Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zum Tag des Ehrenamtes

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 2. Dezember 2013

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 2. Dezember bei der Verleihung des Verdienstordens anlässlich des Tages des Ehrenamtes eine Ansprache gehalten: "Jede Ordensbegründung beschreibt eine ganz besondere Leistung – Ihre Leistung! In der Summe erzählen sie davon, was unsere Gesellschaft trägt und wer sie lebenswert macht."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Ansprache bei der Ordensverleihung anlässlich des Tages des Ehrenamtes

Herzlich willkommen im Schloss Bellevue! Wir haben Montagvormittag – das ist ein Termin der Woche, der von den allerwenigsten geschätzt wird. Er ist mit Anstrengung und Stress verbunden, normalerweise, wenn man im Arbeitsleben steht. Wir sind im Spätherbst, der dunkelsten Jahreszeit vor Weihnachten – sie ist irgendwie immer trübsinnig, außer man feiert Advent.

Und jetzt sind wir hier und erleben diesen Tag so festlich wie einen Sonntag oder Feiertag! Die Sonne strahlt. Und das Allerschönste ist, dass heute Menschen wie Sie in einem solchen Gebäude einkehren!

Hätten Gebäude eine Seele, was manche Architekten behaupten, und könnten Gebäude sprechen, dann würde dieses Schloss Bellevue voll des Lobes sein über eine solche Fülle von Besuchern, die den Schmuck eines solchen Hauses erhöhen, vielleicht sogar ausmachen.

Es ist ja das Besondere an meinem Amt als Bundespräsident, dass ich öfter als andere Menschen mit einer Positivauslese unserer Gesellschaft konfrontiert bin. Das ist immer ein schöner Gegensatz zu der Medienlektüre, wo ja nicht gerade die Überfülle der Begegnung mit positiven Ereignissen und Menschen zu verzeichnen ist.

Also, was für ein schöner Auftakt für eine adventliche Zeit: mit Ihnen hier den Tag des Ehrenamtes zu feiern und 26 von unendlich vielen besonderen Menschen in Deutschland mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland auszuzeichnen!

Es gibt – wie bei jeder Ordensfeier – eine kleine Broschüre. Darin steht, ganz kurz zusammengefasst, wofür Sie ausgezeichnet werden. Wir werden gleich Auszüge daraus hören. In dieser Broschüre zu lesen, ist überwältigend, und zwar im doppelten Sinne des Wortes: Sie verweist uns auf so vieles, was uns Sorgen macht, wenn wir Umschau halten dort, wo wir leben. Weil wir bemerken, für was wäre eigentlich alles noch zu sorgen: so viele schwierige Lebenslagen und so viel Wichtiges ist zu bewegen!

Aber überwältigend ist die Lektüre auch im positiven Sinne: Sie zeigt uns, wie viele Menschen es sind, die von sich aus erklärt haben, ich fühle mich zuständig für das, was um mich herum in der Welt passiert! So viele sind es, die fragen: Was kann ich tun, mit dem, was ich habe und was ich kann? Was kann ich weitergeben, was kann ich bewegen, so dass auch andere Menschen etwas davon haben? Und darum ist für mich die Lektüre dieser Broschüre vor allen Dingen eines: Sie ist ein Medikament für Zuversicht. Es ist einfach ansteckend, von Ihrem Engagement zu lesen.

Die einen begeistern andere für ihre Leidenschaft – mit olympischem Elan. Andere stiften Begegnungen und damit zugleich Verständnis: etwa zwischen Ost und West, zwischen Zuwanderern und lange Einheimischen, zwischen Überlebenden des Holocaust und jungen Deutschen, zwischen jungen Leserinnen und Lesern verschiedener Nationalitäten. Die einen engagieren sich weltweit – etwa beim Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen – , die anderen vor Ort, mit Theaterprojekten für obdachlose Mädchen und Jungen oder mit Deutschkursen für Flüchtlinge.

Jede Ordensbegründung beschreibt eine ganz besondere Leistung – Ihre Leistung! In der Summe erzählen sie davon, was unsere Gesellschaft trägt und was sie auch liebenswert macht.

Unsere Städte und Gemeinden zum Beispiel, sie wären gar nicht lebensfähig und wahrscheinlich auch nicht so lebenswert ohne diejenigen unter Ihnen, die ehrenamtlich im Kreistag oder in der Stadtverordnung sitzen, als Ratsmitglieder oder gar als stellvertretende Bürgermeister arbeiten, ohne die Menschen, die Vereine gründen und in Sitzungen um unterschiedliche Dinge ringen: Manchmal ist es der Erhalt einer alten Ölmühle oder, man glaubt es nicht, einer DDR-Grenzsicherungsanlage als Mahnmal, oder um Naturschutz, um die Verbesserung der Lebenssituation älterer Menschen oder um Jugend- und Sozialpolitik. Und immer öfter ringen sie darum, wie wir auch die weniger engagierten Bürgerinnen und Bürger zu Beteiligten machen können. Unsere Sportvereine leben nicht nur von der Unterstützung, sondern auch von den Ideen eines lokalen Unternehmers – etwa für Fair Play. Sie leben von den Trainerinnen und Trainern, die Kinder und Jugendliche zu ihren Möglichkeiten führen und oft auch in Umbruchphasen Halt geben. Und wie viel Sicherheit und Zuwendung verdanken wir den Menschen, die ehrenamtlich in den verschiedenen Hilfsorganisationen tätig sind!

