Ansprache des Bundespräsidenten beim ersten Tag des Bürgerfestes 2013

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 30. August 2013

Der Bundespräsident hat am 30. August die Gäste beim Bürgerfest begrüßt: "Daniela Schadt und ich sind froh und glücklich, Sie hier zu haben und heißen Sie alle herzlich willkommen. Wir haben Sie eingeladen als Dankeschön für das, was Sie tun. Es ist eine Anerkennung und gleichzeitig feiern wir Sie nicht nur als Handelnde, sondern wir freuen uns über Ihre Haltung."

Bundespräsident Joachim Gauck begrüßt die Gäste auf dem Bürgerfest des Bundespräsidenten 2013

Als ich am Tag die lange Teilnehmerliste in der Hand hielt und wir uns darüber unterhalten haben, da las ich plötzlich den Namen Konrad Adenauer. Ich dachte: Mein Gott, wo bist du?, war etwas überrascht. Am Rand hatte eine hilfreiche Hand aus meiner Behörde notiert: Enkel – und ehrenamtlich engagiert. Da war ich wieder beruhigt. Herr Adenauer, das Ehrenamt macht Sie zum Ehrengast heute! So wie mehr als 4.000 Menschen hier im Park. Sie alle sind wertvolle Ehrengäste. Ich begrüße Sie, ob Sie im Parlament oder prominent sind, Sie uns vom Fernsehen oder von der Bühne bekannt sind. Ich begrüße mit ganz besonders herzlichem Dank alle Menschen, die, von der Nord- und Ostsee bis zu den Alpen und zum Bodensee, aus den verschiedenen Teilen unseres Landes heute hergekommen sind. Daniela Schadt und ich sind froh und glücklich, Sie hier zu haben und heißen Sie alle herzlich willkommen. Wir haben Sie eingeladen als Dankeschön für das, was Sie tun. Es ist eine Anerkennung und gleichzeitig feiern wir Sie nicht nur als Handelnde, sondern wir freuen uns über Ihre Haltung.

Deshalb steht das Wort Dankeschön im Zentrum der ganzen heutigen Veranstaltung. Es steht am Anfang meiner Begrüßung und es wird am Schluss stehen.

Als wir im vergangenen Jahr das erste Mal ein Fest dieser Art als Bürgerfest vorbereitet haben, da waren wir beide noch neu im Schloss Bellevue. Inzwischen sind wir ganz schön herumgekommen. Nicht nur draußen, sondern auch hier in Deutschland, in allen Bundesländern. Wir haben sie alle der Reihe nach besucht, und wir haben zusätzlich mit Menschen gesprochen – bei Bürgerbegegnungen hier im Schloss Bellevue oder bei Ordensverleihungen, bei Diskussionsrunden, bei Besuchen in Schulen und Institutionen, bei Aktionen. Wir haben so unendlich viele Ehrenamtliche und engagierte Menschen kennengelernt, so dass wir ein noch schöneres Bild von unserem Land haben, als wir es hatten, damals, als wir dieses Schloss Bellevue erstmals betraten.

Wir haben ganz deutlich gespürt: Es wird für ein solches Fest immer gute Gründe geben. Und den wichtigsten Grund, den habe ich vorhin gesagt. Das ist ein Wort: Danke!

Es ist nicht leicht, den vielen Freiwilligen in unserem Land wirklich gerecht zu werden. Wenn ich mich hier umschaue – und nachher werden wir beide ja ganz verschiedene Etappen, Zelte und Stände sehen, Einzelpersonen begrüßen – dann begegnen uns sehr unterschiedliche Formen von Engagement: Es reicht von der klassischen Vereinsarbeit bis hin zum neumodischen und trotzdem schon sehr eingeführten Bufdi. Das kennt jeder, oder? Wenn nicht, dann fragen Sie mich nachher. Es reicht auch vom örtlichen Fußballklub, den es möglicherweise schon über 100 Jahre gibt, bis zur Aktion Sühnezeichen, die es dankenswerter Weise auch schon ganz schön lange gibt. Engagement lässt sich nicht immer kategorisieren, vermessen und bewerten, wie wir es üblicherweise gerne tun. Es gibt auch engagierte Bürger, die neue Formen des Zusammenlebens, neue Formen des Engagements erproben, die sich nicht auf Dauer an einen Verein binden, aber die dennoch durch ihr Zutun das Miteinander lebenswert machen. Dazu gehören zum Beispiel die Menschen, die Mehrgenerationenhäuser gründen und betreiben oder Nachbarschaftsinitiativen gestalten und erfinden. Dann denke ich gerade hier in der Bundeshauptstadt an die vielen Menschen, die sich als Brückenbauer zwischen den unterschiedlichen Kulturen betätigen und so den Zugewanderten helfen, sich zu beheimaten. Oder ich denke an all die engagierten Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus, die sich gegen Rechtsradikale engagieren: Sie alle gestalten unsere Bürgergesellschaft mit.

