Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 8. Mai 2014

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 8. Mai zur Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes an die Medaillengewinnerinnen und Medaillengewinner der XXII. Olympischen Winterspiele und der XI. Paralympischen Winterspiele eine Rede gehalten: "So gesehen ist das nicht nur ein sportliches Ereignis, wenn ich Sie ehre und auszeichne, sondern ich nehme Ihre Leistungen als Ansporn für die ganze Gesellschaft, es sich eben nicht zu bequem zu machen, sondern sich einzusetzen für das Gelingen des Ganzen."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Rede zur Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes an die Medaillengewinner der diesjährigen Olympischen und Paralympischen Winterspiele

Bereits im Februar habe ich viele von Ihnen in München am Flughafen getroffen, als Sie zurückkamen. An jenem sonnigen Tag war die Olympiamannschaft soeben aus Sotschi zurückgekehrt und hat dann den Staffelstab weitergegeben an die Paralympische Mannschaft, die anschließend dann selbst zum Wettbewerb aufbrach, wo sie sehr erfolgreich war. Diese Stabübergabe hatte ein Motto und das hieß: Gemeinsam für Deutschland. Das ist ein schönes Motto, das ich mir bei vielen Veranstaltungen in diesem Land wünsche. Und diesem Motto sind Sie in besonderer Weise gerecht geworden.

Ich kann Sie heute hier im Schloss Bellevue empfangen, weil jede und jeder von Ihnen großartige sportliche Leistungen vollbracht hat, eine olympische oder eine paralympische Medaille gewonnen hat. Manche von Ihnen sogar gleich mehrfach. Und das hat die Menschen in Deutschland natürlich mit besonderem Stolz erfüllt – und mich auch: Viele haben an den Fernsehschirmen mitgefiebert, haben die Berichte am nächsten Tag in den Zeitungen Wort für Wort gelesen, haben sich mit Ihnen gefreut. Sie alle – und wir mit Ihnen – können stolz sein auf das, was Sie erreicht haben.

Wenn wir genau hinschauen, geht es bei den allermeisten um mehr als um eine individuelle Leistung. Diese muss natürlich immer da sein. Aber Sie sind ja auch als Mannschaft unterwegs, als eine Gemeinschaft von Sportlerinnen und Sportlern. So sind Sie nach Sotschi gereist, Sie haben Anteil genommen an den Erfolgen, aber auch an den Misserfolgen. Und dann zeigt sich, was Kameradschaft ist, was Teamgeist ist. Wie Menschen füreinander da sein können, wenn ein Erfolg errungen wird, aber auch, wenn es gilt, Enttäuschungen zu verarbeiten. Und beides gehört dazu, im Sport wie im Leben.

Zugleich hatten Ihre Erfolge etwas Besonderes in diesem Jahr. Das Besondere war das Umfeld in Sotschi. Es war von Unsicherheiten und Spannungen geprägt – und wir können nicht sagen, dass es seitdem besser und leichter geworden ist. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Und deshalb, wenn ich mich erinnere, denke ich auch immer an die besondere Situation, das war nicht leicht für Sie alle, auch für die deutsche Politik nicht, das haben Sie mitbekommen. Aber weil Sie so eine großartige Haltung dort gezeigt haben, gebührt Ihnen Respekt und Dank. Sie waren gute Mitglieder unserer Olympischen und Paralympischen Mannschaft. Sie haben sich dort in einer Weise gezeigt, dass Ihr Bundespräsident stolz auf Sie ist!

15 Medaillen bei den Paralympischen Winterspielen, 19 Medaillen bei den Olympischen Winterspielen haben Sie für unser Land errungen – ich sage mal, für mich ist das ein gutes Ergebnis. Andere mögen das ein wenig anders sehen, aber ich will es heute so ausdrücken. Einzelne Leistungen haben mich dabei besonders beeindruckt, und ich denke, es wird die zwischen Ihnen gewachsene Freundschaft und Gemeinschaft auch nicht stören, wenn ich ein paar Namen nenne.