Jetzt werden manche Außenstehende sagen: beeindruckend, solches Engagement. Nur: Ich könnte mir das gar nicht leisten, denn ich habe ja gar keine Zeit. Ich habe auch meine eigenen Probleme, und zwar eine Menge davon. Auch in solchen Situationen hält unsere Ordensbroschüre bewegende Beispiele bereit. Denn viele von Ihnen haben selbst Lebenssituationen gemeistert, die mit Sicherheit sehr viel Kraft gekostet haben. Aber statt sich erschöpft zurückzuziehen, haben Sie begonnen, anderen zu helfen, anderen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen: sei es als Alleinerziehende, sei es als von Krebs oder Schlaganfall Betroffene.

Einem von Ihnen haben wir es mit zu verdanken, dass die Gebärdensprache bundesweit als eigene Sprache anerkannt ist. Und dann ist noch eine unter uns, deren Tochter war schon einmal hier in Schloss Bellevue, und zwar vor drei Jahren, und damals hat sie ein Silbernes Lorbeerblatt bekommen. Ich glaube, es war Bundespräsident Horst Köhler, der sie für ihre großen Leistungen bei den paralympischen Winterspielen ausgezeichnet hat. Am Samstag wurde sie übrigens zur Behindertensportlerin des Jahres 2013 gewählt. Aber heute ist ihre Mutter hier und wir wollen sie auszeichnen. Denn Sie haben nicht nur Ihre Tochter wunderbar unterstützt. Sie haben auch vielen anderen Jugendlichen gezeigt, wie wichtig es ist, Menschen nach ihren Fähigkeiten zu beurteilen und nicht nach etwaigen Beschränkungen. "Power trotz Handicap" – das ist das Motto. Ganz ähnlich klingt es bei vielen von Ihnen: "Nicht mit dem Schicksal hadern, sondern offensiv damit umgehen!" Oder noch knapper gesagt: "Klagt nicht – organisiert Euch!"

Woher nehmen Sie diese Kraft? Was verbindet Sie, so unterschiedliche Persönlichkeiten aus verschiedenen Generationen – die Ältesten bald 80, die Jüngsten gerade über 30. Was verbindet Sie miteinander? Eine Erfahrung gewiss: Es macht glücklich, etwas bewegen zu können! Es ist einfach schön zu erleben, wenn das Flüchtlingskind an Selbstbewusstsein gewinnt oder wenn als "schwer vermittelbar" geltende Jugendliche doch noch eine erfolgreiche Ausbildung machen können. Engagement wächst, wenn wir uns gebraucht fühlen. "Selbstwirksamkeit" nennt so etwas die Fachwelt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum so viele von Ihnen "Mehrfachtäter" sind, sich an ganz verschiedenen Orten, in unterschiedlichen Bereichen und Institutionen engagieren, warum manche von Ihnen die Ehrenämter anzuziehen scheinen als wären sie ein Magnet.

Und noch etwas ist gewiss: Wer schon als Jugendlicher engagiert ist, bleibt es sehr oft. Das sagen uns alle Studien und der Blick in Ihre Lebensläufe. Wie viele Aufforderungen folgen aus dieser Erkenntnis! Eltern, lasst Eure Kinder die Erfahrung machen, wie gut es tut, für andere etwas zu tun! Schulen, lasst Eure Schülerinnen und Schüler mitgestalten, wo immer es geht! Kommunen, bietet Hilfswilligen eine Anlaufstelle, die ehrenamtliche Mitarbeit koordiniert, behandelt Bürger nicht als Bittsteller, sondern als Beteiligte!

In vielen Kommunen und Institutionen ist die Haltung gegenüber Ehrenamtlichen in den vergangenen Jahren deutlich einladender und zugleich professioneller geworden – aber leider noch längst nicht überall. Umso wertvoller, dass einige von Ihnen mit eigenem Engagement die Bedingungen für das Engagement anderer schaffen oder verbessern: indem Sie etwa Freiwilligenagenturen gründen, die zwischen dem vielen guten Willen und den konkreten Projekten vermitteln. Spannend fand ich zum Beispiel das "Telgter Modell" für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmern und Schulen – ich habe mir sagen lassen, dass das inzwischen Kreise gezogen hat. So soll es sein.

Kreise ziehen – das ist mein Stichwort für den Schluss, bevor es an die feierliche Verleihung der Orden geht: Seien Sie Vorbilder! Tragen Sie die Auszeichnung, die Sie heute erhalten, mit Freude und Stolz und stecken Sie andere damit an. Ein Zitat von Konfuzius sei in dieser Jahreszeit gestattet: "Es ist besser, ein Licht anzuzünden, als über die Dunkelheit zu schimpfen."

Danke!