Ich will meinen Blick jetzt einmal auf ein ganz klassisches Element richten. So klassisch wie die Freiwillige Feuerwehr – das ist das Technische Hilfswerk. Wir waren in diesem Sommer in Breisach zu Gast und haben uns einmal den Gerätepark dort angeschaut, wir haben uns die Logistik, die Notfallpläne angeschaut – all das war sehr beeindruckend. Man konnte nicht fassen, dass das alles bewältigt wird mit Menschen, die ehrenamtlich tätig sind. Das sind Spezialisten, aber Spezialisten, die im Ehrenamt das tun, wofür andere eigentlich studieren müssen. Zugleich dachte ich: Es gibt keinen Stundensatz für den Ernstfall, wenn ein Freiwilliger sein Leben riskiert, um andere Menschen zu retten. Dieser Anteil ist und bleibt unbezahlbar. Danke sehr, zum wiederholten Male! Ich wünsche mir, dass sich alle Feuerwehrmänner und -frauen, alle Ärzte ohne Grenzen, alle mutigen Notfallhelfer in diesem Augenblick mit angesprochen fühlen. Und mögen Sie versichert sein: Diese Wertschätzung gilt nicht nur für einen flüchtigen Augenblick, nicht nur für einen Ausnahmezustand oder hier für ein Fest. Sie gilt auch nicht nur dann, wenn wir alle miteinander gerade Zeugen der Wichtigkeit von menschlichem Einsatz geworden sind, etwa bei der Flutkatastrophe. Ich selber habe mir ein Bild machen können in Sachsen, auch in Bayern und ich weiß aus vielen Briefen und persönlichen Begegnungen, dass die Menschen, die mit unseren Helfern zusammengekommen sind, in dieser schwierigen Situation eine Wertschätzung entwickelt haben, die Tiefe und Dauer hat. Ich habe erlebt, Menschen sind auch glücklich, wenn sie spüren: Das ist nicht nur ein Land, in dem es um Zuckerwatte oder viel Geld geht, sondern das ist auch ein Land, in dem wir miteinander sein mögen, in dem wir uns beistehen und dabei spüren, was wir eigentlich sind.

Es lohnt sich, gerade wenn wir eine wirksame Wertschätzung in unserem Land zum Ausdruck bringen wollen, dass wir auch die schwierigen Momente von Engagement thematisieren. Deshalb habe ich heute sehr bewusst – neben ehrenamtlich tätigen Angehörigen der Bundeswehr – auch Soldaten eingeladen, deren Geschichten mir nahe gehen. Sie haben für unser Land alles riskiert, was man riskieren kann. In ihren Lebensläufen steht das Wort einsatzversehrt. Die meisten von uns ahnen nur, was das für Körper und Seele bedeutet. Ich wünsche Ihnen, liebe Soldaten, dass Sie heute spüren können: Wir sind dankbar dafür, Sie in unserer Mitte zu haben!

Wir alle sollten uns klar machen: Vor der Anerkennung steht das Erkennen. Nach allem, was ich bisher über bürgerschaftliches Engagement in Deutschland gesehen und gehört habe, gibt es keinen Mangel an Strategiepapieren oder überzeugenden Praxisbeispielen. Aber ich glaube, es gibt einen Mangel – oder nennen wir es eine Unschärfe – im Rollenverständnis und zwar auf beiden Seiten, bei den Bürgerinnen und Bürgern ebenso wie gelegentlich beim Staat. Bürgergesellschaft ist mehr als die Summe aller Ehrenämter. In einer Bürgergesellschaft muss es neben hörbarer Anerkennung auch partnerschaftliche Beteiligung geben.

