Übergabe der Wohlfahrtsmarken 2014

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 29. Januar 2014

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 29. Januar anlässlich der Übergabe der Wohlfahrtsmarken eine Rede gehalten: "Die Wohlfahrtsmarken, derentwegen wir uns heute hier versammeln, sie werden nun seit 65 Jahren ausgegeben. Sie stehen auch für eine Haltung. Menschen, die sie kaufen, zeigen: Wir machen nicht nur das, was unbedingt nötig ist, sondern wir geben etwas mehr Geld aus! Es ist die gleiche Haltung, die alle Engagierten in unserem Land auszeichnet."

Bundespräsident Joachim Gauck hält bei der Übergabe der Wohlfahrtsmarken 2014 eine Rede

Herzlich willkommen im Schloss Bellevue! Fast hätte ich jetzt gesagt: zur Märchenstunde im Schloss Bellevue. Denn die Bühne ist dafür ja bereitet: Wir haben ein schönes Knusperhäuschen – schon fast eine Knuspervilla –, und wir haben Euch, liebe Kinder. Ihr fragt Euch sicher schon gespannt, was nachher wohl geschehen wird mit den vielen süßen Sachen, die Ihr hier seht. Einen Moment müsst Ihr Euch aber noch gedulden.

Manchmal komme ich mir wirklich vor wie im Märchen, hier in diesem Schloss. Das liegt daran, dass ich in meinem Amt als Bundespräsident so vielen besonders großartigen Menschen begegne. Menschen, die etwas tun, das sie nicht tun müssen, sondern tun wollen. Die sich in ihrem Alltag nicht damit abgeben, den Tag vergehen zu lassen, sondern Solidarität einüben. Und in diesem Amt wird mir immer wieder bewusst, wie viel bürgerschaftliches Engagement es in Deutschland gibt. Ich kann beständig sehen, wie die Bürgerkultur in unserem Land blüht und gedeiht. Und das ist es, was mir an diesem Amt die größte Freude bereitet.

Heute freue ich mich ganz besonders, weil Sie hier sind: die Vertreter der freien Wohlfahrtsverbände samt ehrenamtlichen Helfern. Ich weiß natürlich, dass in einem solchen Raum nur ein kleiner Teil der vielen, vielen Helfer sein kann – insgesamt sind es über eineinhalb Millionen Menschen, die sich in Ihren Wohlfahrtsverbänden freiwillig engagieren!

Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beraten Arbeitslose und Flüchtlinge, betreuen Kinder und Senioren, kümmern sich um Behinderte und Suchtkranke. Diese Arbeit ist nun nicht gerade märchenhaft, das weiß ich sehr wohl. Aber sie ist überaus dringend notwendig, und sie macht das Leben unzähliger Menschen ganz konkret etwas besser. Ich bitte Sie, richten Sie auch denjenigen, die heute nicht hier sein können, mit denen Sie zusammen Ihre guten Werke tun, meinen großen Dank aus und meine herzlichen Grüße!

Sie alle geben unserem Land ein anderes, ein schöneres Gesicht. Sie stehen für eine Kultur des menschlichen Miteinanders. Diese Kultur kann man nicht staatlich verordnen oder staatlich garantieren, man kann sie nur aus der Mitte der Bevölkerung heraus schaffen und gestalten. Es stimmt auch, dass diese Kultur noch nicht überall verbreitet ist. Manchmal sehen wir Unfreundlichkeit, unsolidarisches Verhalten und manche verschlossene Tür, die wir lieber offen sehen würden. Und wir sehen auch Menschen, die gleichgültig sind – anders als Sie. Deshalb wünsche ich mir: Berichten Sie anderen von den Erfahrungen, die Sie machen, wenn Sie Menschen begegnen, die es schlechter haben als die meisten von uns. Berichten Sie davon, dass es Freude macht, für andere da zu sein. Denn wenn wir etwas erzählen, was uns selber erfreut, dann steckt es auch Menschen an.