Eine von Ihnen hat vor wenigen Wochen ihren Abschied vom Leistungssport verkündet, kurz nachdem sie ihre Laufbahn mit zwei weiteren olympischen Medaillen und mit dem Sieg im Abfahrts-Weltcup gekrönt hatte. Frau Höfl-Riesch, damit beenden Sie Ihre Karriere auf wirklich besondere Weise, nämlich auf einem Höhepunkt. Sie haben den alpinen Skisport in Deutschland maßgeblich geprägt, nicht nur in Deutschland, und ich habe großen Respekt vor dem, was Sie erreicht haben.

Die diesjährigen Winterspiele, sie haben aber auch neue Erfolgsgeschichten hervorgebracht: Anna Schaffelhuber hat bei den Paralympischen Spielen in fünf Rennen fünf Goldmedaillen gewonnen – welch eine überragende Bilanz! Und ich hörte, dass Sie, Frau Schaffelhuber, die richtige Balance zwischen Training und Ruhe gefunden haben: Sie sind vor der beginnenden Paralympics-Reise unterwegs gewesen, sind wochenlang durch Australien gereist. Es ist gar nicht leicht, sich vorzustellen, dass man die Ruhe hat, das vor einem so herausfordernden Wettkampf zu tun. Aber offensichtlich hat es Ihnen viel gebracht: Nach diesem Sommerurlaub am anderen Ende der Welt sind Sie in Sotschi umso stärker aufgetreten.

Sehr beeindruckt haben mich auch die großartigen Erfolge unserer Rodlerinnen und Rodler – von Natalie Geisenberger und Felix Loch im Einsitzer sowie von Tobias Wendl und Tobias Arlt im Doppelsitzer. Sie haben nicht nur die Goldmedaillen in ihren Disziplinen, sondern mit vereinten Kräften auch die Staffel im Rennrodeln gewonnen.

Individuelle Leistungen lassen sich nie ganz von der Mannschaft trennen – und auch Sport und Gesellschaft existieren nicht einfach so nebeneinander her. Sie sehen hier in der ersten Reihe die hohen Vertreterinnen und Vertreter der Politik. Ich bin allerdings der Ansicht, dass wir mit der Politik und mit den Verbänden sehr genau darauf achten, wie unser Spitzensport sich verzahnt mit dem Breitensport. Und die Politik bedenkt mit den Verbänden auch die wechselvolle Geschichte, die unser Sport hat. Deshalb sind deutsche Sportler auch immer besonders herausgefordert, was ihre Haltung, was ihre Einstellung betrifft. Nicht nur, was ihre sportlichen Leistungen betrifft. Der deutsche Sport hat eine lange Geschichte hinter sich, seitdem Ludwig Jahn im Jahre 1811 in der Berliner Hasenheide den ersten öffentlichen Turnplatz errichtete – damit hat ja einst die Turnbewegung ihren Anfang genommen. Man könnte sagen, wenn man sich an diese Zeit erinnert: Vergegenwärtigen Sie sich einmal die unterschiedlichen politischen Systeme, die seit 1811 Berlin und unser Land geprägt haben. Was für ein langer Weg, der auch in tiefe Abgründe geführt hat. Der Sport ist immer mit dabei, bei diesen unterschiedlichen Lebenslinien der Gesellschaft, im Guten wie im Bösen.

Lassen Sie mich noch einmal auf die Vereine in unserem Land schauen und einen anderen Aspekt hervorheben als nur das Lob der herausragenden Leistungen. Unsere Vereine stellen auch immer zusammen mit anderen im Ehrenamt Tätigen so etwas wie eine besondere Visitenkarte unseres Landes dar. Und zwar wegen des starken ehrenamtlichen Engagements der Bürgerinnen und Bürger. Und wenn ich bei den Paralympics bin, dann merke ich es eben besonders, wie sehr wir auf das Zusammenwirken der Verschiedenen in der Gesellschaft angewiesen sind, auf das Mitwirken der Ehrenamtlichen.

