Staatsbankett, gegeben vom Präsidenten der Republik Türkei

Schwerpunktthema: Rede

Ankara/Türkei, , 28. April 2014

Der Bundespräsident hat am 28. April beim Staatsbankett, gegeben vom türkischen Präsidenten, eine Rede gehalten: "Partizipation, freie Meinungsäußerung und die Gesamtheit der Freiheits- und Teilhaberechte – sie sind nicht nur Standards, auf die unsere Länder sich gemeinsam mit anderen verständigt haben. Sie machen einen Staat stärker, weil die Menschen erst durch diese Rechte als Bürgerinnen und Bürger respektiert werden und so dem Staat seine Rechtmäßigkeit verleihen können."

Bundespräsident Joachim Gauck hält einen Toast beim Staatsbankett, gegeben vom türkischen Präsidenten, Abdullah Gül

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Was für ein festlicher Rahmen, in dem Sie uns empfangen. Daniela Schadt und ich, auch meine Delegation, wir alle freuen uns über die große Gastfreundschaft, mit der Sie uns willkommen heißen. Herzlichen Dank dafür.

Menschliche Kontakte haben bei meinem Besuch bisher eine große Rolle gespielt, besonders bei meinem Zusammentreffen mit syrischen Flüchtlingen gestern in Kahramanmaraş. Auch bei den deutschen Soldaten, die in der Gegend stationiert sind, waren persönliche Fragen wichtig. Ich spürte, dass sich die Frauen und Männer der Bundeswehr in Ihrem Land willkommen fühlen – nicht nur als Soldaten, sondern als Menschen, als europäische Nachbarn und als Freunde. Schließlich mein Besuch heute Nachmittag an der Middle East Technical University, wo deutlich wurde, wie viel Türken und Deutsche als Studierende, als Lehrende und als Bürger verbindet: Ich meine Werte, Überzeugungen und Hoffnungen.

Die Nähe zwischen den Bürgern unserer Länder, sie ist hier in der Türkei ebenso greifbar wie in Deutschland: Gut drei Millionen Menschen in meinem Land haben Wurzeln in der Türkei. Mit der sprichwörtlichen Energie und dem Fleiß der ersten Generation der "Gastarbeiter" ist es den Deutschen gelungen, unseren Aufschwung, unseren Wohlstand zu fördern und zu sichern. Zudem haben viele Menschen hier in der Türkei längere Zeit in Deutschland gelebt. Sie bringen ein Stück meines Landes mit in Ihr Land. So haben sich unsere beiden Länder im Laufe der Jahrzehnte gegenseitig beeinflusst und dabei auch verändert.

In dieser Zeit ist zwischen vielen Menschen das Vertrauen zueinander gewachsen. Es wären unzählige Geschichten zu erzählen, von Leben, die miteinander gelebt, von Ideen, die miteinander geteilt, von Vorurteilen, die überwunden wurden. Die deutsche Sprache kennt dafür ein schönes Wort, das diese Entwicklung beschreibt: Wir haben einen gemeinsamen Erfahrungsschatz. Genau diesen Schatz, das wünsche ich mir, sollten wir nutzen, um unsere Beziehungen weiter zu vertiefen.

Die Voraussetzungen dafür sind gut, denn wir leben in dynamischen Zeiten. Von Dynamik verstehen Sie etwas hier in der Türkei. Ihre Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren einen großen Aufschwung erlebt. Die Menschen in Ihrem Land sind zu Recht stolz darauf. Auch wir Deutschen bemerken den Aufschwung und die Modernisierung, und wir empfinden großen Respekt dafür. Dieser Wandel prägt das Bild, das sich die Deutschen heute von der Türkei machen.

Dazu trägt auch bei, dass wir eine junge Generation wahrnehmen, die das Recht einfordert, kritisch mitzureden, Dissens auszudrücken und die Macht, die sie auf Zeit an ihre Volksvertreter verliehen hat, auch zu hinterfragen – auf welchen Kanälen auch immer. Auch auf diese Entwicklung kann und sollte die Türkei stolz sein, denn sie ist der Kern einer lebendigen Demokratie. Partizipation, freie Meinungsäußerung und die Gesamtheit der Freiheits- und Teilhaberechte – sie sind nicht nur Standards, auf die unsere Länder sich gemeinsam mit anderen verständigt haben. Sie machen einen Staat stärker, weil die Menschen erst durch diese Rechte als Bürgerinnen und Bürger respektiert werden und so dem Staat seine Rechtmäßigkeit verleihen können.

Heute Morgen habe ich am Mausoleum des Gründers der türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, einen Kranz niedergelegt. Ein Satz von Atatürk beeindruckt mich ganz besonders. Er drückt einen Anspruch von großer Unbedingtheit aus. Der Satz lautet:

"Die Souveränität liegt uneingeschränkt und bedingungslos beim Volke."

Ergänzen müsste man wohl, dass der Souverän aus sehr vielen Einzelpersonen besteht, die alle mit individuellen Meinungen und Haltungen am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Die dafür unerlässlichen bürgerlichen Grundrechte zu achten und zu schützen, darauf haben sich unsere beiden Länder verpflichtet. Und nicht zuletzt das verbindet sie.

Lassen Sie uns anstoßen auf das Wohl des Herrn Staatspräsidenten und seiner Gattin, auf eine glückliche Zukunft der Republik Türkei und auf die deutsch-türkische Freundschaft!