Gesprächsreihe "Václav Havels Europäische Dialoge"

Schwerpunktthema: Rede

Prag/Tschechien, , 7. Mai 2014

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 7. Mai im Rahmen der Gesprächsreihe "Václav Havels Europäische Dialoge" eine Rede gehalten: "Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass Menschen wie Václav Havel und sein Kampf um Erlangung und Erhaltung der parlamentarischen Demokratie zu Bezugspunkten unserer gemeinsamen Erinnerung, ja, Identität geworden sind."

Bundespräsident Joachim Gauck nimmt an der Gesprächsreihe 'Václav Havels Europäische Dialoge' teil

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Ich freue mich, Sie alle zu sehen. Ich freue mich, manche wiederzusehen. Dass ich mich an diesem Ort und unter Ihnen besonders wohl fühle, ja fast wie zu Hause, brauche ich kaum eigens zu betonen.

Wir erinnern uns hier an den großen Václav Havel, der für Ihr Land so viel bedeutet hat und weiterhin bedeutet, der aber auch für uns Deutsche wie für alle Europäer eine viel bewunderte Persönlichkeit gewesen ist. Bei jenen in Deutschland, die das Ende der kommunistischen Diktaturen bewusst erlebt haben, gibt es wohl niemanden, der bei dem Wort Dissident nicht an Václav Havel denken würde. Seitdem wird dieser Begriff geradezu als Ehrentitel verwendet. Der Weg vom Bürgerrechtler zum Präsidenten, er hat sich tief eingegraben in die Erinnerung meiner Landsleute. Wie Václav Havel am Prager Wenzelsplatz von den Demonstranten gefeiert wurde, mit dem unvergessenen Ruf Havel auf die Burg!, diese Szene hat bis heute eine prägende Wirkung auf das Tschechienbild in Deutschland.

Wer weiter zurückdenkt an die leidvollen Elemente der tschechisch-deutschen Geschichte, vor allem natürlich an die Zerschlagung der ersten Tschechoslowakischen Republik durch das nationalsozialistische Deutschland, der weiß: Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass Menschen wie Václav Havel und sein Kampf um Erlangung und Erhaltung der parlamentarischen Demokratie zu Bezugspunkten unserer gemeinsamen Erinnerung, ja, Identität geworden sind.

Václav Havel war natürlich nicht allein. Für die Samtene Revolution und alles, was ihr vorausging, brauchte es Mitstreiter, Gleichgesinnte, ein Netzwerk der Entschiedenen, der Mutigen und der Überzeugten. Nicht wenige Wegbegleiter sind heute hier, und es ist für mich eine besondere Freude, hier mit Ihnen zusammen zu sein.

Aber was Sie mit der Initiative "Václav Havels Europäische Dialoge" angestoßen haben, was wir heute gemeinsam diskutieren wollen, das dient nicht wohligen Erinnerungen oder der Nostalgie alter Kämpfer, sondern das ist nach vorne gerichtet und zukunftsorientiert.

Alles andere wäre auch nicht im Sinne des Mannes, dessen Name über dem ganzen Projekt steht.

Václav Havel hat 1990 auf der Prager Burg zur Begrüßung von Bundespräsident von Weizsäcker eine Rede gehalten, die Europa als gemeinsame Zukunftsaufgabe von Tschechen (und Slowaken) und Deutschen beschrieb. Er sprach von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Bemühens um ein Europa als Einheit in der Vielfalt, um ein Europa, das der Welt nicht Krieg gibt, sondern Toleranz ausstrahlt, um ein Europa, das an seine besten kulturellen Traditionen anknüpft, um ein Europa, das niemand mehr mit giftigem Rauch und Wasser verpesten wird.

Das war 1990. Wir fragen uns: Wo stehen wir heute? Welche Aufgabe haben wir heute – wir alle gemeinsam, Tschechen und Deutsche, Europäer in Nord und Süd, Ost und West?

Einige Fragen sind aktuell geblieben oder sind es wieder geworden. Dazu zählen sicherlich die Fragen nach Frieden und Freiheit. Eine neue Herausforderung, die damals in dieser Weise wohl noch nicht absehbar war, ist die Frage nach einem sicheren Finanzsystem. Aktuell bleiben auch die Fragen nach den kulturellen Traditionen, den geistigen und seelischen Haltungen, die uns durch die Moderne begleiten, oder die Frage, welche Gestalt unser gemeinsames Europa haben soll.

Europa ist seit 1989 vielleicht stärker zusammengewachsen, als wir uns das damals vorstellen konnten. Tschechien ist seit 15 Jahren Mitglied der NATO, seit zehn Jahren Mitglied der Europäischen Union. Wahlen zum Europäischen Parlament stehen bevor. Das ist erst recht ein Anlass, um nachzudenken, wo wir stehen und wohin der Weg führen soll: Wie steht es um die gemeinsamen geistigen Grundlagen von uns Europäern? Wie kann Versöhnung gelingen? Was muss geschehen, damit wir gemeinsam handeln können, damit Europa in der Welt tatsächlich als Kraft des Friedens, des Rechts und des gerechten Miteinanders wahrgenommen wird? Kann man sich wirklich darauf verlassen, dass wir gemeinsam tatkräftig für die Werte einstehen, die wir proklamieren? Haben wir der nachfolgenden Generation ausreichend mit auf den Weg gegeben, wie wichtig es ist, die Freiheit und Einheit Europas zu schützen und wachsen zu lassen?

Fragen, die uns lange beschäftigen werden, und auf die es keine endgültigen Antworten gibt. Aber das heutige Gespräch ist einer der vielen Schritte hin zu unserer Verständigung darüber. Und ich freue mich darauf.