Ganz besonders beglückt waren Daniela Schadt und ich, als wir bei den Specialolympics in München waren, wo die geistig behinderten Sportlerinnen und Sportler, unterstützt von Freiwilligen aus Familie und Gesellschaft, so ein wunderbares Sportfest machen. Von dem Optimismus und der Begeisterung und der Freude auf diesem Sportfest können manche Sportler wohl nur träumen, wenn sie sich schinden und sich hohem Leistungsdruck stellen müssen. All das gehört ja zusammen zur deutschen Sportbewegung und zeigt uns, dass wir auf dem Felde des Sports das trainieren, was wir in der Gesellschaft auch brauchen: Wir brauchen Teilhabemöglichkeiten für die Verschiedenen mit ihren unterschiedlichen Begabungen, für die, denen man helfen muss, um Leistungen zu erbringen und für jene, die wir unterstützen müssen bei der Erringung von Spitzenleistungen im Hochleistungssport.

Ich freue mich auch darüber, dass wir den Gedanken der Inklusion immer stärker im Sport verankern können. Nach einer Umfrage der Aktion Mensch ist die Bereitschaft von Sportlern ohne Behinderung, gemeinsam mit Menschen mit Behinderung zu trainieren, gewachsen. Das freut mich und die Zahl derer, die in diesem Bereich mitwirken möchten, ist größer als das entsprechende Angebot der Sportvereine. Und das ist ein gutes Zeichen: Hier werden wir in der Gesellschaft gemeinsam Ideen zusammentragen und gute Beispiele veröffentlichen, um auf diesen Weg weiter voranzukommen. Ich möchte Sie ermutigen, diesen letztgenannten Aspekt auch weiter in die Gesellschaft hineinzutragen. Viele Menschen in unserem Land hören stärker auf die Worte von Spitzensportlern und Spitzensportlerinnen als auf Worte von Spitzenpolitikern.

Jetzt gratuliere ich Ihnen allen herzlich – zu Ihren Leistungen, zu Ihren Medaillen und schließlich zum Silbernen Lorbeerblatt, das Sie gleich empfangen werden. Möge es Sie an Ihre Erfolge und an schöne Erlebnisse bei den Paralympischen und den Olympischen Winterspielen erinnern und damit an Erfahrungen, die Sie gewonnen haben, als Sie sich im Training wie im Wettbewerb außerordentlichen Herausforderungen gestellt haben.

Darauf will ich zum Schluss noch einmal kommen: Spitzensportlerinnen und Spitzensportler beweisen mit ihren herausragenden Leistungen, wozu Menschen fähig sind, wenn sie sich nicht selber immerfort begrenzen. Sondern wenn sie in der Weise an sich glauben, dass sie immer noch neue Ziele für sich definieren und dann Kräfte frei machen, um zu Leistungen zu kommen, von denen sie vorher vielleicht nur geträumt haben, oder die sie sich zuvor niemals zugetraut haben. Und dieses Element des Glaubens an sich selbst und des sich Nichtschonens, sondern bereit zu sein, Herausforderungen anzunehmen, auch sich anzustrengen bis zum Geht-nicht-mehr, das sind Elemente, die wir in der ganzen Gesellschaft brauchen.

Erfolg kommt nicht von selbst. Das zeigt der Sport überdeutlich. Aber das ist überall so: im politischen Leben, im Wirtschaftsleben, im kulturellen Bereich. Wir müssen an uns glauben und indem wir an uns glauben die Kräfte in uns freisetzen, von denen wir heute noch nichts ahnen, die aber morgen da sein können. So gesehen ist das nicht nur ein sportliches Ereignis, wenn ich Sie ehre und auszeichne, sondern ich nehme Ihre Leistungen als Ansporn für die ganze Gesellschaft, es sich eben nicht zu bequem zu machen, sondern sich einzusetzen für das Gelingen des Ganzen.