseinandersetzung, die Suche nach neuen Formen des europäischen Zusammenlebens, das Werben für neue Lösungen.

Sie sind heute im Schloss Bellevue, weil Sie auch sonst nicht nur zuhause sitzen und warten, was Europa für Sie tun kann. Sie lieben und leben die Freiheit, tun zu können, was Ihnen richtig und wichtig erscheint. So tun Sie etwas für Europa. Und dafür bin ich sehr dankbar.

Ich bitte Sie aber auch, die Skeptiker nicht zu übersehen, sondern ihre Einwände ernsthaft aufzugreifen. Mit welchen Argumenten und Erfahrungen überzeugen wir jene, die zweifeln, die Sorgen haben? Diese Frage wird uns durch den Tag begleiten.

Vor dem Hintergrund Ihrer persönlichen Berührungspunkte mit Menschen aus anderen EU-Partnerstaaten können wir hier Ideen weiterentwickeln. Nur wenn diese Ideen überzeugen, wird es mit Europa weiter gehen. Ich freue mich, dass wir als eine so gemischte Gruppe zusammengefunden haben. Schüler, Studenten, sehr unterschiedliche Berufe, fast alle Bundesländer sind vertreten und aus Frankreich und Großbritannien ist auch jemand da, so habe ich den Unterlagen entnommen. Wunderbar.

In der Europarede habe ich die Idee einer "europäischen Agora" aufgegriffen. Auch hier würde ich mich über Anregungen und Ideen freuen.

Und vielleicht wird aus unseren heutigen Überlegungen dann auch einmal ein weiteres Bellevue Forum mit dem Titel "Ich will das neue Europa weiter mitgestalten“.

Es sind viele Lebens- und Themenfelder, in denen wir die Fragen einer europäischen Identität und Realität erleben und gestalten. Wir werden heute einige davon gezielt aufnehmen, um Erfahrungen und Lösungsansätze auszutauschen. Es wird Gruppen geben zu Leben und Arbeiten in Europa, zu Wirtschaft und Finanzen, zu Bildung und Forschung, um nur einige zu nennen.

Wichtig ist mir nicht zuletzt das Thema „Deutschland in Europa“. Wir merken, wie sehr es darauf ankommt, unsere Erfahrungen und Hoffnungen und Überzeugungen in Europa mit Geduld und Einfühlungsvermögen zu vermitteln. Ich denke besonders an die Fragen nach den Voraussetzungen von wirtschaftlichem Erfolg, von sozialem Ausgleich und gesellschaftlicher Stabilität.

Mich interessieren Ihre Vorstellungen: Wie können unsere Erfahrungen und Hoffnungen und Überzeugungen in Europa auf konstruktive Weise vermittelt werden? In einer Demokratie kann es alleine die Überzeugungskraft sein, die es europaskeptischen Parteien schwer macht, Mehrheiten in Parlamenten zu finden. In einer Demokratie müssen wir diese Debatte suchen und den Mund aufmachen anstatt die Augen zu und wir müssen ansprechen, was vor Augen ist an Skepsis und Angst, an Verunsicherung und Kritik.

Ich wünsche Ihnen inspirierende Diskussionen und werde Sie dazu nun in Ruhe arbeiten lassen. Ich werde aber am Nachmittag wiederkommen und freue mich schon darauf, in der einen oder anderen Gruppe dabei zu sein – ich bin gespannt auf Ihre Ideen und Diskussionen.

Jetzt werden Sie die Begrüßungsworte von Professor Lorentz, dem Geschäftsführer der Stiftung Mercator und von Professor Rogall, dem Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung hören.

Und danach sind Sie alle gefordert! Jeder und jede hier im Raum soll den ganzen Tag über zu Wort kommen. Was Sie sagen, wird mir helfen, dort, wo ich meinen Beitrag leisten kann, Europa mitzugestalten. In diesem Sinne herzlich willkommen zum Bellevue Forum!