Bei aller Freude über das freiwillige Helfen wollen wir eines nicht aus den Augen verlieren: Das ehrenamtliche Engagement, so wichtig und so schön es ist, kann staatliches Handeln nicht ersetzen. Das soll es auch nicht. Darauf weist die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände zu Recht hin. Vor allem dürfen freiwillig Engagierte nicht den Eindruck gewinnen, sie seien ein preiswerter Ersatz für staatliche Hilfe, eine Art Lückenbüßer in Zeiten knapper Kassen. Das Gegenteil ist der Fall: Das Ehrenamt ist nicht billig, sondern es ist schlicht unbezahlbar. Und das ist ein gewaltiger Unterschied.

Die Wohlfahrtsmarken, derentwegen wir uns heute hier versammeln, sie werden nun seit 65 Jahren ausgegeben. Sie stehen auch für eine Haltung. Menschen, die sie kaufen, zeigen: Wir machen nicht nur das, was unbedingt nötig ist, sondern wir geben etwas mehr Geld aus! Es ist die gleiche Haltung, die alle Engagierten in unserem Land auszeichnet – nicht nur das zu tun, wozu man verpflichtet ist oder wofür man bezahlt wird, sondern auch links und rechts zu schauen: Wo werde ich gebraucht? Wo kann ich meine Talente, meine Fähigkeiten einsetzen, wo können wir Gutes bewirken? Wer so handelt, erzeugt einen sozialen Mehrwert für unser Gemeinwesen.

Und um solch einen Mehrwert – ganz im wörtlichen Sinne – geht es auch bei den Wohlfahrtsmarken: Wer einen Brief verschicken und zugleich Gutes tun will, zahlt eben freiwillig mehr als nur das Porto. Die Wohlfahrtsverbände nutzen die Erlöse dann für soziale Projekte, zum Beispiel für Rehamaßnahmen, Jugendfreizeiten oder Beratungsangebote, die es sonst vielleicht nicht geben würde. Damit kann man vielen Menschen zugleich eine Freude machen: den Empfängern der Briefe und denen, die finanzierte Hilfsangebote erhalten können – und schließlich auch den Philatelisten, die sich über neue und ungewöhnliche Motive freuen. Aus dieser kleinen Idee der Wohlfahrtsmarken ist im Laufe der Jahre eine große Sache geworden: Über 600 Millionen Euro sind bislang zusammengekommen!

Die Motive der aktuellen Marken haben Sie alle vor Augen. Sehr bunt sind sie in diesem Jahr, für manchen vielleicht auch ein bisschen gruselig. Gut und Böse kommen in unseren Märchen ja sehr deutlich gezeichnet vor. Und manchmal wissen wir, wenn wir anfangen das Märchen zu lesen, auch nicht genau, ob sich das Gute am Ende wirklich durchsetzen wird.

In manchen Märchen gibt es eine gute Fee. Wenn die zu einem kommt, hat man drei Wünsche frei, und wenn die Fee wirklich gut ist, erfüllt sie einem die Wünsche auch. Ich will das jetzt auch einmal probieren:

Mein erster Wunsch ist – ganz klar –, dass möglichst viele Wohlfahrtsmarken gekauft werden, und dass wir damit wirklich vielen Menschen eine Freude machen.

Zweitens wünsche ich mir, dass die Menschen in unserem Land auch in Zukunft Verantwortung übernehmen – für sich selbst und für die Mitmenschen, die Hilfe brauchen, für den Schutz der Umwelt, für ein gutes Miteinander in unserem Land und in unserer einen Welt.

Und drittens wünsche ich mir, dass wir weiterhin in einer humanen und solidarischen Gesellschaft leben können – und es nicht eines Tages finster wird und bitter kalt, wie es in dem alten Kinderlied von Hänsel und Gretel heißt.

Das Schöne ist: Um diese Wünsche zu erfüllen, brauchen wir keine gute Fee, nur gute Menschen. Es liegt an uns. Jede und jeder von uns kann einen Beitrag leisten, damit auch in unserem Alltagsleben am Ende das Gute gewinnt. Sie und viele Millionen Menschen in unserem Land tun das bereits. Dafür danke ich Ihnen von Herzen. Und alle anderen lade ich ein: Engagieren Sie sich! Werden Sie Teil einer Erfolgsgeschichte – einer Geschichte, die wohl nicht immer zu einem "märchenhaften" Ende führt, wohl aber Wege bereiten und Auswege öffnen kann, wenn Menschen "im Dunkel" stehen.