Über Formen, Mittel und Wege der Partizipation wird zwar viel diskutiert, aber wie wir Beteiligung zur selbstverständlichen Alltagserfahrung entwickeln könnten, bleibt doch eher vage. Bislang werden meist einzelne Perspektiven abgearbeitet, mit Blick auf die Bürger beispielsweise die Fragen: Warum ist freiwilliges Engagement eine Lebensform vor allem der Mittelschicht, warum ist es so schwierig, in Brennpunktbezirken die Eigeninitiative wachzurufen und zu entwickeln? Oder: Wie kann Inklusion im Ehrenamt gelingen? Was hindert uns eigentlich am guten Vorsatz: Jeder tut, was er kann? Auch das vielzitierte Nachwuchsproblem passt in dieses Fragemuster: Wenn Vereine und Institutionen ihre traditionelle Bindekraft verlieren, und das geschieht vielerorts, in welchen Formen können Bürger – gerade auch junge Bürger – dann verlässlich in anderer Weise Verantwortung übernehmen? Gemeinsam ist diesen Debatten die Kernfrage: Wie verstehen wir uns eigentlich als Bürger und wie können wir uns einbringen – auch jenseits von Wahlen? Oft denken wir dabei in Sektorgrenzen: hier der Staat, dort die Wirtschaft und als dritte Kraft die Bürgergesellschaft. Ich denke, fruchtbarer wäre die Suche nach Brückenschlägen und Partnerschaften, etwa: Wie verknüpft sich bürgerschaftliches Handeln mit staatlichem? Oder: Wo treffen die Interessen von Engagement und Unternehmen zusammen?

Die eine und andere Antwort haben wir dank Ihrer Arbeit schon gefunden. Es gibt Beispiele dafür, aber ein wirklicher Durchbruch, der fehlt uns leider noch. Deshalb verbinde ich mit diesem Fest auch eine Bitte: Nutzen Sie den Abend zur Vernetzung von Personen, zur Vernetzung von Expertise, zu einem umfassenden, menschenfreundlichen und Kenntnis schaffenden Erfahrungsaustausch. Loten Sie die Spielräume aus: Wie weit kann ich mitbestimmen und mitgestalten, wo kann ich mich engagieren? In Zeiten knapper öffentlicher Kassen wird zu Recht gewarnt, dass freiwilliges Engagement nicht als Lückenfüller missbraucht werden darf. Zugleich sollte die Bürgergesellschaft selbstbewusst genug sein und klarstellen: Wo wir freiwillig Verantwortung übernehmen, sind wir auch zur Mitbestimmung bereit, wir fordern sie nötigenfalls sogar ein.

Daniela Schadt und ich haben uns für dieses Jahr vorgenommen, die Leichtigkeit des Sommers mit der Ernsthaftigkeit solcher Themen zu verbinden. Das Mischungsverhältnis bestimmen Sie selbst, die Sie uns heute besuchen. Wer Fakten und Meinungen hören möchte, ist zum Beispiel herzlich eingeladen zum Bühnengespräch. Wir haben über 20 Partner gewinnen können, die ihre Projekte in Wort und Tat vorstellen, von der Stadtteilinitiative bis hin zum bundesweiten Förderprogramm im Behindertensport. Auf die Jüngsten wartet eine Lesejurte. Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen ein Novum, unseren Ort der Begegnung. Wer in kurzer Zeit eine maximale Zahl von Kontakten knüpfen möchte, kann sich dort an den Ehrenamt-Speed-Datings beteiligen – ich gucke so seltsam, weil ich den Begriff aus einem anderen Zusammenhang kenne. Wir wollen mal sehen wie das funktioniert. Und wer Gespräche mit mehr Intensität bevorzugt, der ist an den Thementischen gut aufgehoben, ein Zitat aus dem Programm: Wie viel Hauptamt braucht das Ehrenamt? Oder: Bürgerbeteiligung – ein Hemmnis für den Fortschritt? Dazu wird es wohl mehr als eine Meinung geben.

Lassen Sie uns bürgerliches Engagement zur Diskussion stellen – aber lassen Sie es uns nicht in Frage stellen. Kritik und Zweifel sollen ihren Platz und auch genügend Spielraum haben, um produktive Kraft zu entfalten. Zum Abschluss habe ich, der ich Ihnen heute immerfort gedankt habe und das mit dem letzten Satz auch noch tun werde, mir noch eine Bitte aufgehoben, die ich an Sie alle richten möchte: Egal, wie viel Ehrenämter Sie auch haben mögen und wie viele Initiativen Sie schon mitgestaltet oder erfunden haben, ich habe ein weiteres Ehrenamt für Sie, es ist relativ punktuell. Ich verbinde es mit einer persönlichen Bitte: Ich bitte Sie um das Ehrenamt – wenn Sie am 22. September zur Wahl gehen oder Wahlhelfer sind –, doch einfach jemanden mitzubringen, der sonst vielleicht zu Hause geblieben wäre.

Auch mein letzter Satz beginnt mit dem Wort Danke. Danke an alle, die dafür gesorgt haben, dass heute Abend so vieles gleichzeitig möglich sein wird: Gemeinsinn und Widerspruch, bunte Bühne und bunte Argumente.

Das Bürgerfest 2013 ist hiermit eröffnet!